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Aufarbeitung und Tipps in der KriseGewalt gegen Lehrkräfte: So soll Betroffenen geholfen werden

20. Juni 2023, 15:22 Uhr

An vielen Schulen ist Gewalt gegen Lehrkräfte keine Seltenheit mehr. Auch das Landesschulamt beobachtet die Entwicklung – und sichert Betroffenen vor allem psychologische Unterstützung zu. Für Schulen und Lehrer gibt es zudem Beratungen im Präventionsbereich. Welche Hilfsangebote es gibt.

Tobias Kühne kennt das Problem. "Gewalt gegen Lehrkräfte ist ein Thema", sagt der Sprecher des Landesschulamtes in Sachsen-Anhalt. Und: "Jeder Fall, der an einer Schule passiert, ist ein Fall zu viel. Gewalt gehört dort nicht hin. Dort soll eine vertrauensvolle Atmosphäre herrschen. Dort soll sich jeder sicher fühlen."

Doch das ist längst nicht mehr immer und überall an Sachsen-Anhalts Schulen der Fall. An vielen Bildungseinrichtungen ist Gewalt gegen Lehrkräfte alltäglich, mindestens psychisch. Deutlich häufiger als in den Vorjahren sind Lehrerinnen und Lehrer im vergangenen Jahr das Ziel von Straftaten im Umfeld von Schulen geworden. Das geht aus Zahlen des Innenministeriums hervor.

Demnach registrierte die Behörde 104 Opferstraftaten zum Nachteil von Lehrern. Davon waren 43 Fälle von Körperverletzung und 45 Fälle von Bedrohungen. Auch bundesweit ist dieser Trend zu beobachten: Laut einer Umfrage des Verbands für Bildung und Erziehung (VBE) berichteten 32 Prozent von 1.308 befragten Schulleitern von körperlichen Angriffen gegen Lehrer an ihrer Schule in den vergangenen fünf Jahren. Zum Vergleich: 2018 waren es noch 26 Prozent.

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Beleidigungen und Androhung körperlicher Gewalt (fast) an der Tagesordnung

Zahlreiche Lehrerinnen und Lehrer bestätigen MDR SACHSEN-ANHALT eine besorgniserregende Entwicklung. Beleidigungen seien fast schon an der Tagesordnung, bis hin zur Androhung körperlicher Gewalt. Immer mehr Schülerinnen und Schüler hätten immer weniger Respekt vor den Lehrerinnen und Lehrern, schilderten zwei Lehrkräfte aus Magdeburg. Eine Kollegin berichtete von körperlicher Gewalt und Angstzuständen als Folge. Die letzte Konsequenz: Sie kündigte.

Wir fragen uns: Warum müssen wir uns das alles gefallen lassen? Warum machen wir das eigentlich noch? Die Situation demotiviert viele Kollegen.

Michaela Märtens | Lehrerin an einer Gemeinschaftsschule in Magdeburg

Was die Gesprächspartner eint: Sie alle fühlten sich hilflos. "Wir fühlen uns alleingelassen", sagt Michaela Märtens, Lehrerin an einer Gemeinschaftsschule in Magdeburg. Alleingelassen, auch vom Landesschulamt, dem Bildungsministerium, der Politik insgesamt. "Und wir fragen uns: Warum müssen wir uns das alles gefallen lassen? Warum machen wir das eigentlich noch? Die Situation demotiviert viele Kollegen."

Fatal, gerade vor dem Hintergrund des Lehrermangels. Also: Wie soll betroffenen Lehrkräften geholfen werden?

Im Audio hören Sie Tobias Kühne vom Landesschulamt. Er schildert, welche Hilfsangebote für Lehrerinnen und Lehrer es bereits gibt.

"Krisenordner" mit Handlungsempfehlungen

Das wichtigste Instrument des Landesschulamtes trägt den Namen "Krisenordner". Dieser liegt in jeder Schule aus, das Lehrpersonal kennt ihn. In diesem steht beschrieben, wie im Fall von Gewalt gegen Schulpersonal zu handeln ist. Wie hilft man den Opfern? Was macht man mit den Tätern? Wann wird die Polizei eingeschaltet? Wie werden Psychologen hinzugezogen?

"Dieses Instrument soll in erster Linie Betroffenen den nötigen Halt geben. Wir glauben, dass das eine gute Grundlage ist, um auf solche Vorkommnisse zu reagieren", sagt Tobias Kühne. Außerdem "erhalten Lehrer eine unmittelbare Unterstützung von uns als Landesschulamt durch die Schulpsychologie". Auch eine längere Betreuung sei abgedeckt. Dass die direkte Hilfe offenbar nicht immer gelingt, zeigen Schilderungen mehrerer Lehrerinnen in Magdeburg – unter anderem jene, die schließlich kündigte.

