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Asylunterkunft in HalberstadtZwischen Hoffnung und Corona-Regeln

15. Januar 2022, 16:54 Uhr

Am Rande von Halberstadt wohnen rund 750 Menschen in Sachsen-Anhalts Zentraler Anlaufstelle für Asylbewerber (ZASt). Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf das Leben der Geflüchteten dort? Ein Ortsbesuch.

Bareez Lak hockt an der Ecke des dunkelgrau und orange gestrichenen Häuserblocks am Stadtrand von Halberstadt, der seit drei Monaten sein Zuhause ist. Es ist kalt an diesem Januartag, viele Bewohnerinnen und Bewohner der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber (ZASt) bleiben lieber drinnen. Aber draußen, an den Ecken der drei Häuserblocks, funktioniert das WLAN am besten. Deshalb verbringt der 26-jährige Kfz-Mechaniker aus Kirkuk im Irak hier nun oft seine Zeit.

Rund 3.000 Geflüchtete hat Sachsen-Anhalt im Jahr 2021 aufgenommen, etwa 750 mehr als ein Jahr zuvor. Bareez Lak ist einer von ihnen. Wie alle Geflüchteten, die nach Sachsen-Anhalt kommen, muss auch er die erste Zeit in der ZASt wohnen. Nach einigen Monaten werden die Menschen dann vom Land auf die Kommunen verteilt. Rund 750 Menschen sind derzeit in der früheren NVA-Kaserne am Rande von Halberstadt untergebracht, in der sich heute der Hauptsitz der ZASt befindet. Weitere 350 Menschen leben verteilt in den Außenstellen der ZASt in Magdeburg, Bernburg, Blankenburg, Naumburg und einem kleineren Standort ebenfalls in Halberstadt.

Lange Flucht, offene Zukunft

Bareez Lak muss sich zwar noch an das Essen gewöhnen, sonst aber ist er glücklich, dass er in Halberstadt eine warme Unterkunft, eine Toilette und eine Dusche hat – Selbstverständlichkeiten, von denen er auf seiner Flucht aus dem Irak nur träumen konnte. Aus dem Irak flog er über die Türkei bis nach Belarus. Von dort schlug er sich zu Fuß bis nach Deutschland durch. "Es hat zwölf Tage gedauert von Belarus bis nach Deutschland, ich habe neun Nächte im Wald geschlafen, hatte nichts zu essen und nichts zu trinken", übersetzt Dolmetscher Mohamed Bouzidi aus dem Arabischen, was Bareez Lak erzählt. Unterwegs habe er sich außerdem am Bein verletzt, sagt Lak. "Es war eine sehr harte Zeit."

Etwa jeder zehnte Geflüchtete, der im Jahr 2021 in Sachsen-Anhalt aufgenommen wurde, stammt wie Bareez Lak aus dem Irak, der damit Platz 3 in der Liste der häufigsten Herkunftsländer belegt. Mit fast 50 Prozent kamen die meisten Geflüchteten in Sachsen-Anhalt aus Syrien, gefolgt von Afghanistan mit etwa 14 Prozent. Der Leiter der ZASt, Philipp Eysel, sagt, seiner Erfahrung nach hätten Geflüchtete aus diesen drei Ländern momentan gute Aussichten, längerfristig in Deutschland bleiben zu dürfen. Über die Asylanträge entscheidet jedoch nicht er, sondern das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das auf dem Gelände der ZASt in Halberstadt in ein paar Baucontainern eine Außenstelle betreibt.

Eysels Aufgabe ist eine andere: Der Jurist, der seit knapp einem Jahr an der Spitze der ZASt steht, koordiniert die rund 350 Mitarbeitenden der Anlaufstelle, darunter Landesbedienstete, aber auch zahlreiche externe Dienstleister, vom Caterer über den Sicherheitsdienst bis zur medizinischen Versorgung und der sozialen Betreuung. Und er will in Zeiten der Corona-Pandemie verhindern, dass sich das Virus in der ZASt ausbreitet. Nachdem es im Frühjahr 2020 einen Corona-Ausbruch in der Anlaufstelle gab, der schließlich sogar zu Tumulten unter den Bewohnern führte, weil über Nacht Zäune zur Trennung der Wohnabschnitte errichtet wurden, gibt es in der ZASt inzwischen ein ausgeklügelteres Hygienekonzept.

