Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben

65 Jahre PuppenspielWie das Puppentheater Magdeburg gewachsen ist – und nicht damit aufhört

27. August 2023, 11:40 Uhr

Das Puppentheater Magdeburg feiert 65. Jubiläum. Am 1. September 1958 begann die Erfolgsgeschichte des Theaters mit dem Stück "Der gestiefelte Kater". Es folgten viele weitere, darunter die erste Inszenierung für Erwachsene an einem Puppentheater in Deutschland. Das Theater zog von einer Holzbaracke auf eine feste Bühne, trotzte dem Druck der DDR-Regierung und der Konkurrenz aus der Augsburger Puppenkiste. Heute ist es eine moderne Spielstätte mit großen Plänen.

Aktuelle Nachrichten finden Sie jederzeit auf mdr.de und in der MDR Aktuell App.

Die Geschichte des Puppenspiels in Magdeburg begann schon vor mehreren Jahrhunderten. Damals waren es kleine mobile Bühnen, die von Platz zu Platz und von Ort zu Ort zogen, um den Menschen für ein paar Minuten Spaß und Abwechslung zu bieten. Ein festes Spiel-Haus gibt es in Magdeburg erst seit 1958 und somit feiert das Magdeburger Puppentheater in diesen Tagen sein 65. Jubiläum.

Jutta Balk: Mit Hartnäckigkeit für das Puppentheater in Magdeburg

Mitte der 1950er gab es in der DDR eine regelrechte Welle von Puppentheater- Neugründungen. Auf Anweisung der Kultur-Verantwortlichen sollten nämlich alle Bezirksstädte kommunale Puppentheater bekommen. Die Stadtoberhäupter in Magdeburg wollten da zunächst nicht mitmachen. Sie haben allerdings nicht mit der Hartnäckigkeit einer Frau gerechnet, die für Michael Kempchen, den langjährigen Direktor des Magdeburger Puppentheaters, Vorbild und Wegbereiterin zugleich war: Jutta Balk.

Diese Frau kannte die Puppentheater aus Russland und den osteuropäischen Staaten und hat hier alle Hebel in Bewegung gesetzt, um auch in Magdeburg ein Puppentheater zu etablieren.

Michael Kempchen, langjähriger Intendant am Puppentheater Magdeburg

Jutta Balk sei in Folge der Kriegswirren aus Litauen an die Elbe gekommen, berichtet Kempchen. Sie habe sehr gut russisch gesprochen. "Diese Frau kannte die Puppentheater aus Russland und den osteuropäischen Staaten und hat hier alle Hebel in Bewegung gesetzt, um auch in Magdeburg ein Puppentheater zu etablieren", sagt Kempchen.

Puppenspiel begann in einer Holzbaracke

Wenn Jutta Balk bei den zuständigen Funktionären vorne rausgeworfen worden ist, sei sie zur Hintertür gleich wieder reingegangen. Sie schwärmte von den Stabpuppen des berühmten sowjetischen Puppenspielers und Moskauer Theaterdirektors Sergej Obraszow, dessen Bücher sie ins Deutsche übersetzte. Als sie dann auch noch die damals gängige Parole "Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen" bemühte, knickten die Verantwortlichen schließlich ein.

Balk wurde eine alte Holzbaracke in der Warschauer Straße zugewiesen. Doch ganz allein konnte sie kein Puppentheater aufziehen. Zum Glück fand sie in Gustel Möller den passenden Mitstreiter. Der Lehrer gab an einer Schule Puppenspiel-Kurse. Balk und Möller haben sich kennengelernt und zusammengetan und schließlich das Puppentheater in der Holzbaracke gestartet.

Mitarbeiter bauen das neue Theater selbst auf

Doch klar ist, auf Dauer kann man so nicht professionell arbeiten. Ein festes Gebäude musste her, damit das ganze Jahr über gespielt werden kann. Doch dafür gab es von der Stadt weder Geld noch Material. Schon allein deshalb möchte Michael Kempchen fast ehrfürchtig den Hut ziehen, wenn er erzählt, was seine Vorgänger trotzdem geschaffen haben: "Also wurden im sogenannten Nationalen Aufbauwerk das heutige Arbeits-Gebäude des Puppentheaters und die alte Bühne gebaut – gebaut von Mitarbeitern des Puppentheaters, die an Wochenenden und nach Feierabend dieses Haus hochzogen."

