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Wie verändert die Pandemie die Sprache von Politikerinnen und Politikern im Wahlkampf? Nicht so sehr, wie die Themen es tun, sagt die Linguistin Kristin Kuck. Bildrechte: PantherMedia/Karsten Ehlers

Linguistin zur LandtagswahlStreit um Wörter: Wie Corona die politische Sprache im Wahlkampf verändert

11. April 2021, 14:48 Uhr

Am 6. Juni wird in Sachsen-Anhalt ein neuer Landtag gewählt – und der Wahlkampf nimmt mit jedem Tag an Fahrt auf. Doch dieser Wahlkampf ist anders als bisherige Wahlkämpfe – allein wegen der Corona-Pandemie und all ihren Auswirkungen. Was bedeutet das für die Sprache, die Politik verwendet? MDR SACHSEN-ANHALT hat darüber mit der Linguistin Kristin Kuck von der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg gesprochen.

MDR SACHSEN-ANHALT: Frau Kuck, verändert die Corona-Pandemie, wie Parteien im Wahlkampf ihre potenziellen Wählerinnen und Wähler ansprechen?

Kristin Kuck: Es gibt Veränderungen. Aber vor allem bei den Themen im Wahlkampf. Da ist Corona natürlich präsent. Und wenn ich die Sprache nicht von den Themen trenne, erleben wir natürlich auch eine sprachliche Veränderung. Denken Sie nur an das Wort "Lockdown". Die Definition, was "Lockdown" denn nun bedeutet, kann von Partei zu Partei durchaus unterschiedlich sein. Das heißt, das Wort wird auch wahlkämpferischen Prinzipien unterworfen. Der Streit um Wörter, der auch bei allen anderen Themen üblich ist, überträgt sich auch auf dieses Thema.

Welche Rolle spielt dabei aus sprachlicher Sicht, dass sich der Wahlkampf wegen der Kontaktbeschränkungen noch stärker ins Digitale bewegt als ohnehin schon?

Man kann durchaus beobachten, dass die Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten aktiver in den sozialen Netzwerken sind. Der Straßenwahlkampf ist momentan ja quasi unmöglich. Also begeben sich Kandidatinnen und Kandidaten in andere Formate. Die SPD-Kandidatin Katja Pähle etwa führt regelmäßige Bürgergespräche, die jetzt ins Digitale verlagert worden sind. Da bietet sich so ein soziales Netzwerk natürlich an.

Ist der Ton im Wahlkampf in den vergangenen Jahren rauer geworden? Die FDP sprach neulich von einem "Drama" – und meinte damit die Politik der Landesregierung in den vergangenen fünf Jahren.

Ja, der Ton hat sich verschärft. Der Wahlkampf an sich hat sich verändert: Er ist stärker auf Personen fokussiert, ist kämpferischer und drastischer geworden. Das kann durchaus mit den sozialen Netzwerken zu tun haben. Man hat weniger Text, arbeitet mit Text-Bild-Konglomeraten. Das macht es möglich, zu emotionalisieren.

Die Expertin: Das ist Kristin Kuck

Dr. Kristin Kuck ist germanistische Linguistin an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg. Dort lehrt sie unter anderem linguistische Wahlbeobachtung oder Mediendiskursanalyse. Mit ihrem Kollegen Prof. Dr. Kersten Sven Roth leitet Kuck die im Februar gegründete Arbeitsstelle für linguistische Gesellschaftsforschung. Dort wird laut Kuck sprachwissenschaftliche Expertise zur Analyse gesellschaftlicher Themen angeboten. Die Arbeitsstelle versteht sich als eine Brücke, Wissenschaft und Öffentlichkeit miteinander zu verknüpfen.

Was bedeutet das überhaupt: Sprache im Wahlkampf? Ist die Sprache von Politikerinnen und Politikern im Wahlkampf eine andere als sonst?

Die Sprache im Wahlkampf und die Sprache außerhalb des Wahlkampfs ist an sich erstmal nicht unterschiedlich. Sie wird aber anders genutzt, mit anderer Intention. Parteien haben zum Beispiel ein stärkeres Bedürfnis, sich zu profilieren, sich von anderen Parteien abzugrenzen. Ein schönes Beispiel dafür hat die CDU in Sachsen-Anhalt neulich geliefert: Reiner Haseloff sagte dort, dass er sich grundsätzlich wieder eine Koalition mit SPD und Grünen vorstellen könne, weil sie eine breite Schicht der Bevölkerung abbilde. Im Gegensatz dazu hat Sven Schulze (neu gewählter Vorsitzender der CDU in Sachsen-Anhalt, Anm. d. Red.) die Grünen zum Gegner im Wahlkampf erklärt, indem er sie als "Verbotspartei" bezeichnet hat.

Also wissen Wählerinnen und Wähler nicht, was sie mit der CDU nach der Wahl bekommen?

