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Michael Kempchen im Kreise seiner Lieben. Bildrechte: MDR/Anjelika Conrad

Ein ganzes Leben für die KunstIntendant vom Puppentheater Magdeburg verlässt die große Bühne

11. Juli 2023, 18:59 Uhr

Er hat die Puppen tanzen lassen und verlässt jetzt die große Bühne. Michael Kempchen ist im Puppentheater Magdeburg seit 38 Jahren Intendant. Jetzt ist er 65 und geht in den wohlverdienten Ruhestand. Denn auch er hat dafür gesorgt, dass aus der kleinen Puppenbühne, die 1958 in der damaligen DDR eröffnet wurde, ein europaweit beachtetes Haus geworden ist.

Michael Kempchen geht durch den Raum, in dem für ihn vor 38 Jahren alles angefangen hat: die große Bühne im Puppentheater Magdeburg. Die Sitzplätze sind leer, die Bühne auch, das Arbeitslicht ist an. Eine Situation, die er schon zig Mal so erlebt hat. Es ist sozusagen wie das leere Blatt für den Schriftsteller, bevor er ihm mit seinen Worten neues Leben einhaucht.

Doch in diesem Fall findet das neue Leben nicht auf der Bühne statt, sondern höchstwahrscheinlich abseits des Puppentheaters. Zunächst im heimischen Garten oder auf Reisen. Michael Kempchen ist ab Ende Juli Rentner. Schwer vorstellbar, wenn man den schlanken, großen, beweglichen Mann ansieht.

Das größte Puppentheater Deutschlands

1985 wurde er eher durch einen Zufall hier Verwaltungsdirektor, wenig später Intendant. Damals gab es im Puppentheater Magdeburg nur eine Bühne, demnächst sind es mindestens drei, wenn man den Innenhof oder den kleinen Raum für das "Theater unterm Dach" nicht mitzählt.

Das Puppentheater war damals eine kleine Spielstätte – zumeist für Kinder. Dass der Quereinsteiger, der damals Anfang 20 war, daraus das in dieser Art größte Puppentheater Deutschlands machen würde – zu diesem Zeitpunkt nicht vorstellbar. Auf die Frage, ob er denn zu dieser Zeit schon wusste, was er einmal werden möchte, sagt Michael Kempchen: "Ich kam gerade von der Armee. Es gab ja damals noch eine Wehrpflicht. Ich wollte Schauspieler werden und hatte schon meine ganzen Bewerbungsunterlagen zusammen und mich auf eine Aufnahmeprüfung vorbereitet, aber ich hab mich dann doch nicht getraut, mich zu bewerben. Mir hat dafür ein Berater gefehlt. Letztlich habe ich Wirtschaft studiert und musste anschließend feststellen, dass das überhaupt nicht mein Ding ist."

Ensemble-Puppentheater ein ostdeutsches Kulturgut

Deshalb hat er dann nebenher Schauspielunterricht genommen und sich einer Theatergruppe angeschlossen. Darüber lernte er Elke Schneider, die damalige Intendantin vom Puppentheater Magdeburg kennen, die wiederum einen Verwaltungsleiter suchte. Weil sich Michael Kempchen mit Zahlen und Wirtschaft auskennt, fragt sie ihn, ob er nicht Verwaltungsleiter werden möchte. Damals war er 27 Jahre alt. "Ich hatte damals keine Ahnung von Puppentheater und kannte nur die Augsburger Puppenkiste. Aber ich habe gestaunt, was Puppentheater alles kann. Und bin seitdem Puppentheaterfan mit ganzem Herzen", sagt er.

Ich habe gestaunt, was Puppentheater alles kann. Und bin seitdem Puppentheaterfan mit ganzem Herzen

Michael Kempchen, Intendant Magdeburger Puppentheater

1993 nach der Wende sollte das Puppentheater eigentlich geschlossen werden. Mit viel Kraft und Visionen konnte Michael Kempchen das verhindern. "Ich wollte etwas in dieses neue Land, in diese Bundesrepublik hinüberretten. Ensemble-Puppentheater sind ein ostdeutsches Kulturgut. Das wollte ich retten." Denn im Westen Deutschland gab es solche Theater überhaupt nicht.

Expansion nach Europa

Außerdem spornt den damals sehr jungen Intendanten der Abwicklungsgedanke an. "Wenn jemand sagt, das geht nicht, das funktioniert nicht, dann will ich sofort das Gegenteil beweisen". Und das das hat er: Nicht nur, dass die Zuschauerzahlen inzwischen nahezu konstant bei 100 Prozent liegen: Das Puppentheater Magdeburg wird auch immer mehr ein angesagter Kulturort für Erwachsene und expandiert.

"Der Drache" im Puppentheater Magdeburg. Bildrechte: MDR/Künhe

Seit mehr als 20 Jahren gibt es das internationale Figurentheaterfestival. Alle zwei Jahre verzaubern Künstler aus aller Welt Teile der Landeshauptstadt in eine große Bühne. La Notte heißt das Spektakel, das immer wieder Gäste aus aller Welt anlockt. "Wenn man in Europa Magdeburg sagt, muss man auch an das Puppentheater denken", so der 65-Jährige. "Man muss groß denken, um etwas umsetzen zu können".

Magdeburg als Künstleresidenz

Ende 2012 eröffnet am Magdeburger Puppentheater die größte öffentliche Figurenspiel-Sammlung Mitteldeutschlands: die Villa P. Und es geht noch weiter, gerade entstehen neue Räume unter anderem für Masterstudiengänge für Regie am Puppentheater – so etwas gibt es bislang in ganz Westeuropa nicht.

Ich betrachte das jetzt von außen und gebe meiner Nachfolgerin die Chance daraus ein Erfolgsmodell zu machen.

Michael Kempchen, Intendant Magdeburger Puppentheater

"Magdeburg als Künstleresidenz für ganz Europa", sagt er. "Das habe ich jetzt angeschoben. Ich betrachte das jetzt von außen und gebe meiner Nachfolgerin die Chance, daraus ein Erfolgsmodell zu machen". Sabine Schramm wird ab September die neue Intendantin des Puppentheater Magdeburg. Sie kehrt damit sozusagen an ihren Ursprung zurück. Ihr erstes Engegement als Puppenspielerin hatte sie nämlich in Magdeburg unter der Leitung von Michael Kempchen. Zuletzt ist die 52-Jährige künstlerische Leiterin am Theater in Gera gewesen.

Aus der Rente zurück in die Kulturszene

Michael Kempchen selbst muss jetzt erst einmal ein neues Leben finden und freut sich zunächst einmal auf Ruhe und Reisen. Dafür hatte er bislang keine Zeit. Aber er wäre nicht der Intendant, der 38 Jahre Kulturgeschichte in Magdeburg geschrieben hätte, wenn er der Kunst tatsächlich ganz den Rücken kehren würde.

Wenn er sich ein wenig ausgeruht hat und in der Welt so ganz privat unterwegs war, dann möchte Michael Kempchen sich wieder auch unter die Kulturschaffenden mischen. Einzelprojekte und Recherchen, um besondere Orte in der Landeshauptstadt wieder oder ganz anders als bislang zu beleben. Im Prinzip möchte er da weitermachen, wo er jetzt mit dem Sommertheater "Der Drache" im Kloster "Unser Lieben Frauen" – das letzte Stück in seiner Verantwortung als Intendant – aufhört. Nur vielleicht ein wenig kleiner, mit etwas weniger Verantwortung und Stress.

MDR (Heike Bade, Max Schörm)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 11. Juli 2023 | 19:00 Uhr

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