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Podcast "Digital leben"Kommentar: Schleberoda will den ÖPNV verändern – das ist auch digitalpolitisch herausragend

09. Dezember 2022, 07:42 Uhr

Es ist das große Rad, an dem in Schleberoda im Burgenlandkreis ehrenamtlich gedreht wird: Es geht nicht einfach nur um Elektro-Autos. Es geht mit der nötigen Ladesäule auch um Infrastruktur. Es geht um eine App. Vielleicht um selbst erzeugten Strom. Und am Ende gar um ein richtiges Zeichen gegen die Übermacht von Digital- und Automobil-Konzernen. Davon können auch Städte und ihre Bewohnerinnen und Bewohner lernen.

  • Schleberoda im Burgenlandkreis ist ein typisches kleines Dorf. Engagierte Menschen wollen für bessere Mobilität sorgen.
  • Viel für den ländlichen Raum passiert im ÖPNV aber gerade nicht.
  • Die Idee der Schleberodaer zeigt, dass wir nicht an die Mobilitätsversprechen der Digitalkonzerne glauben müssen und unabhängig über moderne Mobilität nachdenken können. In Stadt und Land.

"Eigentlich ist es ein richtig kleines, verlassenes Dorf", sagt Jörg Sichting aus Schleberoda über seinen Heimatort im Podcast "Digital leben" bei MDR SACHSEN-ANHALT. Aber solche Dörfer gibt es zuhauf in Sachsen-Anhalt und im Rest der Welt. Viele von ihnen sind – im wahrsten Wortsinn – abgehängt, weil Busse und Bahnen dort nicht halten. Bewohnerinnen und Bewohner sind auf eigene Fahrzeuge angewiesen.

Städter zucken dann oft mit den Schultern: Das Leben auf dem Dorf sei ja günstiger, da müsse man eben Geld fürs eigene Auto ausgeben. Die gleichen aufgeklärten Städter ärgern sich aber vermutlich, wenn Autos vom Dorf beim Stadteinkauf Abgase und CO2 in die städtische Luft blasen oder wenn Menschen überhaupt noch auf dem Land wohnen und Ressourcen für Mobilität verbrauchen.

Man kann den Schleberodaern ihr Vorhaben nicht hoch genug anrechnen. Sie zeigen es allen: überheblichen Städtern und ÖPNV-Organisatoren und Politikern, die oft nur sagen, warum etwas nicht geht. Und die zum Beispiel darüber klagen, dass eine Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge noch in weiter Ferne ist. Schleberoda beweist für vieles das Gegenteil. Weil dort Menschen sind, die sich kümmern!

Bildet Mobilitäts-Banden!

Die einzige Schlussfolgerung daraus kann nur sein: Bildet Mobilitäts-Banden! Organisiert die Mobilitätswende selbst! Jemand anders scheint es nicht zu machen. Deshalb ist Schleberoda nicht nur ein Vorbild für andere Dörfer, sondern auch für Städte. Warum sollte ein Stadtteil nicht ähnliches auf die Beine stellen können? Und was käme eigentlich wie schnell heraus, wenn Kommunen, Landkreise und Länder mit gleich Kraft für eine Idee kämpfen würden wie die Ehrenamtliche in Schleberoda in den vergangenen Jahren?

Andere Orte mögen jetzt fragen, warum Schleberoda zwei Elektro-Autos bezahlt bekommt. Die Frage ist berechtigt. Aber Antworten findet man nicht in Schleberoda sondern an zwei anderen Stellen: bei denen, die Frage stellen und bei denen, die für ÖPNV verantwortlich sind.

Der ÖPNV in Deutschland ist bürokratisch durchorganisiert – eine Art Mobilitätsbehörde. Mit dem 9-Euro- und wohl bald 49-Euro-Ticket scheint das System aufzubrechen. Das ist nötig, denn das Ö in ÖPNV steht ja für etwas. Für öffentlich. Aber öffentlich bedeutet für mich nicht, es gehört der öffentlichen Hand oder die öffentliche Hand muss es organisieren. Öffentlich bedeutet Gemeinwohl. (Auch Taxis werden ja als öffentliche Verkehrsmittel verstanden.) Und auf Gemeinwohl und Mobilität haben auch Menschen in Dörfern ein Recht.

Schleberoda und die große Digitalpolitik

Aber viel, viel spannender ist das Vorhaben aus Schleberoda aus globaler Digital-Perspektive auf die Mobilität von morgen. Denn dort drehen US-Konzerne das große Rad:

  • Uber vermittelt Fahrten in Privatautos als Übergang zu autonom fahrenden Autos und will Verkehrsmonopolist werden, wie der Autor von "Das Auto im digitalen Kapitalismus" schreibt.
  • Google schickt mit Waymo selbstfahrende Autos los, kann Daten über Nutzer und Umgebung sammeln.
  • Tesla kann einen Selbstfahr-Modus für seine Autos nachrüsten und Besitzer können so ihr Auto auch als autonom fahrende Taxis vermieten.

All das verheißt nichts Gutes für den bisherigen ÖPNV. Den Konzernen geht es darum, Geld für ihre Aktionäre zu verdienen. Die Mobilität der Nutzer ist ihnen egal. Genauso egal ist es ihnen, wie sich ihre autonome Mobilität auf Stadt und Land auswirken kann:

  • Selbstfahrende Autos können immer in Bewegung sein, um Parkgebühren zu sparen,
  • sie könnten "unsichere" Gegenden umfahren und die Verarmung von Gegenden verstärken,
  • sie könnten kostenlose Fahrten zu einem bestimmten Supermarkt anbieten, der dafür bezahlt und so andere Anbieter verdrängen.

Schleberoda als Gegenmodell zum Plattformkapitalismus der Mobilität

Wir wissen mittlerweile, wie digitaler Kapitalismus funktioniert: Die Hardware ist egal, das Geschäftsmodell liegt an anderer Stelle: in den Profilen der Nutzer, in den Fahrplänen von Busse und Bahnen, in Reiseplänen und Buchungen. So werden Autohersteller zu reinen Hardwarelieferanten und Digital-Unternehmen mit ihren "Plattformen" zu Monopolisten. The winner takes it all.

Nicht, dass Schleberoda all diese Probleme lösen kann. Aber indem zivilgesellschaftliche Akteure gegen viele Widerstände ihre Mobilität organisieren, können wir alle über andere Möglichkeiten nachdenken: Möglichkeiten abseits vom daten- und algorithmen-getriebenen Plattformkapitalismus. Möglichkeiten, wie wir Stadt und Land nachhaltig mobiler machen können, ohne auf Plattformen zu setzen.

Und damit wird Schleberoda auch ein Vorbild für Städte. Dort werden die Mobilitätsdienstleistungen von Konzernen oft einfach begeistert und unreflektiert genutzt, ehe dann zum Beispiel über herumliegende E-Scooter genörgelt wird. Schleberoda zeigt, wie wichtig Zivilgesellschaft und wie lokal Digitalpolitik ist.

Hinweis der Redaktion: Auch ein MDR-Mitarbeiter wohnt in Schleberoda und engagiert sich in dem Verein; an der Entstehung des Podcasts und des Artikels war er nicht beteiligt. Er hat lediglich den Kontakt zu den Interviewten hergestellt.

Mehr zum Thema: Digitalisierung in Sachsen-Anhalt

MDR (Marcel Roth)

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