Die grundsätzliche Bereitschaft, eine Koalition weiterführen zu wollen und der wahlkämpferische Aspekt, sich jetzt abzugrenzen, sind völlig üblich für Wahlkämpfe. Das ist nicht außergewöhnlich.

Lassen Sie uns auf den Wahlkampf insgesamt schauen. Welche klassischen sprachlichen Muster verwenden Parteien dort?

Es gibt ganz klassische rhetorische Muster. Dazu gehört der schon genannte Streit um Wörter. Den gibt es prinzipiell immer, in Wahlkämpfen gewinnt er aber noch einmal an Fahrt. Denken Sie an den Begriff "Strukturwandel" – davon spricht die CDU häufig, wenn es um den Kohleausstieg geht. Die Grünen dagegen sprechen für gewöhnlich von "Energiewende", kritisieren den Strukturwandel. Hier treten beide Parteien also in Konkurrenz um die Benennung des gleichen Sachverhalts. Das wird besonders in Wahlkämpfen sehr stringent durchgehalten.

Welche Rolle spielen die Slogans auf Wahlplakaten, die nun wieder an jeder Straßenecke aufgehängt werden?

Auf Wahlplakaten wird sehr viel mit sogenannten Deutungsoffenheiten gearbeitet. Das bedeutet, dass sich möglichst viele potenzielle Wählerinnen und Wähler angesprochen fühlen sollen. Parteien verwenden dafür Worte, mit denen jeder etwas anfangen kann – die aber für jeden anders besetzt sein können. Unterschiedliche Gruppen können also etwas Unterschiedliches unter einem Slogan verstehen.

Die CDU in Sachsen-Anhalt hat ihr Wahlprogramm mit "Unsere Heimat. Unsere Verantwortung." überschrieben.

Wir alle wissen, dass der Heimatbegriff sehr subjektiv ist. Aber er wird durchaus kritisiert, weil er einen konservativen Einschlag hat. Das ist ein gutes Beispiel für ein deutungsoffenes Wort. Auch der Slogan "Wir mit ihr" der SPD bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz war ziemlich deutungsoffen.

Inwiefern?

Es beginnt mit der Frage: Wer ist "wir"? Die SPD dort hat darauf gesetzt, mit der Person Malu Dreyer zu punkten. Ohne ein Bild von ihr funktioniert das Plakat "Wir mit ihr" nicht. Die Partei setzte also voraus, dass die Person bekannt ist. Die SPD hat Dreyer in diesem Fall nicht einmal benannt. Das war eine Demonstration von Diskursmacht. Im Grunde ist das auch eine Variante des Slogans "Sie kennen mich", den der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann in seinem Wahlkampf benutzte. In der Summe reden wir in diesem Beispiel aber über Wörter mit einer sehr schwachen Eigenbedeutung, die da aneinandergereiht worden sind.

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Lassen Sie uns auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf unsere Sprache blicken. Haben wir alle uns durch Pandemie sprachlich weiterentwickelt? Die meisten hätten sicher vor gut einem Jahr nicht sagen können, was eine Inzidenz ist und wofür der R-Wert steht.

Wir haben uns eine gemeinsame Sprache angeeignet, mit der wir auf dieses Themengebiet schauen. Das haben wir auch deshalb getan, weil es notwendig war. Aber: Wenn wir mal das Wort "Corona" nehmen, hat das in einem medizinischen Kontext immer noch eine ganz andere Bedeutung als im Alltag. In der Medizin steht es für eine Gruppe von Viren und hat eine fest definierte Bedeutung. Wenn wir aber in unserem Alltagsdiskurs von Corona sprechen, können wir damit die Situation an sich meinen, etwas Politisches, oder die Eindämmungsmaßnahmen. Wir verwenden die Fachbegriffe im Alltag nicht mit derselben Bedeutung, mit der sie im Fachdiskurs verwendet werden.

Und doch scheint aktuell auch politisch die Zeit der Wortneuschöpfungen zu sein. Man denke nur mal an den "Brückenlockdown", den Armin Laschet neulich ins Gespräch gebracht hat.

Bei einem virulenten Diskurs wie dem Corona-Diskurs schießt die Zahl der Wortneuschöpfungen enorm in die Höhe. Das haben wir schon nach den Anschlägen vom 11. September erlebt. In den Jahren danach hat es Tausende neue Wortzusammensetzungen mit den Begriffen "Terror" und "Terrorismus" gegeben. Nur ein ganz kleiner Teil davon hat sich über die Jahre durchgesetzt. Das wird auch beim Corona-Diskurs so bleiben. Wenn der Diskurs abflacht, werden ganz viele Wörter in Vergessenheit geraten. Ein paar werden sich aber erhalten und an diese Zeit erinnern.

Die Pandemie wird also vorbei sein, während wir uns sprachlich noch daran erinnern?

Auf jeden Fall.

Die Fragen stellte Luca Deutschländer.

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MDR/Luca Deutschländer

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