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Neue ParteiKlimaliste: "Wir wollen die Grünen nicht abschießen, sondern Druck aufbauen"

27. März 2021, 18:53 Uhr

Die Klimaliste kämpft bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt mit radikaler Klimaschutz-Politik um Wählerstimmen. Von der Fünf-Prozent-Hürde ist die Partei allerdings wohl noch weit entfernt. Doch könnte sie den Grünen entscheidende Stimmen wegnehmen?

Plötzlich Parteivorstand – so lässt sich der Werdegang von Jens Eberhard beschreiben. "Es gab so gut wie niemand anderen im Vorstand, der die Aufgabe übernehmen wollte, uns in der Öffentlichkeit zu vertreten", erzählt der 34-Jährige aus Halle. "Also habe ich aus der Not heraus diese Rolle übernommen, weil ich voll hinter unserer Sache stehe."

Die Sache heißt Klimaschutz und die Partei, der Eberhard vorsteht, nennt sich Klimaliste. Sie existiert in Sachsen-Anhalt seit etwas mehr als einem Monat. 13 Mitglieder zählen aktuell zu ihr. Und sie will bei den Landtagswahlen im Juni antreten. "Für einen radikalen Klimaschutz", wie Eberhard sagt.

Verhindert Klimaliste progressive Bündnisse?

Bundesweite Aufmerksamkeit erlangte die Klimaliste zuletzt im Zuge der Landtagswahl in Baden-Württemberg. Die Grünen um Ministerpräsident Winfried Kretschmann hatten im Vorfeld eine gewisse Furcht vor der neuen Partei geäußert. 0,9 Prozent der Stimmen erreichte die Klimaliste schlussendlich. Konkret: 42.000 Menschen wählten sie. Damit blieb die Klimaliste unter der Schwelle von einem Prozent, ab der sie Geld aus der staatlichen Parteienfinanzierung erhalten hätte.

Trotzdem wurde vor allem in den sozialen Netzwerken anschließend Kritik laut. Der Vorwurf: Ihr Stimmenanteil habe eine mögliche Stimmenmehrheit von Grünen und SPD – ohne Beteiligung der FDP – verhindert. Und somit eine progressivere Klimaschutz-Politik. Belegen lässt sich das nicht. Statistiken zur Wählerwanderung von infratest-dimap zeigen nur, dass von den Grünen 105.000 Wähler zu kleineren Parteien abgewandert sind.  

Doch: Hätten alle Wähler der Klimaliste stattdessen SPD oder die Grünen gewählt, dann hätte es für die Koalition gereicht, wie die "taz" schreibt.

Jens Eberhard aus Halle sagt: "Wir wollen die Grünen nicht abschießen, sondern letztlich nur Druck aufbauen. Ich würde es begrüßen, wenn sie mit uns in den Dialog treten und wir endlich darüber reden, wie wir die Klimakrise konsequent angehen können. In Baden-Württemberg hat sich doch gezeigt, dass unser Druck zu etwas führt: Die Grünen haben sich das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens, für das wir kämpfen, endlich deutlich auf die Fahnen geschrieben."

Der Gedanke: Entweder entscheiden sich die Menschen für die Klimaliste oder wählen wenigstens die aus deren Sicht gemäßigtere Variante des Klimaschutzes mit den Grünen. So oder so: "Das Thema wird trotz Corona mehr in den Fokus gerückt. Und einzig darum geht es uns", sagt Jens Eberhard. Eine Zersplitterung fürchte er nicht.

Was sagen die Grünen zur Konkurrenz?

Nur: Warum engagieren sich die Mitglieder und Mitgliederinnen der Klimaliste nicht einfach bei den Grünen? Oder anders gefragt: Warum sollten die Menschen die Klimaliste den Grünen bei der Wahl vorziehen? "Die Grünen entwickeln sich in eine Richtung, die eher in die Mitte geht. Sie wollen massentauglicher werden. In dem Sinne, dass sie ihr Programm dahingehend gestalten, dass es auch kompromissfähig mit anderen Parteien ist", sagt Eberhard. "Das lehnen wir ab. Klimaschutz darf kein Kompromissthema mehr sein."

