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Kinder in sozialbenachteiligten Stadtvierteln sind häufiger von Entwicklungsverzögerungen betroffen. Zu dem Ergebnis kommt eine Studie der Universität Halle. Bildrechte: Meret Aupperle

Studentenprojekt in HalleWenn Ungleichheit krank macht

01. Juli 2021, 14:06 Uhr

Studierende des Masters "Multimedia & Autorschaft" der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg haben ihre multimedialen Projekte vorgestellt. Darin beschäftigen sie sich mit den Auswirkungen von sozialen und wirtschaftlichen Faktoren auf die Gesundheit. Besonders interessant für Sachsen-Anhalt ist dabei eine Studie, die die Kindergesundheit in Halles Stadtteilen untersucht.

von MDR SACHSEN-ANHALT

Welche Auswirkungen haben Lebensort und Arbeitsplatz auf das eigene Wohlbefinden? Warum sind ärmere Menschen häufiger krank? Und warum hat in Deutschland nicht jede Person eine Krankenversicherung, obwohl es eine Krankenversicherungspflicht gibt?

Seit mehr als einem Jahr beschäftigt sich der aktuelle Jahrgang des Masterstudiengangs "Multimedia & Autorschaft" der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) genau mit diesen Fragen. Im Projekt "Diagnose:Unsichtbar" entwickelte er in Kooperation mit Medizin-Studierenden journalistische Formate, die dem Thema zu mehr Aufmerksamkeit verhelfen sollen. Denn wie gesund jemand ist, wird nicht nur von den Genen oder dem eigenen Verhalten bestimmt, sondern auch vom sozialen Umfeld oder wirtschaftlichen Faktoren. Die Herkunft, das Alter, der soziale Status oder erlebte Diskriminierung können den Zugang zur Gesundheitsversorgung zusätzlich erschweren.

Mehr als ein Jahr haben die Masterstudierenden von "Multimedia & Autorschaft" am Projekt Diagnose:Unsichtbar gearbeitet. Bildrechte: Multimedia & Autorschaft

Am Mittwoch wurden die Projekte vorgestellt. In der interaktiven Onlineveranstaltung diskutierten die angehenden Medienmacher mit den Anwesenden auch über aktuelle Probleme. "Dass Menschen aufgrund von Diskriminierung, sozialer Benachteiligung oder fehlender Inklusivität Lebensjahre und -qualität verwehrt bleiben, schafft eine Relevanz, die wir in kaum einem anderen Projekt bisher hatten", sagte Maren Schuster, Leiterin des Masterstudienganges, zum Auftakt des Abends. Auf verschiedene Chaträume verteilt, führten die Studierenden die Besucher spielerisch an Themen wie die Ungleichbehandlung von Frauen in der medizinischen Forschung heran. Zuvor hatte der Jahrgang ein Semester lang die Vorlesung in Sozialmedizin besucht und wurde fachlich von der medizinischen Fakultät der MLU unterstützt.

Die wichtigsten Erkenntnisse für Sachen-Anhalt

Die sozialmedizinischen Recherchen der Projekte liefern auch aufschlussreiche Erkenntnisse für die gesundheitliche Situation in Sachsen-Anhalt.

  • Die Kinderarmutsquote in Halle ist besonders hoch. Die Wissenschaftlerin Karoline Wagner untersucht an der MLU die Kindergesundheit in verschiedenen Stadtteilen. Sie kommt zum Ergebnis, das Kinder, die in einem sozial benachteiligten Viertel wie der Silberhöhe oder der südlichen Neustadt aufwachsen, häufiger gesundheitlichen Risikofaktoren ausgesetzt und von Entwicklungsverzögerungen betroffen sind. Die Studierenden nahmen diese Erkenntnisse zum Anlass, sich weitergehend mit dem Zusammenhang von Kindergesundheit und der sozialen Umgebung zu beschäftigen. In einer eigenen Feldforschung erkunden sie die unterschiedlichen Lebensrealitäten der Kinder. Mehr dazu im Projekt "Von UNGLEICHEN T:RÄUMEN".
Der Lebensraum eines Kindes hat unmittelbare Auswirkungen auf seine Gesundheit. Bildrechte: Meret Aupperle

