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Auch in Sachsen-Anhalts Schulen kommt es immer öfter zu Vorfällen mit rechtsextremem Hintergrund. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance/dpa | Patrick Pleul

Rassismus und SchmierereienHakenkreuze und Hetze: Der Kampf gegen Rechtsextremismus an Schulenvon Lucas Riemer und Laura Sinem Hönes, MDR SACHSEN-ANHALT

24. Oktober 2023, 07:22 Uhr

Im Jahr 2022 hat die Zahl rechtsextremer Vorfälle an Schulen in Sachsen-Anhalt einen Höchststand erreicht. In Projekten sollen demokratische Werte bei Kindern und Jugendlichen gestärkt werden, um dem Problem Herr zu werden. Gleichzeitig plädieren der Landesschülerrat und ein Rechtsextremismusexperte für Reformen an den Schulen.

  • "Bei uns an der Schule werden viele Hakenkreuze gekritzelt. Ich finde das respektlos, wenn man sowas macht. Gerade, weil wir auch viele ausländische Kinder auf der Schule haben. Ich verstehe nicht, warum man sowas tut. Auch die Lehrer waren geschockt", sagt Lucia, 14 Jahre, aus Kalbe (Milde).
  • "Schmierereien mit Hakenkreuzen oder 'Ausländer raus' kommen bei uns öfter vor. Bei uns an der Schule sind fast nur Deutsche. Es ist schade, dass manche keine Ausländer mögen. Ich finde das nicht schön", sagt Kim Marie, 13 Jahre, aus Salzwedel.
  • "Viele Tische bei uns sind bekritzelt mit ausländerfeindlichen Sprüchen und Hakenkreuzen. Manche machen auch Witze über einen dunkelhäutigen Mitschüler, aber ich weiß nicht, ob das ernst gemeint ist", sagt Jula, 11 Jahre, aus Kalbe (Milde).

Das, was die drei Schülerinnen aus dem Altmarkkreis Salzwedel berichten, sind keine Einzelfälle. Zahlen des Innenministeriums zeigen, dass es allein im Jahr 2022 zu 78 rechtsextremen Vorfällen an den Schulen in Sachsen-Anhalt kam – ein Höchststand im Zehnjahresvergleich. Die Dunkelziffer dürfte noch deutlich höher liegen, denn wohl längst nicht jede Schmiererei oder rassistische Beleidigung wird gemeldet.

Rechtsextremismus in der Schule und im digitalen Raum

"Früher gab es solche Vorfälle eher in ländlichen Schulen und älteren Jahrgängen. Heute erlebe ich rechte Vorfälle ab der fünften Klasse, fast flächendeckend, unabhängig von Ort und Schulform. Videos, Chatgruppen, digital, analog, es sind vielfältige Wege, wie solche Strömungen in die Schule gelangen, und das ist erschreckend", sagt Cathleen Hoffmann. Sie ist politische Bildungsreferentin bei den "Landheld*innen", einem Modellprojekt, das sich für Demokratiebildung und Extremismusprävention in der Altmark einsetzt.

Rund 20 Kinder und Jugendliche nehmen an dem Demokratiespiel in Arendsee teil. Bildrechte: MDR/Lucas Riemer

An einem Mittwochvormittag im Oktober ist Hoffmann im Kinder- und Jugenderholungszentrum Arendsee zu Gast, wo sie in einem Feriencamp Lucia, Kim Marie, Jula und rund 20 weitere Kinder und Jugendliche aus dem Norden Sachsen-Anhalts bei einem Demokratiespiel anleitet. Die Teilnehmenden bilden dabei vier verschiedene Fraktionen im Stadtrat einer fiktiven Stadt. Trotz ihrer konträren Interessen sollen sie sich mit demokratischen Mitteln einigen, wo in ihrer Stadt eine neue Straße gebaut wird.

Während Lucia als Mitglied der "Bauernfraktion" für den Erhalt der Felder kämpft, wollen Jula und Kim Maria mit ihrer "Umweltfraktion" eine Zerstörung der Wälder verhindern. Jede der vier Fraktionen schreibt dafür ihre Forderungen mit Filzstift auf bunte Poster. "Keine Straße, rettet unsere Geschäfte" steht da, oder "Acker sind wichtiger als Wälder!". Später müssen sie miteinander in Verhandlungen treten, um sich auf einen Kompromiss zu einigen.

