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Der Riebeckplatz in Halle: Hier soll das neue Zukunftszentrum Deutsche Einheit und Europäische Transformation entstehen. Bildrechte: picture-alliance/ ZB | Jens Wolf

MeinungKommentar zum Zukunftszentrum in Halle: Mehr Begegnung, weniger Museum!

15. Februar 2023, 07:36 Uhr

Halle bekommt den Zuschlag und ganz Sachsen-Anhalt hat Grund zum Jubeln. Das Zukunftszentrum Deutsche Einheit und Europäische Transformation hat nach wochenlangen Beratungen wohl ein Zuhause gefunden. Damit es auch ein Erfolg wird, braucht es vor allem eins: nicht zu hohe Erwartungen. Ein neues kostspieliges Museum braucht die deutsche Kulturlandschaft jedenfalls nicht, eine Begegnungsstätte schon.

Andere galten in Berlin lange als Top-Favoriten, doch Halle hat den Zuschlag bekommen. Eine 15 Mitglieder zählende Jury entschied am Dienstagabend, dass Halle die Heimat eines neuen Zukunftszentrums Deutsche Einheit und Europäische Transformation werden soll. Der Jury-Vorschlag zählt, die Entscheidung der Bundesregierung dürfte reine Formsache sein.

Jetzt winken 200 Millionen Euro für einen todschicken Neubau am Riebeckplatz, 200 Jobs für die Region und 40 Millionen Euro jährlich, um das Zentrum zu betreiben. Die hohen Investitionen sollen sich auszahlen, die Bundesregierung rechnet mit einer Million Besucherinnen und Besuchern pro Jahr. Auf dem Papier klingt das nach einem Tourismusmagneten der Extraklasse. Noch vor der offiziellen Verkündung der Entscheidung knallen also in Sachsen-Anhalt bereits die Sektkorken.

(H)alle haben Grund zur Freude

Andere wurden als Favoriten gehandelt, doch Halle hat es geschafft. Halle ist weder die Wiege der Friedlichen Revolution, ehemalige deutsch-deutsche Grenzstadt noch eine heutige Grenzstadt zu osteuropäischen Nachbarn. Halle überzeugte mit Wir-Gefühl.

Das Zukunftszentrum war von Anfang an nicht als Elfenbeinturm in einer Metropolregion gedacht, wie es Bürgermeister Geier immer wieder betonte, sondern als erstrebenswertes Projekt für die gesamte Region. Halle warb mit vielen Partnerschaften in der gesamten Region, die das kulturelle Angebot des Zukunftszentrums bereichern sollen. Ob das den Ausschlag gab? Die Vorschlagsbegründung der Jury steht noch aus.

Die eierlegende Wollmilchsau 

Jetzt, wo die Standortfrage geklärt ist, kann sich der Fokus der Debatte endlich auf das Wesentliche konzentrieren. Was bauen wir da eigentlich? Was kann, darf und sollte das Zukunftszentrum alles leisten? Von Berlin bis Dresden über Pirna und Thale gibt es bereits genügend DDR-Museen. Der Anspruch für das Zukunftszentrum muss ein anderer sein.

Laut Bundesregierung soll das Zukunftszentrum ein Ort werden, an dem "die Erfahrungen und Leistungen der Menschen aus und in Ostdeutschland in den letzten 30 Jahren sichtbar gemacht werden". Doch damit nicht genug. Es soll Heimstätte für zukunftsweisende "Forschung über Bedingungen für eine Transformation von Wirtschaft und Gesellschaften" werden und einen "Raum für Kultur, Dialog und lebendige Diskussionen" schaffen.

Das klingt ein bisschen nach eierlegender Wollmilchsau und lässt bei vielen Kulturinteressierten die Alarmglocken schrillen. Ist das wirklich alles notwendig und auch zu leisten?

Polen zeigt, wie es geht

Schaut man in unser Nachbarland Polen, zeigt sich, dass es zu schaffen ist. Das Solidarnosc-Zentrum in Danzig gilt als Vorbild für das deutsche Zukunftszentrum und vereint ein Museum, ein Zentralarchiv, eine Multimedia-Bibliothek und ein Forschungs- und Bildungszentrum mit Büros für zivilgesellschaftliche Organisationen – alles unter einem schmucken Dach. Dass das mitnichten zu viel gewollt ist, zeigt der große Zuspruch, den das Museum erhält. Vor der Pandemie kamen jährlich 1,2 Millionen Besucherinnen und Besucher.

Der Begegnungsstätten-Charakter ist der Schlüssel zum polnischen Erfolgsmodell. Die Ermöglichung eines Austausches, der über historische Ausstellungen und kulturelle Abende hinausgeht, ist ein Ziel, für das es sich lohnt, auch mehrere hundert Kilometer anzureisen. Nur wenn Halle den gleichen Magnetismus erzeugt, kann das Zukunftszentrum auch seine Aufträge erfüllen.

Halle kann seinen Beitrag leisten

Das Zukunftszentrum darf schon seines Namens wegen nicht in Ostalgie und historischer Selbstbetrachtung verharren. Es muss um mehr gehen.

Demokratien sehen sich derzeit so stark infrage gestellt wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Nie waren Antworten auf die offenen Fragen der fortschreitenden Transformationsprozesse in Demokratien und Gesellschaft wichtiger. Hoffentlich kann Halle seinen Beitrag leisten, Antworten zu liefern. Das wäre zukunftsweisend.

Anmerkung der Redaktion: Der Kommentar wurde vor der offiziellen Bekanntgabe durch den Ostbeauftragten der Bundesregierung, Carsten Schneider, veröffentlicht.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 15. Februar 2023 | 07:00 Uhr