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Jörg Pfeifer von der Hochschule der Sächischen Polizei ist Fachmann im Erstellen von Phantombildern. Bildrechte: MDR/Stephan Hönigschmid

ErmittlungshilfeVon Richard Wagners Steckbrief zum Sheriff von L.A.: Wie entstehen Phantombilder?

28. Februar 2024, 09:38 Uhr

Vor 65 Jahren begannen Polizisten in den USA zum ersten Mal, Phantombilder mit Vorlagen zu erstellen. Seitdem hat sich die Fahndungstechnik stark verändert. Moderne Phantombildzeichner wie Jörg Pfeifer nutzen Computer, aber auch ihre Erfahrung im Umgang mit Zeugen. Phantombilder sind Fahndungshilfen, keine Beweise, doch ihr Einfluss auf Ermittlungen kann entscheidend sein.

Es ist Mai 1848. In Dresden tobt der Maiaufstand gegen den sächsischen König Friedrich August II. Mit auf den Barrikaden: Richard Wagner, der damalige Königlich-Sächsische Kapellmeister. Die Dresdner Stadtpolizei findet sein revolutionäres Bestreben gar nicht witzig und veröffentlicht einen Steckbrief, der den Komponisten zur Fahndung ausschreibt. Wagner sei "37 bis 38 Jahre alt, habe mittlere Statur, braunes Haar und Brille", heißt es darin.

Verbrecheralben aus dem 19. Jahrhundert

Seit wann genau die Polizei mit Steckbriefen und Phantombildern nach Tatverdächtigen sucht, weiß Jörg Pfeifer nicht. Aber es sei ungefähr ab Mitte des 19. Jahrhunderts. "Wir haben hier ein altes Verbrecheralbum von 1845, in dieser Zeit lässt sich das also ungefähr verorten", erzählt er.

Pfeifer ist Phantombildzeichner an der Hochschule der Sächsischen Polizei und einer von zwei Menschen in ganz Europa, die Beamtinnen und Beamte in der Kunst ausbilden, Personen anhand von Zeugenbeschreibungen darzustellen. Seit Wagners Versuch, den König zu stürzen, haben sich die Methoden der Polizei allerdings deutlich verändert.

65 Jahre "digitale" Phantombilder

Den wohl größten Sprung hat es vor etwa 65 Jahren gegeben, wie Pfeifer erzählt. In den USA, im Los Angeles County, hatte es sich Sheriff Peter Pitches zur Aufgabe gemacht, seine Behörde zu modernisieren. "Mit Hilfe der Arbeit eines jungen Detectivs wurden bestimmte Gesichtsformen und Merkmale - wie Bärte, Augen, Brillen - erstmals auf Folien festgehalten und dann mithilfe eines Projektors dargestellt", sagt Pfeifer. Das unter dem Namen "Identikit" bekannte System sei der Ursprung aller Phantombildsysteme gewesen - und ist heute noch in moderner Form im Einsatz.

Man muss mit den Zeugen umgehen können, die Kinder sind, alte Menschen, traumatisierte Personen.

Jörg Pfeifer | Hochschule der Sächsischen Polizei

"Mittlerweile kann man natürlich alles viel besser anpassen", sagt der Fachlehrer für Kriminaltechnik. Die moderne Technik habe den Prozess an den Computer verlagert. Doch die menschliche Komponente bleibe. Einen guten Phantombildzeichner mache vor allem aus, dass er ein erfahrener Polizist sei, meint Pfeifer. "Man muss mit den Zeugen umgehen können, die Kinder sind, alte Menschen, traumatisierte Personen."

Dazu kommen natürlich technische und handwerkliche Fähigkeiten. "Das ist keine Tätigkeit, zu der man Beamte verdonnern kann, da braucht es schon eigenes Interesse dafür", sagt er.