"Ganz wichtig ist auch das Kollegium und die Aufarbeitung des Vorfalls in der Schule", sagt der Sprecher des Landesschulamtes. "Da muss es einen klaren Täter-Opfer-Ausgleich geben, damit alle Beteiligten wissen, dass das nicht geht. Da muss klar erkennbar sein, dass der Täter auch eine Strafe bekommt."

Die Schule habe dabei grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Erziehungsmaßnahmen oder Ordnungsmaßnahmen. "Erziehungsmaßnahmen sind das sanftere Mittel, also die Ansprache, das Erklären, das pädagogische Arbeiten mit dem Kind", sagt Kühne. "Ordnungsmaßnahmen sind formalisierte Konsequenzen, zum Beispiel der zeitweilige Ausschluss vom Unterricht."

Im Video sehen Sie ein Interview mit Carsten Müller von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Er berät Lehrkräfte und verweist auf die Wichtigkeit des gegenseitigen Austauschs:

Tatort Schule – welche Konsequenzen drohen

Bei massiven Gewaltvorkommnissen könnten auch sofortige Unterrichtsausschlüsse verhängt werden, so Kühne. "Da kommt dann auch die Polizei mit auf den Plan. Das sind dann auch Ermittlungsverfahren, die zu Gerichtsverfahren führen können, wenn die Schüler schon älter sind und strafmündig. Da arbeitet die Schule nicht alleine."

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Ohnehin sei die Zusammenarbeit aller Beteiligter wichtig, so der Sprecher, denn: "Solche Vorkommnisse sind eine schwere Belastung für die Schulgemeinschaft insgesamt. Auch Zeugen, meist Kinder und Jugendliche, müssen das verarbeiten, haben zum Teil traumatische Erfahrungen. All das muss behandelt werden. Und man muss klar den Kompass setzen in der Schülerschaft, dass das nicht geht. Das ist viel Arbeit für eine Schule, die davon betroffen ist."

Deshalb sei Prävention so wichtig, sagt Kühne: "Wir bieten sowohl Lehrern als auch den Schulen unsere Beratung an. Wenn jemand das Gefühl hat, es entsteht an seiner Schule eine Stimmung, die zu Gewalt führen kann, dann kann er dort schon ansetzen und entgegenwirken."

Die Bedeutung von Prävention unterstreicht auch Sachsen-Anhalts Bildungsministerium: Es betont in einer Stellungnahme auf MDR-Anfrage unter anderem, man habe bereits im Jahr 2019 eine Befragung zur psychischen Belastung an Schulen um Fragen zur verbalen und körperlichen Aggression erweitert. Aus den Antworten würden individuelle Ansatzpunkte für jede Schule erarbeitet.

Hinweis der Redaktion: Wir haben diesen Text am 20. Juni um den letzten Absatz erweitert. Er fußt auf Rückmeldungen des Bildungsministeriums, das diese nach Veröffentlichung dieses Textes übermittelt hat.

TV-Tipp: FAKT IST! aus Magdeburg zu Gewalt gegen Lehrkräfte

In der MDR-Sendung FAKT IST! aus Magdeburg ging es am Montag um Gewalt im Klassenzimmer. Zu Gast waren unter anderem die Psychologin Dr. Saskia Fischer aus Magdeburg, der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im sachsen-anhaltischen Landtag, Carsten Borchert, sowie der Lehrer Tobias Nolte aus Berlin. Die Sendung befindet sich in der Mediathek.

In der Sendung wurden verschiedene Lösungsansätze diskutiert, um gegen Gewalt in den Schulen vorzugehen. Tobias Nolte erklärte, um Gewalt vorzubeugen, sei neben der fachlichen Arbeit Beziehungsarbeit mit den Schülerinnen und Schülern sehr wichtig. Dafür brauche es viel Zeit.

Um diese Zeit zu erhalten, schlug Borchert (CDU) vor: "Ich bin der festen Meinung, dass es an der Zeit ist, die Lehrpläne zu entschlacken. Wir unterrichten teilweise Dinge, die keinen mehr interessieren. Und da gewinnen wir Zeit. Wir dürfen das nicht weiter so machen, dass alles unter Druck steht."

Mehr zum Thema: Gewalt gegen Lehrkräfte

MDR (Daniel George)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 19. Juni 2023 | 19:00 Uhr

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