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Nach der Großrazzia 2020 in Weißenfels beginnt nun der Prozess gegen drei Angeklagte. (Archivfoto) Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Jan Woitas

Prozess hat begonnenMillionen-Ertrag und Audi R8 als Firmenwagen: Schleuser-Bande aus Weißenfels vor Gericht

26. September 2023, 11:27 Uhr

Sie lebten offenbar auf großem Fuß und machten weiter, als längst ermittelt wurde: Seit Dienstag stehen die mutmaßlichen Köpfe einer Schleuserbande aus Weißenfels vor Gericht. Anderthalb Jahre lang sollen die Angeklagten ausländische Arbeitskräfte mit gefälschten Papieren nach Deutschland eingeschleust und vor allem an Schlachtbetriebe vermittelt haben – unter anderem ans Tönnies-Werk in Weißenfels.

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  • Auf der Suche nach den Hintermännern illegaler Leiharbeit in der Fleischindustrie sorgte eine Großrazzia vor drei Jahren für Schlagzeilen.
  • Vor dem Landgericht Halle hat nun der Prozess gegen die mutmaßlichen Köpfe der Schleuser-Bande begonnen.
  • Das Unternehmen Tönnies erklärt, die Echtheit der Dokumente seiner Arbeiter inzwischen mit technischer Hilfe zu überprüfen.

Sie sollen gelebt haben wie die "Maden im Speck". So schildert eine anonyme Quelle den "verschwenderischen" Lebensstil von Oleg S., Tommi J. und Klara M. – den mutmaßlichen Köpfen einer Schleuserbande, die im großen Stil ausländische Arbeitskräfte aus Nicht-EU-Staaten mit gefälschten Identitätspapieren nach Deutschland eingeschleust haben soll.

Firmenwagen für 150.000 Euro aufwärts

Als Firmenwagen diente ihnen nach MDR-Informationen unter anderem ein Audi R8. Neupreis: ab 150.000 Euro aufwärts. Als Oleg S. wegen Trunkenheit am Steuer seinen Führerschein verlor, soll kurzerhand ein Fahrer für ihn angestellt worden sein. Der Lebensstil von Oleg S. stand offenbar im krassen Gegensatz zu dem der unter falschen Versprechen nach Weißenfels gelockten Arbeitskräfte.

Leiharbeiter ans Tönnies-Werk vermittelt

Von Februar 2019 bis September 2020 sollen die drei Angeklagten 66 Personen aus Nicht-EU-Staaten nach Deutschland eingeschleust und mit falschen Identitätspapieren versehen haben. Außerdem sollen sie weitere 49 Personen, vornehmlich aus der Ukraine, als sogenannte Scheinstudenten mit gefälschten Immatrikulationsbescheinigungen eingeschleust haben.

Vor dem Landgericht Halle hat am Dienstag der Prozess gegen die Schleuser-Bande begonnen. Das Ermittlungsverfahren mit dem Namen "Taubenschlag" konzentrierte sich vor allem auf die Berkana GmbH. Von Weißenfels aus vermittelte das Unternehmen laut Anklage Leiharbeiter an mehrere Fleisch verarbeitende Betriebe in Sachsen und Sachsen-Anhalt, unter anderem auch an das Tönnies-Werk in Weißenfels. Die Erträge aus dem illegalen Geschäftsmodell werden auf 1,3 Millionen Euro beziffert.

Großrazzia auf der Suche nach Hintermännern

Im September 2020 schlug die Polizei zu: Bei einer Großrazzia wurden mehr als 60 Objekte in Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Berlin und Sachsen durchsucht, um die Hintermänner illegaler Leiharbeit zu finden. Monatelang war zuvor ermittelt worden.

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Drei Jahre später der Prozessbeginn. "Die Ermittlungen haben bei der Staatsanwaltschaft einige Zeit in Anspruch genommen", sagt Adina Kessler-Jensch, Sprecherin des Landgerichts Halle. "Es wurde gegen verschiedene Personen ermittelt. Es wurden diverse Verfahren gegen gesondert Verfolgte abgetrennt. Und es wurde auch ein Verfahren am Landgericht Halle Ende letzten Jahres verhandelt und ein Urteil erlassen."

Ukrainerin verurteilt

Eine 40 Jahre alte Ukrainerin wurde zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Milana B. eine zentrale Rolle bei der Anwerbung osteuropäischer Arbeitskräfte spielte. So habe sie gefälschte Ausweisdokumente beschafft und Kontakte hergestellt.

Ein Gefängnisaufenthalt bleibt ihr wohl dennoch erspart. Das Gericht setzte die Freiheitsstrafe zur Bewährung aus. Teuer wird es trotzdem für die Ukrainerin: So wurde angeordnet, dass sie das erwirtschaftete Geld in Höhe von 25.350 Euro zurückzahlen muss. Außerdem muss sie die Prozesskosten tragen.

