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Ungefähr jedes zwölfte Schulkind ist von Dyskalkulie betroffen. Bildrechte: picture alliance/dpa/Patrick Pleul

DyskalkulieWarum es an Sachsens Schulen bei Rechenschwäche keinen Nachteilsausgleich gibt

17. April 2024, 09:20 Uhr

Nicht wenigen Schülerinnen und Schülern fällt der Mathematikunterricht schwer. Eine Rechenstörung – auch Dyskalkulie genannt – geht jedoch weit darüber hinaus. Betroffenen fällt es schwer, überhaupt ein Verständnis für Mengen und Zahlen zu entwickeln. Anders als bei Legasthenie gibt es an Sachsens Schulen dafür trotzdem keinen Nachteilsausgleich. Eine MDR AKTUELL-Hörerin aus Rackwitz, deren Tochter nachgewiesenermaßen selbst von Dyskalkulie betroffen ist, fragt sich, was die Gründe dafür sind.

Ein bis zwei Kinder in jeder Klasse – nämlich bis zu acht Prozent aller Schülerinnen und Schüler sind laut Experten von Dyskalkulie betroffen.

Das bedeutet für Betroffene vor allem, dass sie "keinerlei Verständnis von Mengen und Zahlen haben", sagt Annette Höinghaus vom Bundesverband Legasthenie & Dyskalkulie. "Die wissen nicht, ist Acht größer oder kleiner als Fünf. Die wissen nicht, wie ein Plus oder Minus zu deuten ist. Und das sind die Schwierigkeiten die wirklich nur bei den Kindern mit einer Dyskalkulie auftreten."

In Sachsen nicht als Teilleistungsschwäche anerkannt

Anders als bei der Legasthenie – auch Lese-Rechtschreibstörung (LRS) genannt – ist die Dyskalkulie in Sachsen jedoch nicht als Teilleistungsschwäche anerkannt. Das heißt, betroffene Schülerinnen und Schüler bekommen keinen Nachteilsausgleich, also beispielsweise mehr Zeit, um Aufgaben zu lösen.

Das sächsische Kultusministerium sieht die Lehrkräfte in der Pflicht. Referatsleiter Richard Neun geht davon aus, "wenn es nicht eine prinzipielle Intelligenzminderung gibt, dass unsere Lehrkräfte in der Lage sind, unseren Schülern an der Grundschule grundsätzliches mathematisches Verständnis beizubringen, um die Grundrechenarten zu erlernen." Ist das überhaupt nicht möglich, muss laut Neun überprüft werden, ob ein sonderpädagogischer Förderbedarf vorliegt.

Kaum Fachkräfte für Diagnostik von Dyskalkulie

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hält dem entgegen, dass die betroffenen Kinder dadurch von der Sensibilität der Lehrkräfte abhängig seien. Anders als bei einer LRS haben die Lehrkräfte keinen klaren Maßnahmenkatalog zur Verfügung. Das heißt, die Schule oder die einzelne Lehrkraft muss eigene Maßnahmen entwickeln.

Außerdem weist Sachsens GEW-Chef Burkhard Naumann darauf hin, dass Dyskalkulie nicht Teil des Lehramtsstudiums ist. "Tatsächlich fehlen in der Ausbildung bisher im Lehramtsstudium beispielsweise konkrete Angebote für Diagnostik. Was ist überhaupt zu tun und was sind vielleicht auch Hinweise für Dyskalkulie? Die fachlichen Hintergründe fehlen leider, da gibt es auf jeden Fall noch Nachholbedarf."

Zwar gibt es einzelne Fachkräfte, die für die Diagnostik ausgebildet sind, diese müssen aber durch ganz Sachsen fahren, so Naumann.

Bundesverband und Gewerkschaft fordern Anerkennung von Dyskalkulie als Teilleistungsschwäche

Daher sehen Betroffene oftmals nur den Ausweg: Wechsel an die Förderschule. Denn hier werden die Kinder individueller gefördert. Doch die Hürden für einen Wechsel sind hoch. Experten sehen das allerdings nicht als den besten Weg.

Annette Höinghaus vom Dyskalkulie-Verband betont: "Ein Kind sollte auf jeden Fall an einer Regelschule bleiben, weil es ja über eine ganz normale Begabung verfügt. Wir hören ja von vielen, die eine Dyskalkulie haben, dass die in anderen Fächern sogar brillieren und dort ausgesprochen gute Leistungen zeigen. Und wenn gleichzeitig eben eine gute individuelle Förderung stattfindet, dann kann das Kind auch gesichert durch die Regelschule gehen."

Sowohl der Bundesverband als auch die GEW fordern daher die Anerkennung der Dyskalkulie als Teilleistungsschwäche. Das Kultusministerium sieht bislang jedoch keinen Handlungsbedarf. So müssen betroffene Kinder weiter auf sensible Lehrkräfte hoffen oder den Umweg Förderschule nehmen – mit allen bürokratischen Hürden, wie auch unserer Hörerin beschreibt.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 17. April 2024 | 06:24 Uhr