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Fehlende MitgliederBraucht Süplingen eine Pflichtfeuerwehr?

11. März 2023, 13:07 Uhr

Im größten Haldenslebener Ortsteil, Süplingen, ist Enrico Westphal meist der einzige Feuerwehrmann, der einsatzbereit ist. Sein Stadtwehrleiter bringt deshalb eine Pflichtfeuerwehr ins Spiel, die die einzige Möglichkeit sei, dem Mangel an Feuerwehrleuten Herr zu werden. Der Bürgermeister in Haldensleben lehnt diesen Vorschlag ab. Er will andere Wege der Aquise finden.

  • In Süplingen, dem größten Ortsteil in Haldensleben, gibt es meist nur einen einsatzfähigen Feuerwehrmann – Enrico Westphal. Für ihn ist die Situation zunehmend belastend.
  • Die Gründe dafür, dass viele Feuerwehrleute fehlen, sind vielfältig. Die Resonanz im Ort gegenüber Versuchen, Menschen für die Feuerwehr zu aquirieren, ist verhalten.
  • Kai-Uwe Lohse, Chef des Landesfeuerwehrverbands in Sachsen-Anhalt hält eine Pflichtfeuerwehr für "fast unmöglich auf die Beine zu stellen." Zudem sehe er Qualitätsprobleme.

Süplingen ist mit über 720 Einwohnern der größte Ortsteil der Stadt Haldensleben. Am Eingang zum kleinen Feuerwehrhaus ist ein rot bedrucktes A4-Blatt angeklebt. Darauf ist ein Brandmelder mit einem Knopf hinter einer Scheibe zu sehen, mit der Unterschrift: "Stell dir vor du drückst, und alle drücken sich." Am Donnerstagvormittag öffnet Enrico Westphal für MDR SACHSEN-ANHALT die Tür. Wenn jetzt ein Notruf eingeht, ist er der einzige Süplinger Kamerad, der ausrücken könnte. Enrico Westphal ist selbstständig und seit 15 Jahren bei der Feuerwehr. Für den Hauptfeuerwehrmann ein zunehmend belastendes Ehrenamt.

Vier Feuerwehren für ein Dorf

Sechs Mitglieder zählt die Löschgruppe Süplingen aktuell. Wenn alle da sind, gilt die Truppe als einsatzfähig. Das ist während der Arbeitszeit fast nie der Fall, viele haben ihre Jobs außerhalb des Dorfes. Was das in der Praxis bedeutet, weiß Frank Juhl, der Stadtwehrleiter von Haldensleben: "Immer wenn es in Süplingen brennt, oder ein Ast auf der Straße liegt, werden vier Feuerwehren alarmiert." 12 Minuten nach Alarmierung sollten Kameraden vor Ort sein. Zwischen der gut aufgestellten Haldensleber Feuerwehr und Süplingen liegen allerdings mehrere Bahnübergänge. Deshalb müssen auch die umliegenden Dörfer aushelfen.

Sicherlich stört das den einen oder anderen in seiner Wohlfühlzone. Im Feierabend will man seine Ruhe und nicht noch zur Übung oder zum Einsatz rücken. Deshalb trauen sich einige wohl schwer raus.

Enrico Westphal, Feuerwehrmann in Süplingen

Aber warum fehlen die Mitglieder in Süplingen? Für Enrico Westphal schwierig zu erklären. Kameraden sind aus beruflichen Gründen weggezogen, die Resonanz aktuell im Ort ist bestenfalls zurückhaltend. "Sicherlich stört das den einen oder anderen in seiner Wohlfühlzone. Im Feierabend will man seine Ruhe und nicht noch zur Übung oder zum Einsatz rücken. Deshalb trauen sich einige wohl schwer raus."