Michael Kempchen hat die Intendanz des Puppentheaters Magdeburg 1990 übernommen. Bildrechte: MDR/Anjelika Conrad

Am 1. September 1958 wurde das Theater eröffnet. Erste Inszenierung: "Der gestiefelte Kater". Die Magdeburger liebten das Haus und vor allem die Kindergarten-Gruppen besuchten die Vorstellungen gern, auch wenn längst nicht alles perfekt ist. So gab es nicht einmal Toiletten, erzählt Kempchen schmunzelnd: "Es wurden Töpfchen bereitgestellt, sodass die Kinder, wenn sie mussten, während der Vorstellung aufs Töpfchen gesetzt werden konnten."

Erste Erwachsenen-Inszenierung auf der Magdeburger Bühne

Das Theater erfreute sich trotz der Einschränkungen großer Beliebtheit. Das Repertoire wurde ständig erweitert und so ist Magdeburg schon 1966 das erste deutsche Puppentheater gewesen, das eine Erwachsenen-Inszenierung gezeigt hat. Bis heute gehören diese zum festen Programm.

Schwerpunkt sind aber natürlich die Angebote für Kinder geblieben. Im Westfernsehen hatte sich inzwischen die Augsburger Puppenkiste etabliert, gegründet vom gebürtigen Magdeburger Walter Oehmichen. Der war nach dem Zweiten Weltkrieg nach Augsburg gezogen und eröffnet dort 1948 die Puppenkiste – ebenfalls mit dem Stück "Der gestiefelte Kater".

Erfolgreiches Theater – trotz Konkurrenz und staatlichen Drucks

Jim Knopf, Räuber Hotzenplotz, Urmel und Co. flimmerten nun immer sonntags über die Fernsehbildschirme. Das DDR-Fernsehen hielt mit Aufzeichnungen aus dem Magdeburger Puppentheater dagegen. Die Magdeburger Puppenspieler haben ständig neue Ideen im Kopf. 1972 stellten sie das erste Sommer Open Air auf die Beine, das bis heute als Hofspektakel Bestand hat und ständig ausverkauft ist.

Michael Kempchen, der 33 Jahre lang als Intendant in der Verantwortung gestanden hat, erklärt, wie sich das Puppentheater damals die Kulturfunktionäre vom Leib halten konnte: "Es gab ganz viele Inszenierungen, in denen nur Tiere spielten. Das war ein Ausweichen, um Probleme in die Tierwelt zu verlegen, um nicht dem Vorwurf ausgesetzt zu werden, man würde DDR-Ideologie unterwandern." Es habe in dieser Zeit eine Phase gegeben, in der der Kasper nicht auf der Bühne erscheinen durfte – eine Figur, die von jeher aufsässig ist und die Obrigkeit kritisiert. Und: In der Zeit des Nationalsozialismus wurde der Kasper missbraucht als belehrende Figur, die Naziideologien verbreitet hat.

Abwicklung nach der Wende verhindert

In der Wendezeit sollte das kommunale Puppentheater in Magdeburg abgewickelt werden. Die neuen Berater der Stadt schlugen vor, man könne ja wieder wie früher mit dem Handwagen und einem Puppen-Koffer durch die Kindergärten ziehen. Die Mitarbeiter und auch die Bevölkerung haben sich aber für den Erhalt des Theaters starkgemacht. Ein offener Brief in der Zeitung erweist sich als der – vielleicht entscheidende – Rettungsanker, denn darin steht die Zeile: "Dafür sind wir nicht auf die Straße gegangen!"

Die Stadt gibt nach und liegt damit richtig, denn Michael Kempchen und seine Mitstreiter führen das Magdeburger Puppentheater mit viel Kreativität zu großem Erfolg. Heute, gut drei Jahrzehnte später, hat Magdeburg das modernste Puppentheater Deutschlands und Michael Kempchen kann ruhigen Gewissens in den wohlverdienten Ruhestand gehen.

Das Puppentheater wächst über die Stadtgrenzen hinaus

"Wir haben ein Lager angebaut. Wir haben eine zweite Bühne gebaut, weil die Nachfrage so riesig ist", sagt Kempchen, "Wir haben die Villa P., die öffentliche Mitteldeutsche Figurenspielsammlung und wir haben ein internationales Festival entwickelt. Das Festival 'Blickwechsel' ist eines der renommiertesten Festivals in ganz Europa." Derzeit sei sogar ein europäisches Zentrum für Puppentheater-Spielkunst geplant.

Was einst 1958 in einer alten Holzbaracke begann, füllt heute eine ganze Straßen-Zeile im Stadtteil Buckau. Bei dieser Entwicklung ist klar, dass das Magdeburger Puppentheater auch mit seinen 65 Jahren noch lange nicht in Rente gehen muss.

Mehr zum Thema Theater und Kultur in Sachsen-Anhalt

MDR (Guido Hensch, Maren Wilczek)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 27. August 2023 | 11:40 Uhr

Kommentare

Laden ...
Alles anzeigen
Alles anzeigen