Verdächtige werden durch Beamte der Bundespolizei nach der Razzia 2020 in Weißenfels erkennungsdienstlich behandelt. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Jan Woitas

Fokus auf Scheinstudenten

"Das Verfahren gegen die nunmehr drei Angeklagten ist ein komplett neues Verfahren und insofern beginnt man bei Null", sagt Gerichtssprecherin Adina Kessler-Jensch. Bislang haben sich die Angeklagten nicht zu den Vorwürfen geäußert. "Den drei Angeklagten wird gewerbs- und bandenmäßiges Einschleusen von Ausländern zur Last gelegt."

Demnach soll die Schleuser-Bande ein undurchsichtiges Geflecht von Personaldienstleistungs-Unternehmen aufgebaut haben. Bereits im Februar 2020, noch vor der Großrazzia ein halbes Jahr später, hatte eine Durchsuchung der Geschäftsräume der Berkana GmbH stattgefunden. Die Angeklagten machten trotzdem weiter.

Das illegale Geschäftsmodell soll sich nach MDR-Informationen ab Mai 2020 zusehends auf Scheinstudenten fokussiert haben. Der Grund: Sie mussten keine Sozialabgaben zahlen und waren somit "ertragreicher" für die Vermittler. Pro Arbeitnehmer sollen die Angeklagten monatlich 4.000 Euro umgesetzt haben.

Ein Oberkommissar der Bundespolizei prüft nach der Razzia 2020 den Reisepass eines Verdächtigen. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Jan Woitas

Falsche Versprechungen, überfüllte Wohnungen

Oft wurden die illegalen Leiharbeiter offenbar unter falschen Versprechungen nach Weißenfels gelockt. Nach MDR-Informationen dachten viele der Osteuropäer, sie würden in einer Bäckerei arbeiten, – doch sie landeten schließlich im Schlachtbetrieb. Untergebracht waren sie teilweise zu sechst in Zwei- oder Dreizimmerwohnungen – und das mitten in der Corona-Pandemie.

49 solcher Werkswohnungen soll es gegeben haben. Die Miete wurde den Arbeitern von den Schleusern direkt vom Gehalt abgezogen. Sie soll bei 200 bis 250 Euro gelegen haben, – obwohl sich die Arbeiter ein Zimmer teilten.

Tönnies: Echtheit der Dokumente wird überprüft

Das Unternehmen Tönnies mit Werk in Weißenfels teilte damals mit, nichts von den kriminellen Machenschaften der Berkana GmbH gewusst zu haben. "Nachdem die Tönnies-Gruppe Kenntnis von den Geschäftspraktiken der Firma Berkana erhalten hatte, hat sie sich sofort und fristlos von ihr getrennt", erklärt Tönnies-Sprecher Kai Lars von Stockum nun auf MDR-Anfrage.

"Gleichzeitig ist dafür Sorge getragen worden, dass die 24 betroffenen Mitarbeiter eine Perspektive erhielten. Sie wurden von dem damaligen Werkvertragspartner Amelia übernommen", so der Unternehmenssprecher weiter. "Aus dieser Gruppe sind heute noch vier Personen – inzwischen Tönnies-Mitarbeiter – in Weißenfels tätig. Niemand aus dem Kreis der Betroffenen hat aufgrund der Ereignisse um Berkana unser Unternehmen verlassen müssen."

Die Berkana GmbH vermittelte offenbar illegale Leiharbeiter ans Tönnies-Werk in Weißenfels. Bildrechte: imago/Steffen Schellhorn

Seit 2020 sei in dem Weißenfelser Werk ein von der Bundesdruckerei zertifiziertes Ausweisprüfgerät in Betrieb. Neue Mitarbeiter müssten dort vor dem ersten Arbeitsantritt ihre entsprechenden Dokumente auf Echtheit prüfen lassen. Sollte es Auffälligkeiten geben, würde die Polizei informiert.

"Inwieweit andere Unternehmen ausreichend gesichert sind, können und möchten wir nicht beurteilen", sagt der Unternehmenssprecher. "Wir nehmen allerdings für uns in Anspruch, unsere Möglichkeiten zur Absicherung ausgeschöpft zu haben. Darüber hinaus vertreten wir den Standpunkt, dass jedes Arbeits- auch ein Vertrauensverhältnis ist."

Nur hat die Vergangenheit mehr als deutlich gezeigt, dass in diesem Fall wohl Kontrolle tatsächlich besser als Vertrauen ist.

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MDR (Daniel George)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 26. September 2023 | 19:00 Uhr

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