  • In Halle bietet keine Klinik die Möglichkeit für einen Schwangerschaftsabbruch an. Am Universitätsklinikum sei dies nur im Notfall, zum Beispiel bei Komplikationen, möglich. Auch in den Arztpraxen gebe es kaum Angebote, sodass Betroffene häufig in Städte wie Leipzig ausweichen müssen. Der Podcast "unbehandelt" sucht nach Gründen, warum Menschen nicht die medizinische Beratung oder Betreuung erhalten, die sie benötigen. Weitere Folgen drehen sich um die Gesundheitsversorgung von EU-Migranten und die Frage, wie ein optimales Gesundheitssystem aussehen könnte.

  • In Sachsen-Anhalt fehlen nach Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung rund 277 Hausärzte. Das ist besonders in ländlichen Regionen ein Problem, denn die Fahrtzeit zur nächsten Praxis ist vergleichsweise hoch. Der journalistische Instagram-Account "bittere.pille" beleuchtet Themen gesundheitlicher Benachteiligung mit bunten Erklärgrafiken und kurzen Videos. Dass die Studierenden damit bereits mehr als 1.500 Abonnenten versammeln konnten, zeigt, wie interessiert auch junge Menschen an sozialmedizinischen Themen sind. "Gesundheit ist etwas, das uns alle angeht", erzählt Maike Grabow, eine der Initiatorinnen des Projekts. Doch auch sie habe nicht damit gerechnet, dass der Account so schnell wachsen würde.

  • Neben hitzebedingten Beschwerden gehört das West-Nil-Virus zu den unbekannteren Gesundheitsfolgen des Klimawandels. Bisher gibt es nur eine Handvoll gemeldeter Fälle, die sich vor allem auf die Regionen Sachsen-Anhalt, Sachsen und Brandenburg verteilen. Doch sie zeigen, dass sich auch der Klimawandel auf das eigene Wohlbefinden auswirken kann. Der Newsletter "Upstream" analysiert und erarbeitet Themen wie diese aus einer wissenschaftsjournalistischen Perspektive.

Sozialmedizin ist wichtig, weil sie Leben rettet.

Dr. Amand Führer, Sozialmediziner

Bewusstsein schaffen für die Dinge, die unsere Gesundheit beeinflussen

Ausgehend von diesen Erkenntnissen entwickelten die Studierenden den Podcast "unbehandelt", das journalistische Instagram-Format "bittere.pille", den "Upstream-Newsletter" für Sozialmedizin und das digitale Dossier "Von UNGLEICHEN T:RÄUMEN". Weiterhin geplant ist zudem ein englischsprachiges Storytelling-Format mit dem Namen "Are We Well in Europe?", das in Zusammenarbeit mit dem internationalen Recherchenetzwerk "Are We Europe" entsteht.

Lange Zeit drangen die Erkenntnisse der Sozialmedizin kaum an die Öffentlichkeit, dabei haben sie Potenzial, viel zu bewegen. "Sozialmedizin ist wichtig, weil sie Leben rettet", erklärt Amand Führer, Forscher am Institut für Epidemiologie, Biometrie und Informatik, der das Projekt ebenfalls begleitet. In unserer Gesellschaft gebe es noch zu viele gesundheitliche Ungleichheiten, die wesentlich durch soziale Unterschiede hervorgerufen werden. Studentin Maike Grabow sieht das ähnlich: "Durch die Arbeit an Diagnose:Unsichtbar ist mir nun bewusst wie nie, dass Gesundheit mehr bedeutet, als "nur" nicht krank zu sein. Gesundheitliche Benachteiligung spielt eine größere Rolle in meinem Leben, als mir klar war."

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MDR/Sarah-Maria Köpf, Studentin des Studiengangs

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