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Steve Meiling holte seine Frau aus der Ukraine nach Deutschland. Bildrechte: MDR SACHSENSPIEGEL

InterviewSteve Meiling aus Borna rettet seine Frau aus der Ukraine

31. März 2022, 18:32 Uhr

Die Narben auf seiner Stirn und in seinem Gesicht erzählen die Geschichte einer gefährlichen und mutigen Rettungsaktion. Steve Meiling aus Borna war als Feuerwehrmann schon oft in gefährlichen Situationen. Doch was am 25. Februar wenige Kilometer vor Irpin geschah, wird sein Leben wohl für immer prägen. Für seine Frau ist er nun ein Held.

Am zweiten Kriegstag brach er von Borna in Richtung Kiew auf, um seine Frau und deren Sohn Sascha aus dem Krieg zu holen. Beide hatten Ende Januar in Kiew geheiratet. Bevor seine Frau ihm jedoch nach Borna folgen konnte, brauchte sie das Zertifikat eines Deutschkurses. Eigentlich wollte sich das frisch getraute Paar erst im April wieder sehen. Nun kam ganz plötzlich alles ganz anders.

Wenige Kilometer vor Irpin wurde Steve Meiling in seinem Auto von russischen Granaten getroffen und schwer verletzt. Inzwischen sind er, seine Frau, deren Sohn und Mutter in Borna angekommen. MDR SACHSEN hat mit ihm gesprochen:

Ist es schwer für Sie, darüber zu reden?

Ich habe ja jetzt schon mit verschiedenen Leuten darüber gesprochen. Ich würde es nicht als Stress bezeichnen, daran gewöhnt man sich.

Wie geht es Ihnen jetzt?

Ich bin auf dem Weg der Besserung. Die Kratzer auf dem Kopf werden bleiben, die Splitter im Kopf werden auch bleiben, aber soweit geht es mir ganz gut.

Sie sind wieder hier, Sie haben es geschafft. Wie blicken Sie von hier aus jetzt auf die Ukraine? Die Oma und der Vater Ihrer Frau sind noch dort.

Wir haben Kontakt über WhatsApp und Videotelefonie. Das funktioniert ganz gut. In der Region, aus der meine Frau stammt, ist es noch relativ ruhig. Wir hoffen natürlich jeden Tag, dass der Krieg endlich vorbei ist. Ich bin sehr verbunden mit der Ukraine, ich kenne inzwischen nicht nur die Familie, ich habe dort Freunde gefunden. Natürlich hofft man jeden Tag, dass die auch in Sicherheit sind.

Machen Sie sich große Sorgen? Kann die restliche Familie nicht nachkommen?

Das Problem ist, die Oma ist 87 Jahre alt und angeschlagen. Die Frage ist, was macht man jetzt. Man kann eigentlich alles falsch machen. Wenn sie dort bleibt, das könnte falsch sein. Man könnte sie herholen, das könnte falsch sein. Man weiß es nicht.

Wie erleben Sie jetzt die Tage hier? Es scheint, Sie gehen nüchtern damit um oder sind Sie aufgewühlt?

Ich denke, das ist so ein Punkt, wo ich sage, da spielt mir tatsächlich die Arbeit bei der Feuerwehr in die Hände, also einfach mit extremen Situationen umzugehen und die zu verarbeiten. Die Nächte im Krankenhaus waren schlimmer, weil man nicht wusste, wann kommt der nächste Angriff, wann muss man wieder in den Keller. Auch das Krankenhaus wurde beschossen. Gott sei Dank habe ich aber hier zu Hause keine Schlafprobleme.

Wie geht es Ihrer Frau?

Vielleicht ist sie ein Stück weit traumatisiert. Sie hat ja alles hautnah mitbekommen. Sie ist definitiv auch froh, hier zu sein und ein bisschen Ruhe zu finden. Ruhe in Anführungszeichen, denn wir haben ja hier auch Wege zu erledigen. Aber sie ist erst einmal raus aus dem Krisengebiet.

War Ihnen das Risiko, Ihre Frau zu holen, bewusst?

Ja natürlich. Natürlich habe ich auch darüber nachgedacht, was die anderen einem sagen. Aber es geht letztlich an einem vorbei. Egal ob Familie oder Freunde, sie waren nicht in meiner Situation. Für mich war es in dieser Situation das einzig richtige, was ich machen konnte. Und ich würde es auch jederzeit wieder tun. Das Risiko ist klar. Man fährt in ein Kriegsgebiet und man hofft, dass nichts passiert. Anders kann man das nicht sagen: man hofft einfach. Und nun ist es so gekommen.

