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Kritik von LandwirtenSorge um guten Wische-Boden: Vorerst keine Windräder in der Region

30. Mai 2024, 19:29 Uhr

Sachsen-Anhalt ist Vorreiter in der Produktion regenerativer Energien. Im Moment drehen sich etwa 2.800 Windräder im Land, dazu kommen etwa 1.000 Anlagen für Photovoltaik (PV) auf Ackerflächen. Doch um bestimmte Äcker wird jetzt gestritten: Bauern sowie Bürgerinnen und Bürger in der altmärkischen Wische haben Angst, dass der fruchtbare Boden für die Landwirtschaft blockiert wird. Die Regionale Planungsgemeinschaft Altmark hat darauf jetzt reagiert.

Eigentlich ist der altmärkische Ackerboden nicht so wertvoll. Die Region steht zu 80 Prozent auf Sand. In der Wische allerdings, im Norden des Landkreises Stendal, sind die Bodenwerte exzellent. Da wächst sogar Weizen, ohne dass er großartig gedüngt werden müsste. Doch auch die Flächen mit diesem fruchtbaren Boden sind nicht geschützt vor der Bebauung mit Photovoltaik. Vor der mit Windrädern neuerdings schon, zumindest vorerst.

Die Regionale Planungsgemeinschaft Altmark, die für die gesamte Altmark Vorrangflächen für den Bau von Windparks festlegt, hatte in der Wische beinahe 660 Hektar freigegeben. Diese Äcker wären jedoch für die Landwirtschaft und die Produktion von Lebensmitteln so zu einem gehörigen Teil nicht mehr nutzbar, kritisieren der Neukirchener Bio-Bauer Markus Meyer und seine Mitstreiter der neuen Bürgerinitiative vor Ort. Damit würde nicht nur etlichen Landwirten die Existenzgrundlage entzogen. Die Wische würde zudem ihren Charakter verlieren als bäuerlich geprägte Erholungsregion, argumentieren sie seit Monaten.

Keine weiteren Windkraftflächen

Offenbar mit Erfolg: Die Planungsgemeinschaft hat im März dieses Jahres die zuvor ausgewiesenen Windkraft-Flächen für die Wische zunächst auf null gesetzt. Das sei ein neuer Planungsansatz, heißt es auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT aus dem Gremium. Der solle das Ziel, die Produktion erneuerbarer Energien auszubauen, mit den Interessen landes- und regional bedeutsamer Industrie- und Gewerbezweige besser verknüpfen. Dazu zähle auch die Landwirtschaft.

Der Landkreis Börde – der Boden dort ist noch fruchtbarer als der in der Wische, doch auch dort sollen noch mehr Windkraft- und PV-Anlagen gebaut werden – macht Gemeinden und Räte mittlerweile darauf aufmerksam, dass diese das Bodenschutzrecht beachten, wenn neue Flächen für regenerative Energien freigegeben werden sollen. Denn: Während über Standorte für Windparks in Sachsen-Anhalt die Planungsgemeinschaften entscheiden, ist bei Photovoltaik-Anlagen jede Gemeinde für ihr eigenes Terrain zuständig.

Plakate der neuen Bürgerinitiative hängen überall in der Wische, hier auf dem Hof von Biobauer Markus Meyer in Neukirchen. Bildrechte: MDR/Katharina Häckl

Biobauer mit Sorgen

Der Neukirchener Biolandwirt Markus Meyer erfährt das gerade am eigenen Leibe: Er ist begeistert über die Qualität seines Ackerbodens, weiß aber auch, dass bei den Nachbarn schon mehrfach Vertreter von Stromkonzernen angefragt und hohe finanzielle Angebote zum Landkauf abgegeben haben. Auch bei Markus Meyer selbst hat es zum Beispiel RWE versucht. Der Biobauer hat abgewunken. Er ist vor Jahren extra aus Schleswig-Holstein in die Wische gekommen, weil der Boden in dem altmärkischen Nord-Zipfel so fruchtbar ist. Jetzt hat Meyer Angst, dass auch diese wertvollen Flächen dem Energieziel des Landes "geopfert" werden.

Anteil der erneuerbaren Energien an der Bruttostromerzeugung2020, das sind die jüngsten vom Ministerium herausgegebenen Zahlen, lag der Anteil der erneuerbaren Energien an der Bruttostromerzeugung in Sachsen-Anhalt bei mehr als 61,5 Prozent. Das bundesweite Ziel bis 2030 sind 80 Prozent. Weiter heißt es aus dem Energie-Ministerium: "Ziel der Energiewende ist, den Strom-, Wärme- und Verkehrsbereich nahezu vollständig auf erneuerbare Energien umzustellen. Bereits heute können sich einige Regionen Sachsen-Anhalts rechnerisch zu 100 Prozent mit Energie aus regenerativen Quellen versorgen."

Aber, sagt Markus Meyer, in der Wische könnte das Streben nach 100 Prozent kontraproduktiv sein. Wenn nämlich Wischebewohner ihre Landwirtschaft nicht mehr betreiben können, Menschen ihre Arbeit dadurch verlieren, Touristen lieber in Gebiete reisen, die nicht geprägt seien von Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen.

Kriterienkatalog geplant, aber nur wenig Flächen in Sicht

Markus Meyer, der auch im Rat der Gemeinde Altmärkische Wische sitzt, ist dabei, einen Kriterienkatalog zu erstellen, nach dem später über Flächen für neue Photovoltaikanlagen entschieden werden soll. So recht aber kommt er nicht voran. Er selbst sehe kaum in Frage kommende, geeignete Flächen. Er verstehe ja auch die Argumente derjenigen, die gegen die neuen Anlagen nichts haben. Wische-Bürgermeister Willi Hamann zum Beispiel hofft auf Einnahmen aus der Gewerbesteuer und auf freiwillige Abgaben der Windparkbetreiber für freiwillige Aufgaben der Gemeinde. Andere Wische-Bewohner verkaufen ihre Ackerflächen an Stromkonzerte und sichern sich mit dem Geld ihren Lebensabend.

Markus Meyer liebäugelt jetzt mit der Vorgehensweise, wie er sie aus der Einheitsgemeinde Arendsee erfahren hat. Dort hat Bürgermeister Norman Klebe die Bewohner derjenigen Dörfer, an deren Grenzen Photovoltaik-Anlagen beantragt waren, darüber abstimmen lassen. Die Entscheidung der Dörfer dient nun dem Stadtrat als Grundlage zur Ausweisung der PV-Flächen.

Agri-PV: Strom erzeugen und Obst anbauen

Derweil weisen Bauernverband, der Landkreis Börde, das Energieministerium und die Regionale Planungsgemeinschaft Altmark darauf hin, dass Landwirtschaft auch auf mit Windrädern und PV bebauten Flächen möglich ist. Im Bereich Photovoltaik ist Agri-PV im Kommen. Dabei weiden zum Beispiel Schafe unter den PV-Platten, zwischendrin wachsen Obstbäume. Auch Windräder und deren Fundamente würden nicht den gesamten Acker blockieren; das Bestellen, Hegen und Ernten sei zwar eingeschränkt, aber machbar.

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MDR (Katharina Häckl, Moritz Arand)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 01. Juni 2024 | 12:00 Uhr

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