Wahl aus tausenden Formen

Pfeifer öffnet seinen Laptop mit der Software, die die sächsische Polizei verwendet. Auf der weißen Leinwand des Programms zeigt er Kopfformen, dann Gesichtsvorlagen. "Die lassen sich immer weiter anpassen, ändern, verschieben", erzählt Pfeifer. Er scrollt durch Frisuren, Augenpartien, Nasen, Kopfbedeckungen bis hin zu Narben und Brillen. Aus diesen Vorlagen setze man gemeinsam mit dem Zeugen dann das Bild des Tatverdächtigen zusammen, sagt Pfeifer.

Aus Zeugenaussagen ein Bild zu fertigen sei nicht leicht, meint der Fachlehrer für Kriminaltechnik, Jörg Pfeifer. Bildrechte: MDR/Stephan Hönigschmid

Würden Sie die Person wiedererkennen? - Das ist die erste Frage.

Jörg Pfeifer | Hochschule der Sächsischen Polizei

Das Erstellen eines Phantombilds beginne immer mit der Frage "Würden Sie die Person wiedererkennen", sagt der Beamte. Denn Wahrnehmung sei oft trügerisch. "Dann lassen sich die Polizisten die Situation beschreiben: Wo stand der Zeuge, war er erhöht, hat er durch Glas geschaut, hat er von hinten oder seitlich beobachtet, was ist im Umfeld passiert?"

Die Situation habe einen großen Einfluss, meint Pfeifer. Beispielsweise erscheine die Haarfarbe eines Menschen durch eine Glasscheibe möglicherweise deutlich dunkler als sie eigentlich ist.

Auf die Details kommt es an

Außerdem lerne man so, wie ein Zeuge beschreibt, so der Polizist. "Ein Friseur beschreibt möglicherweise andere Details als jemand, der in einem Bekleidungsgeschäft arbeitet oder ein Ingenieur", sagt Pfeifer. Auch das helfe dem Zeichner. Wenn der Zeuge gut sei, Details beschreibe, könne ein richtig gutes Bild entstehen.

"Es gab auch schon Fälle, da waren die Bilder so gut, dass die Leute sich nicht gemeldet haben", meint der Fachlehrer für Kriminaltechnik. Er erzählt von einem Fall, der später über andere Beweise geklärt werden konnte. "Da haben die Nachbarn des Täters noch Witze gemacht, dass dieser genau so aussieht wie auf dem Bild. Aber da er in seiner Umgebung als guter Mensch galt, haben die sich nicht gemeldet", erzählt Pfeifer. Das Bild sei einfach zu gut gewesen.

Keine Beweise - aber Hilfe

Denn im Grunde gehe es gar nicht um eine fotorealistische Darstellung. "Wenn ich auf ein Foto blicke, dann sage ich 'Das ist die Person oder das ist sie nicht'. Wenn ich auf eine Zeichnung schaue, dann ist die Reaktion: Das sieht ihr ähnlich. Und da wollen wir hin", sagt Pfeifer. Niemand habe ein hundertprozentiges Gedächtnis. Phantombilder sollen laut Pfeifer helfen und unterstützen. Sie seien keine Beweismittel, sondern eine Fahndungshilfe.

Im Prinzip gehe es darum, markante Merkmale aufzuspüren und darzustellen, meint Pfeifer. "Bei einer Personenbeschreibung 'männlich, 18 bis 20 Jahre alt, zwischen 1,70 Meter und 1,80 Meter groß und kurze blonde Haare' - dann können sie in einer jugendlichen Gruppe jeden zweiten oder dritten nehmen." Aber wenn dann bestimmte Merkmale dazu kämen, könne es sein, dass die ermittelnden Beamten mit ihrer Erfahrung eine Person wiedererkennen.

"Das ist es, was man vorher nicht wissen kann: Welche Rolle so ein Phantombild bei der Ermittlung spielt." Das müsse dann die Arbeit des Ermittlers und der Staatsanwaltschaft zeigen, sagt Pfeifer. "Wenn wir bei einem Phantombild 85 bis 90 Prozent Ähnlichkeit erreichen, dann ist das ein gutes Bild!"

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MDR (ben/stt/sth)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Guten Morgen Sachsen | 27. Februar 2024 | 07:20 Uhr