Als Sie angeschossen worden sind, hatten Sie Angst, dass Sie es nicht schaffen?

In dem Moment wusste ich ja gar nicht, was mich getroffen hat. Ich habe am Kopf gemerkt, dass ich was abbekommen habe, wusste aber nicht, was es war. Und durch das Knalltrauma hört man ersteinmal alles ganz weit weg. Ich habe alles in Zeitlupe wahrgenommen. Und da gab es dann tatsächlich den Moment, wo ich das Telefon nehmen wollte, um meine Frau anzurufen und ihr zu sagen, dass ich sie liebe.

Ein paar Minuten später, als ich dann merkte, dass viel Blut mein Gesicht hinunterlief, habe ich selbst mit der Hand getastet und kein Loch an meinem Kopf gefunden. Da habe ich gedacht, wenn das ein Kopfschuss gewesen wäre, dann wäre ich jetzt nicht bei Bewusstsein. Und dann habe ich mir gesagt, komm reiß dich zusammen, du musst hier weg. Da habe ich mich neben das Auto gesetzt, kurz gewartet und bin in das Wohngebiet.

Wie haben die Leute auf Sie reagiert?

Die Leute dort waren sehr hilfsbereit. Eine Frau hat mich direkt gleich verarztet und dann wurde ein Krankenwagen gerufen. Im Krankenhaus selbst war die Skepsis erst einmal groß. Ich bin kein Ukrainer. Es hätte ja sein können, dass ich ein Spion bin. Deshalb wurden meine Ausweise auch genau kontrolliert. Das Misstrauen hat sich dann nach einer Zeit gegeben.

Steve Meiling

Nach ein paar Tagen hatte ein Oberarzt erfahren, dass die russische Fahne auf dem Krankenhausdach gehisste werden sollte. Und weil keiner wusste, was dann mit den Ärzten und Patienten geschieht, bin ich mit dem ukrainischen Arzt, der mich behandelt hat, geflohen.

Wohin sind Sie geflohen?

Wir sind ins nächste Dorf geflüchtet. Dort sind wir zwei Tage bei einem Mann untergekommen und sind dann von dort weiter zum Wochenendhaus meines Arztes nach Winnyzja.

Wie haben Sie dann Ihre Frau gefunden?

Für mich stand fest, ohne sie werde ich nicht über die Grenze gehen. Wir haben dann telefoniert. Sie wusste inzwischen, dass Richtung Westen beziehungsweise Richtung Südwesten die Straße nach Winnyzja die einzige war, die noch halbwegs befahrbar war. Und sie hat es dann tatsächlich mit ihrer Mama und ihrem Sohn über diese Straße nach Winnyzja geschafft.

Wie fühlten Sie sich?

Freudentränen. Ich war erleichtert, dass wir es geschafft hatten. In dem Moment denkt man auch nicht daran, wie es weitergeht. Ich war erstmal happy und habe gedacht, dass es sich gelohnt hat.

Von dort aus sind wir dann zwei Tage später an die Grenze. Im Nachhinein war es für mich wie ein zweiter Geburtstag. Es hätte ja auch anders ausgehen können.

Steve Meiling | Feuerwehrmann

Hatten Sie Angst, ihre Frau nicht wieder zu sehen, weil ihr etwas passieren könnte?

Ja, das war meine Hauptangst. Ich bin für mich selbst verantwortlich. Und ich denke, ich kann auch auf mich selbst aufpassen, auch wenn das jetzt blöd klingt, wenn man meine Narben sieht. Aber es ging hauptsächlich um meine Frau.

Wie ist ihr Verhältnis jetzt zueinander? Sagt sie, "du bist mein Retter"?

Ja, sie hat schon gesagt, ich bin ihr Held und Helden brauchen Narben.

Auf jeden Fall. Ich denke, soetwas muss man einfach nicht erlebt haben. Wir wussten ja zwischenzeitlich nicht, wie es dem anderen geht und sich dann wieder in die Arme zu schließen, das ist schon was Besonderes.

MDR (gg,ia,dh)

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport aus dem Studio Leipzig | 31. März 2022 | 16:30 Uhr