Problem besteht seit vielen Jahren

Frank Juhl ergänzt: "2017 war die Situation auch schon schwer. Damals wurden Löschkübel an alle Einwohner verteilt, als Hinweis. Das hatte praktisch null Resonanz. Im vorigen Jahr hatten wir eine Einwohnerversammlung. Ein Kandidat hatte sich gemeldet. Langfristig ist da aber nicht mit einer Mitgliedschaft zu rechnen." Der Versammlung vorausgegangen war ein Brand in Süplingen, bei dem ein Mensch ums Leben kam. Juhl sagt,  über "kurze oder lange Sicht ist man wohl gezwungen eine Pflichtfeuerwehr einzuführen". 

Was ist eine Pflichtfeuerwehr?Im Brandschutzgesetz des Landes Sachsen-Anhalt heißt es dazu:
(1) Kann in einer Gemeinde eine leistungsfähige Freiwillige Feuerwehr nicht eingerichtet werden, so ist eine Pflichtfeuerwehr aufzustellen.
(2) Zur Pflichtfeuerwehr können gesundheitlich geeignete Gemeindebürger über dem 18. und unter dem 55. Lebensjahr herangezogen werden.
(3) Nicht herangezogen werden können
1. Angehörige der Bundeswehr, der Polizeien des Bundes und der Länder,
2. hauptberufliche Feuerwehrangehörige und Angehörige von Werkfeuerwehren,
3. Helfer, die bei Hilfsorganisationen sowie bei Einheiten und Einrichtungen des Zivil- und Katastrophenschutzes verpflichtet sind oder aktiv am Rettungsdienst teilnehmen.
(4) Der Träger der Feuerwehr kann auf Antrag bei Gemeindebürgern aus beruflichen oder privaten Gründen von der Heranziehung befristet oder auf Dauer absehen.

Eine Pflichtfeuerwehr gab es bislang ein mal in Sachsen-Anhalt: von 2007 bis 2010 in Pietzpuhl im Jerichower Land. Die "unfreiwilligen" Kameraden könnten so lang verpflichtet werden, bis wieder eine leistungsfähige freiwillige Feuerwehr gestellt werden kann. Die Pflichtfeuerwehr ist allerdings eine hochgradig unpopuläre Entscheidung für Verwaltung und Bürger. Denn die Gemeinde, in diesem Fall die Stadt Haldensleben, zwingt die Bürger zum Dienst, müsste aber auch kurzfristig Ausbildungen für eine Vielzahl Kameraden finanzieren.

Qualität der Pflichtfeuerwehr fraglich

Bürgermeister Bernhard Hieber (SPD) spricht sich aktuell dagegen aus : "Unter Zwang so etwas ausführen zu lassen, ist nicht zielführend. Wir wollen motivierte Kameradinnen und Kameraden". Auch Kai-Uwe Lohse, Chef des Landesfeuerwehrverbands in Sachsen-Anhalt hält eine Pflichtfeuerwehr für "fast unmöglich auf die Beine zu stellen. Zum Schluss wird es nur teuer." Die Qualität einer Pflichtfeuerwehr sei zudem "Lichtjahre entfernt" von einer funktionierenden ehrenamtlichen Wehr. Bürgermeister Hieber wirbt mit Investitionen. Das Süplinger Feuerwehrhaus wird umgebaut und per Ringtausch kommt auch ein neueres Fahrzeug. Ob das hilft, gilt abzuwarten.

Feuerwehr-Werbung in anderen Vereinen

Das letzte Mal, als eine Pflichtfeuerwehr in Süplingen drohte, trat Enrico Westphal ein. Ob der Zwang die Probleme seiner Wehr nachhaltig lösen könnte, will er nicht beurteilen. Seine Löschgruppe will jedenfalls mit anderen Institutionen im Dorf, etwa dem Fußballklub oder dem Karnevalsvereinen enger zusammen treten um neue Mitglieder zu werben. Er sagt: "Schön wäre es so oder so, wenn sich jeder Bürger mal entscheidet, was ihm wichtig ist und wie wichtig es ihm ist."

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MDR (Max Hensch)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 11. März 2023 | 07:30 Uhr

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