InterviewExtremismusforscher: Deshalb bietet Leipzig-Connewitz einen Nährboden für Linksextremisten
Nach dem Urteil im Lina-E.-Prozess haben linke Proteste und Gewalt Leipzig erschüttert. Was steckt hinter den Ausschreitungen, warum sehen Linksextreme das Urteil gegen die Studentin als politisches Urteil und warum ist Leipzig-Connewitz ein Schwerpunkt dieser Szene? Darüber haben wir mit dem Extremismusforscher Tom Mannewitz gesprochen. Die "Gefahr von Links" ist auch Thema am Montagabend bei "Fakt ist!" im MDR FERNSEHEN.
Professor Mannewitz, wer wie Lina E. und ihre Mitstreiter andere körperlich angreift und schwer verletzt, begeht ein Verbrechen. Trotzdem sieht man an Fassaden in alternativen Vierteln immer mal wieder den Spruch "Free Lina". Warum wird eine Straftat dort so romantisiert?
Professor Tom Mannewitz: Dahinter steht eine Strategie, die durch Linksextremisten seit Jahrzehnten betrieben wird: Sie nutzen den Antifaschismus für eine gesellschaftliche Entgrenzung. Auch bei der "Hammerbande" war ja der Kampf gegen Rechtsextreme das zentrale Thema. Was dabei in Vergessenheit gerät ist, dass Demokraten unter Antifaschismus in der Regel etwas Anderes verstehen als Linksextremisten.
Gegen Rechtsextremismus zu sein, ist ja im Grunde genommen eine wünschenswerte Angelegenheit. Nur wenn Linksextremisten von Faschismus sprechen, meinen sie in aller Regel etwas, das sie als ein Begleitphänomen, als ein Übel des Kapitalismus betrachten. Diese Grenze verwischt zu haben, ist ein großer Erfolg der linksextremen Szene.
Wenn Demonstranten von politischer Inhaftierung sprechen, ist das also nicht Unwissenheit, sondern ein bewusster Affront gegen den Rechtsstaat?
Es geht, glaube ich, Unwissenheit Hand in Hand mit der politischen Einstellung. Das muss sich ja nicht ausschließen. Man ist in diesen Kreisen tatsächlich der Auffassung, dass man es mit einem Polizeistaat zu tun hat, der latent faschistisch ist und der die Rechtsextremisten nicht richtig bekämpft oder gar gewähren lässt. Das Bild, das sich für den unbedarften Außenstehenden ergibt, muss das Bild eines Staates sein, der hier autoritär wie eine Diktatur gegen politisch missliebige Leute vorgeht, was natürlich völliger Unsinn ist.
Bei den Linksextremen gibt es verschiedene Strömungen. Wenn Gruppen gegen Gentrifizierung demonstrieren oder soziale Missstände anprangern, sind das Themen, die viele Menschen bewegen. Wie weit reicht der Idealismus und wann artet er in Extremismus aus?
Da sprechen Sie ein wichtiges Thema an: Nicht alles, was Linksextremisten oder auch Rechtsextremisten fordern und nicht jedes Thema, um das sie sich kümmern, muss prinzipiell ein Zeichen ideologischer Verblendung sein oder muss per se auch extremistisch sein. Ich sage es mal ganz deutlich: Nicht alles, was die Antifa oder Autonome fordern, ist extremistisch. Umgekehrt gilt aber auch: Nicht alles, was die AfD fordert, ist extremistisch.
Interessant wird es, wenn man sich fragt: Wie geht man die Probleme an? Aus gesellschaftlichen Missständen zu folgern, dass daran das gesamte System Schuld sei, kommt für Demokraten nicht in Frage. Schließlich ist die konstitutionelle Demokratie, die wir haben, das beste politische System, das die Menschheit bisher erfunden hat. Extremisten tun aber genau das, sie sehen das politische System als das Grundübel. Somit sind die Themen, mit denen sich Extremisten beschäftigen, erstmal keine anderen als die, mit denen sich auch andere Teile der Gesellschaft beschäftigen. Aber das Übel sucht man eben woanders, nämlich genau im System. Und da wird es eben extremistisch.
Warum bilden sich lokale Schwerpunkte des Linksextremismus an Orten, wie Leipzig-Connewitz, heraus? Warum gibt es dort den Nährboden für solche Strömungen?
Eine ähnliche Konstellation gibt es auch in Berlin und in Hamburg. Zusammen mit Leipzig sind das die drei großen Hotspots des deutschen Linksextremismus. In allen drei Städten ist das Entstehen eines linksextremistischen Biotops häufig das Ergebnis einer diffusen Subkultur, von alternativen Lebensformen bis hin zur Hausbesetzerszene. Diese Subkultur ist per se noch nicht extremistisch. Allerdings gibt es da gewisse Schnittmengen, denn Autonome zielen auf ein selbstbestimmtes Leben, auf Freiräume ab.
Und das erklärt, warum solche Viertel, wo die alternative Szene lebt, die Linksautonomen anziehen wie die Motten das Licht. Connewitz war ein von der DDR-Führung über Jahrzehnte vernachlässigter Stadtteil. Allein der Umstand, dass es ein blinder Fleck der SED-Führung war, trug dazu bei, dass sich dort schon in den 1980er-Jahren Menschen mit alternativen Lebensentwürfen einfanden. In dem Moment, wo das Gewaltmonopol der DDR wegbrach, zog es umso mehr Leute an, die genau das attraktiv fanden. Und neben den linksalternativen Menschen waren da eben auch Linksautonome darunter.
TransparenzhinweisIn einer früheren Version dieses Artikels ist die erste Frage mit einem Beispiel versehen gewesen. Da im Urteil des Staatsschutzverfahrens gegen Lina E. und weitere Angeklagte verschiedene Schlagwerkzeuge benannt wurden, deren Einsatz variierte, haben wir die Frage neutraler formuliert.
MDR (sth)
Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Fakt ist! | 12. Juni 2023 | 22:10 Uhr