Weniger Auslastung, mehr Außenstellen

Die Wohnbereiche der ZASt wurden in Kohorten eingeteilt, alle Bewohnenden haben nur noch Zugang zu ihrer eigenen Kohorte, um eine Virusübertragung zwischen den verschiedenen Wohnbereichen zu verhindern. Es gibt regelmäßige Impf- und Testangebote vor Ort, die gut angenommen werden, berichtet Philipp Eysel. Wer ein positives Testergebnis hat, wird separiert und, sobald das Ergebnis durch einen PCR-Test betätigt wurde, nach Quedlinburg in einen eigens geschaffenen Isolationsbereich gebracht. Zudem wurde die maximale Auslastung der ZASt auf rund 50 Prozent der regulären Kapazität zurückgefahren, weswegen zusätzliche Außenstellen in Blankenburg und Naumburg eröffnet wurden.

Unser Eindämmungskonzept hat sich aus meiner Sicht sehr gut bewährt. Wir haben immer mal wieder einzelne Positiv-Fälle, aber größere Ausbrüche hatten wir seit dem Frühjahr 2020 nicht mehr.

Philipp Eysel, Leiter der ZASt

Auch an anderer Stelle habe sich das Eindämmungskonzept positiv bemerkbar gemacht, berichtet Eysel. Durch die dezentrale Unterbringung der Geflüchteten seien weniger Menschen an einem Standort untergebracht, das Konfliktpotenzial sei spürbar gesunken.

Außerdem habe das Land nach den Tumulten im Frühjahr 2020 über externe Unternehmen zusätzliche Sozialbetreuer und Sprachmittler wie Mohamed Bouzidi zur Verfügung gestellt. "Das erleichtert uns sehr, mit den Bewohnerinnen und Bewohnern zu kommunizieren, unsere Maßnahmen zu erklären und für Verständnis zu werben", sagt ZASt-Chef Eysel. Er hoffe, dass dieses zusätzliche Personal der Anlaufstelle über die Pandemie hinaus erhalten bleibe.

Künftig wahrscheinlich nur noch zwei Standorte

Die Unterbringung der Geflüchteten wird sich in Zukunft allerdings wohl auf nur noch zwei Standorte konzentrieren. Denn derzeit baut das Land eine große ZASt-Außenstelle in Stendal, ebenfalls auf einem ehemaligen Kasernengelände. Deren Fertigstellung ist für 2024 geplant. Die kleineren, derzeit genutzten Außenstellen sollen dann schließen.

Weniger Angebote, mehr Leerlauf

Damit sich die Menschen in der ZASt nicht in großen Gruppen in geschlossenen Räumen treffen, wurde die Kantine geschlossen. Ihre Mahlzeiten müssen sich die Geflüchteten seitdem einzeln verpackt abholen. Die Folge: ein veritables Müllproblem. Hinter den Wohnhäusern und entlang der Wege liegen in vielen Ecken Verpackungsabfälle und Essensreste, die streunende Katzen anlocken. Philipp Eysel will nun Bewohnerinnen und Bewohner der ZASt anwerben, die für ein zusätzliches Taschengeld für Ordnung auf dem Gelände sorgen sollen.

Auch Freizeitangebote und Sprachkurse wurden stark reduziert, zum Leidwesen von Geflüchteten wir Bareez Lak. Der Iraker will möglichst schnell Deutsch lernen und danach als Kfz-Mechaniker arbeiten, so, wie er es schon zuhause in Kirkuk getan hat. Wo in Deutschland er künftig lebe, das sei ihm egal, sagt er. Er könne sich auch vorstellen, in Halberstadt zu bleiben. Noch hat er jedoch nicht einmal einen Platz im Sprachkurs bekommen. Die Zeit in der ZASt vertreibt er sich deshalb damit, Sport zu treiben, durch Halberstadt zu spazieren – oder an der Ecke seines Wohnblocks im Internet zu surfen.

Bildrechte: Magnus Wiedenmann

Über den AutorLucas Riemer arbeitet seit Juni 2021 bei MDR SACHSEN-ANHALT. Der gebürtige Wittenberger hat Medien- und Kommunikationswissenschaft in Ilmenau sowie Journalismus in Mainz studiert und anschließend mehrere Jahre als Redakteur in Hamburg gearbeitet, unter anderem für das Magazin GEOlino.

Bei MDR SACHSEN-ANHALT berichtet er vor allem über kleine und große Geschichten aus den Regionen des Landes.

MDR (Lucas Riemer)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT | 13. Januar 2022 | 13:00 Uhr

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