Und weiter: "Wir wollen, dass die Klimafrage im Zentrum steht und dass alle notwendigen Maßnahmen jetzt passieren und nicht in ferner Zukunft. In diesem Sinne beanspruchen wir einen konsequenteren Klimaschutz. Unser Ziel ist, dass der politische Diskurs sich in diese Richtung verschiebt, indem wir ein progressiveres Angebot schaffen."

Und was sagen die Grünen dazu? "Je mehr politische Mitbewerber sich mit dem Klimaschutz beschäftigen, desto präsenter ist das Thema", sagt Cornelia Lüddemann, Spitzenkandidatin der Grünen für die Landtagswahl. Sie könne verstehen, dass ihre Partei als "nicht mehr so straight" wahrgenommen werde wie vor 20 Jahren.

Bildrechte: MDR/Stephan Schulz

Je mehr politische Mitbewerber sich mit dem Klimaschutz beschäftigen, desto präsenter ist das Thema.

Cornelia Lüddemann | Spitzenkandidatin der Grünen für die Landtagswahl

Der große Unterschied sei aber, dass die Grünen mittlerweile in der Landesregierung sind und dort tatsächlich Dinge umsetzen können. Sprich: verlässliche Energiepolitik für alle machen. Lüddemann: "Auch die Grünen haben mitunter schmerzlich lernen müssen, dass Regierungshandeln immer auch damit zu tun hat, rechtssichere Entscheidungen zu treffen."

Bei der Klimaliste hört sich das noch idealistischer an. Sie wollen einen anderen Ansatz von Politik wählen, so Jens Eberhard: "Mehr Demokratie wagen, mehr Bürgerbeteiligung bis hin zu Volksentscheiden. Wir wollen die Leute mit einbeziehen in unsere Entscheidungen und nicht wie andere als Interessenvertretung von bestimmten Lobbys agieren."

Beliebt bei den Future-Bewegungen?

Noch in dieser Woche werde die Klimaliste Sachsen-Anhalt voraussichtlich die geforderten 300 Unterschriften, die notwendig sind, um an der Landtagswahl teilzunehmen, erreichen, sagt der Parteivorstand. Eine vielleicht entscheidende Frage: Wirkt die Klimaliste für Aktivisten und Aktivistinnen von Klimabewegungen wie "Scientist for Future" oder "Students for Future" anziehender als die Grünen?

Jens Eberhard – gelernter Elektriker, mittlerweile Master-Student der Philosophie – hat sich selbst jahrelang bei "Students for Future" engagiert. "Deutschlandweit gibt es auch zahlreiche Mitglieder oder Unterstützer und Unterstützerinnen, die in den Future-Bewegungen oder anderen NGOs (Nichtregierungsorganisationen – Anmerkung der Redaktion) aktiv sind", sagt der 34-Jährige. "Aber auch Leute, die sich jetzt erst dem Klimaschutz verschrieben haben."

Fest stünde für sie alle: "Die konsequente Beantwortung der Klimafrage braucht ein stärkeres politisches Gewicht", sagt Eberhard. "Demonstrationen und Protestaktionen bewirken offensichtlich leider zu wenig. Deshalb wollen wir auf der politischen Ebene noch mehr Druck aufbauen."

Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den AutorDaniel George wurde 1992 in Magdeburg geboren. Nach dem Studium Journalistik und Medienmanagement zog es ihn erst nach Dessau und später nach Halle. Dort arbeitete er für die Mitteldeutsche Zeitung.

Vom Internet und den neuen Möglichkeiten darin ist er fasziniert. Deshalb zog es ihn im April 2017 zurück in seine Heimatstadt. Bei MDR SACHSEN-ANHALT arbeitet er seitdem als Sport-, Social-Media- und Politik-Redakteur arbeitet, immer auf der Suche nach guten Geschichten, immer im Austausch mit unseren Nutzern.

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Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 19. März 2021 | 19:00 Uhr

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