DatenschutzbeauftragterDatenschutz-Experte: Gescheiterte Wahl zeigt Unfähigkeit der Politik
Nachdem die Wahl eines Landesdatenschutzbeauftragten in Sachsen-Anhalts Landtag gescheitert ist, spricht der ehemalige Bundesbeauftragte für Datenschutz, Peter Schaar, von Politikunfähigkeit. Er sieht den Datenschutz insgesamt in einer misslichen Situation und hält ein EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland für wahrscheinlich.
Sachsen-Anhalts Landtag wollte am Donnerstag eigentlich einen Landesdatenschutbeauftragten wählen. Doch die Wahl ist gescheitert. Bewerber Albert Cohaus, der das Amts interimsmäßg innehat, wurde nicht gewählt. Eigentlich hatten die Regierungsfraktionen CDU, SPD und FDP den Kandidaten unterstüzt. Am Ende fehlten ihm aber drei Stimmen. Einen Termin für eine Neuwahl gibt es noch nicht.
Peter Schaar war von 2003 bis 2013 Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfrieheit. Heute ist er Vorsitzender des Vereins "Europäischen Akademie für Informationsfreiheit und Datenschutz". Im Interview spricht er über die gescheiterte Wahl.
MDR SACHSEN-ANHALT: Herr Schaar, wie schätzen Sie ein, was da gestern im Landtag passiert ist?
Peter Schaar: Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Wahl eines Landesbeauftragten für den Datenschutz jetzt schon wieder scheitert, dass auch eine normale Mehrheit nicht zustande kommt. Ich denke schon, dass das auf der einen Seite eine gewisse Politikunfähigkeit in diesem Bereich widerspiegelt. Auf der anderen Seite ist das rechtlich hochproblematisch. Denn das europäische Recht ist nicht so gestaltet, dass man sich aussuchen kann, ob man es einhält oder nicht, sondern es ist ganz eindeutig: Eine unabhängige Datenschutzaufsicht muss in jedem Land gewährleistet sein, und das gilt natürlich auch für die Bundesländer in einem föderalen System.
Was für ein Zeichen ist das für den Datenschutz insgesamt?
Für den Datenschutz insgesamt ist das natürlich eine sehr missliche Situation, dass es ein Bundesland nicht hinbekommt, die notwendige unabhängige Datenschutzkontrolle zu gewährleisten. Und es ist auch eine politische Missachtung des Themas, wenn man es nicht schafft, als Koalition einen Kandidaten oder eine Kandidatin zu finden und durchzusetzen, der oder die das Vertrauen einer Mehrheit des Parlaments genießt.
Sie sehen die Unabhängigkeit von Sachsen-Anhalts Datenschutzbehörde gefährdet. Ist die Behörde arbeitsfähig und haben ihre Beschlüsse Rechtskraft?
Die Behörde ist als Behörde sicher handlungsfähig, solange dort mindestens ein Mitarbeiter tätig ist. Aber man muss sagen, dass die politische und rechtliche Unabhängigkeit nicht gewährleistet ist, wenn es keine gewählte Behördenleitung gibt. Und wir haben diesen Zustand ja schon seit zwei Jahren. Damals ist Herr von Bose, der ehemalige Landesdatenschutzbeauftragte, aus Altersgründen ausgeschieden. Aber auch vorher hatten wir drei Jahre lang einen Zwischenzustand. Denn seine Amtszeit war ausgelaufen und auch in diesen drei Jahren ist es dem damaligen Landtag offensichtlich nicht gelungen, diesen Posten wieder neu zu besetzen. Eine unabhängige Datenschutzkontrolle setzt natürlich voraus, dass innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Fristen jemand gewählt wird. Das ist beim Datenschutzbeauftragten nicht anders als bei anderen öffentlichen Ämtern, speziell wenn dort eine Amtszeitbegrenzung vorgesehen ist.
Gab es so etwas vorher schon einmal?
Es hat immer mal wieder gehakt beim Finden von Nachfolgerinnen und Nachfolgern von Datenschutzbeauftragten. Wenn sich das in einem Zeitraum von einigen Monaten bewegt, dann ist das sicherlich hinzunehmen. Aber wenn sich das über Jahre hinzieht und wenn irgendwann überhaupt niemand mehr an der Spitze dieser Behörde steht, der vom Parlament gewählt wurde, dann ist die Unabhängigkeit der Datenschutzaufsicht aus meiner Sicht nicht mehr gegeben.
Sie haben am Donnerstag auf Twitter geschrieben, dass nun ein EU-Vertragsverletzungsverfahren fällig werden kann. Was bedeutet das?
Das europäische Recht sieht vor, dass in allen Fällen, in denen die Vorgaben von europäischen Gesetzen nicht eingehalten werden, die Europäische Kommission die Durchsetzung dieses Europarechts erzwingt. Und das Mittel, um diese Forderung des europäischen Rechts durchzusetzen, ist das sogenannte Vertragsverletzungsverfahren. Dann würde die Europäische Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof gegen Deutschland klagen. Und wenn Deutschland verurteilt würde, wovon ich in diesem Falle ausgehe, müsste es dann eine sehr hohe Strafe für jeden Tag bezahlen, in dem dieses Gesetz nicht eingehalten wird. Das gibt es auch in anderen Politikbereichen. Aber es ist natürlich eine hoch ärgerliche Angelegenheit und es wäre schrecklich peinlich, wenn Deutschland, das so viel auf seinen Datenschutz hält, hier patzt.
Fordern Sie, dass die EU-Kommission ein solches Verfahren einleitet?
Ich halte es für naheliegend, dass sie das tut. Es steht nicht in meiner Macht, die EU-Kommission zu irgendetwas zu verpflichten. Aber ich denke, wenn man das ernst nimmt, dass es eine unabhängige Datenschutzaufsicht geben muss, dann muss die Europäische Kommission entsprechend handeln.
Die Fragen stellte Marcel Roth.
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MDR (Marcel Roth, Fabienne von der Eltz)
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 24. März 2022 | 19:00 Uhr
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