"Rassismus und Antisemitismus werden durch Social Media gepusht" – Schülersprecherin

"Die Jugendlichen erfahren, dass sie etwas verändern können und gehört werden. Außerdem müssen sie Verantwortung übernehmen", sagt Hoffmann, die auch für die Grünen im Stadtrat von Salzwedel sitzt. Der Gedanke dahinter: Verinnerlichen Kinder demokratische Werte, sind sie auch eher in der Lage, sich kritisch mit demokratiefeindlichen Inhalten oder Äußerungen auseinanderzusetzen.

Rassismus und Antisemitismus werden immer stärker, gerade durch Social Media wird das sehr gepusht.

Greta Steinmetz | Landesschülersprecherin

Immer mehr rechtsextreme Vorfälle an Sachsen-Anhalts Schulen beobachtet auch Landesschülersprecherin Greta Steinmetz. "Rassismus und Antisemitismus werden immer stärker, gerade durch Social Media wird das sehr gepusht", sagt die 17-Jährige. "Da werden antisemitische und rassistische Sticker als vermeintlich lustige Symbole in Klassenchatgruppen verwendet, obwohl sie völlig unangemessen sind."

Längst nicht immer steckten dahinter tatsächlich rechtsextreme Motive, glaubt Steinmetz. Oft seien es schlicht Unwissenheit oder die Lust an der Provokation: "Viele wissen gar nicht, welche Ideologie dahintersteht. Meiner Meinung nach ist es ein großes Problem, dass die Kinder viel zu spät dafür sensibilisiert werden und gar nicht mit dem Thema umzugehen wissen."

Rechtsextremismus an Schulen auch in den 1990ern und 2000ern verbreitet

Wo die Grenze zwischen Provokation und tatsächlich rechtsextremen Einstellungen verläuft, ist nicht immer leicht zu erkennen. "Nachrichten und Bilder in Messenger-Diensten allein sind noch kein Indikator für die Verbreitung von rechtsextremem Gedankengut", sagt der Rechtsextremismusexperte David Begrich vom Miteinander e.V. in Magdeburg. "Relevant wird es dann, wenn es über pure Provokation hinausgeht, wenn sich entsprechendes Verhalten auch auf dem Schulhof widerspiegelt."

Wir erleben im Kontext einer polarisierten Gesellschaft, dass bestimmte Phänomene zurückkehren.

David Begrich | Rechtsextremismusexperte

David Begrich arbeitet beim Miteinander e.V. in Magdeburg. Bildrechte: MDR/Lucas Riemer

Doch auch Begrich stellt fest, dass sich die Grenzen des Sagbaren verschieben und rechte Einstellungen unter Jugendlichen zunehmend salonfähig werden. "Wir hatten bereits in den 1990er und 2000er Jahren eine sehr weitverbreitete rechtsextreme Jugendkultur an Schulen und Jugendeinrichtungen. Dann war das eine Zeitlang verschwunden, jedenfalls in der Sichtbarkeit, und jetzt erleben wir im Kontext einer polarisierten Gesellschaft, dass bestimmte Phänomene zurückkehren", sagt Begrich.

Zurück beim Demokratiespiel in Arendsee, wo sich die Fraktionen des fiktiven Stadtparlamentes inzwischen geeinigt haben: Die Straße wird gebaut, allerdings mit Tempolimit, Blitzern und Ampeln. Der Beschluss fällt beinahe einstimmig, nur drei Kinder enthalten sich. Spielleiterin Cathleen Hoffmann lobt die schnelle und konstruktive Einigung, danach stürmen die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer in die Mittagspause.

Helfen Demokratie-Spiele, um Extremismus vorzubeugen?

Doch helfen solche Übungen tatsächlich, um extremistische Vorfälle zu verhindern? Die 14-jährige Lucia aus Kalbe (Milde) glaubt nicht daran. "Es sollte lieber Projekttage an der Schule geben, um gegen sowas vorzugehen", sagt sie. Kim Marie aus Salzwedel ist anderer Meinung: "Ich denke, Spiele wie dieses können helfen, damit solche Vorfälle in Zukunft seltener vorkommen, weil man auch lernt, sich in andere hineinzuversetzen", sagt die 13-Jährige.

Cathleen Hoffmann ist Bildungsreferentin bei den Landheld*innen. Bildrechte: MDR/Lucas Riemer

Für Cathleen Hoffmann von den "Landheld*innen" ist klar, dass ein Vormittag wie dieser nur ein erster Schritt sein kann. "Radikalisierungsprävention ist ein langer Prozess, der viel Zeit braucht. Schule muss gewillt sein, das einzugehen", sagt sie – und empfiehlt einen Blick ins benachbarte Brandenburg: "Eigentlich bräuchte jede Schule politische Bildungsarbeit von Anfang an. In Brandenburg gibt es das Fach Politische Bildung bereits ab der fünften Klasse, da lernt man demokratische Prozesse, das ist doch toll für unsere Demokratie."

Mehr Sozialarbeit in den Schulen?

Der Magdeburger Rechtsextremismusexperte David Begrich plädiert dafür, Schulsozialarbeit auszubauen. Außerdem müssten Lehrerinnen und Lehrer in der Kompetenz gestärkt werden, rechtsextreme Vorfälle überhaupt zu erkennen, so Begrich.

Greta Steinmetz ist seit Sommer Landesschülersprecherin. Bildrechte: MDR/Lucas Riemer

Eine Idee, wie sich Extremismusprävention besser in den Schulalltag integrieren lassen könnte, hat auch Landesschülersprecherin Greta Steinmetz. "Im Geschichtsunterricht wird das Thema Nationalsozialismus frühestens in der neunten Klasse angesprochen, es wird überhaupt nicht richtig darauf eingegangen, was dahintersteht. Aber wenn man die Geschichte nicht versteht, kann man das ganz schlecht auf die heutige Zeit projizieren", sagt Steinmetz. Ihr Wunsch: "Das muss viel früher angesprochen werden und viel früher in den Schulen thematisiert werden, damit man auch frühzeitig dagegen vorgehen kann."

"Erlernen von Demokratie fest in den Schulen verankert"

Sachsen-Anhalts Bildungsministerium hält von dieser Idee allerdings wenig. Auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT teilt eine Sprecherin mit, dass "die ernsthafte Behandlung des Nationalsozialismus (…) Reife und Vorkenntnisse voraussetzt, die eine mentale und inhaltliche Verarbeitung und Einordnung ermöglicht."

Die Lehrplaneinordnung des Nationalsozialismus für das Fach Geschichte im neunten Schuljahr sei daher "schulfachlich durchaus sachgerecht." Es sei jedoch übergreifendes Ziel schulischer Arbeit in allen Jahrgängen, Schulformen und Fächern, humanistische Verhaltensweisen schon in möglichst jungen Jahren auszuprägen. Extremismusprävention und das Erlernen von Demokratie seien zudem außerhalb des Unterrichts und außerschulisch fest in den Schulen des Landes verankert, etwa durch das Netzwerk "Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage".

Gefragt nach der Idee eines Schulfaches Politische Bildung auch in Sachsen-Anhalt, verweist die Sprecherin des Bildungsministeriums auf das Fach Sozialkunde. In diesem würden Schülerinnen und Schüler hierzulande "Kompetenzen erlernen, welche sie benötigen, um ihre Rolle als mündige, demokratisch handelnde und aktive Bürgerinnen und Bürger in Staat und Gesellschaft ausfüllen zu können." Der Schwerpunkt des Faches liege auf der "Entwicklung der Demokratiekompetenz".

Landesschülerrat entwickelt Workshop

Schulen, an denen es zu rechtsextremen Vorfällen gekommen ist, sind nach Angaben des Bildungsministeriums verpflichtet, diese Vorkommnisse dem Landesschulamt zu melden. Sie würden dann von Seiten der Schulaufsicht begleitet und unterstützt. "Umfangreiche Handlungsleitlinien" würden den Schulen im Land zudem "Hilfestellungen im Umgang mit besonders herausfordernden Situationen" wie etwa rechtsextremen Vorfällen geben.

Auf politische Handlungsleitlinien und die Schulen allein will sich der Landesschülerrat jedoch nicht mehr verlassen. Greta Steinmetz und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter entwickeln deshalb derzeit einen Anti-Mobbing-Workshop weiter, mit dem sie regelmäßig an Schulen zu Gast sind. Schon bald soll darin auch das Thema Rechtsextremismus eine Rolle spielen – damit Hakenkreuz-Schmierereien und andere rechte Vorfälle an Schulen bald der Vergangenheit angehören.

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MDR (Lucas Riemer, Laura Sinem Hönes)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 23. Oktober 2023 | 19:00 Uhr

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