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Trauerbegleitung für KinderWenn kleine Wölfe weinen: Verein Wolfsträne hilft trauernden Kindern

07. November 2022, 14:44 Uhr

Einen geliebten Menschen zu verlieren, ist immer ein tiefer Einschnitt. Besonders Kinder und Jugendliche kann es ein Leben lang begleiten, wenn ein Elternteil oder ein Geschwister stirbt. Der Verein Wolfsträne in Leipzig begleitet Familien im Sterbe- und Trauerprozess. Dabei setzen die ausgebildeten Trauerbegleiterinnen und -begleiter schon bei den ganz Kleinen an.

Ein Wolf mit gesenktem Kopf ist auf einem Schild am Eingang der Windmühlenstraße 41 in Leipzig zu sehen. Er ist das Logo des Vereins Wolfsträne, der Kinder und Jugendliche beim Verlust eines Elternteils, von Geschwistern und Angehörigen begleitet. Die Begrüßung im Flur der Vereinsräume wirkt ungewöhnlich: Eine mit Blumen geschmückte Skellettpuppe sitzt in der Ecke und hält ein Plakat mit der Aufschrift "Dia De Los Muertos". Es erinnert den Tag der Toten am 2. November, bei dem in Mexiko traditionell an die Toten gedacht wird. Eines wird sofort klar: Bei Wolfsträne wird ganz offen mit dem Thema Sterben und Tod umgegangen, gesprochen und diskutiert.

Am Tag der Toten wird Katrin Gärtner mit den Kindern darüber sprechen, wie die Menschen in Mexiko an ihre Verstorbenen erinnern, aber auch feiern. Vor fünf Jahren gründete sie Wolfsträne Leipzig. Die Vereinsgründung sei aus der Not entstanden, als die Leipzigerin damals ein 11-Jähriges Mädchen im Rahmen ihrer Tätigkeit als Kinderkrankenschwester kennenlernte, dessen Mutter bei einem Autounfall gestorben war. Katrin Gärtner, die mit 14 Jahren selbst ihre Mutter verloren hatte, wollte helfen: "Ich hatte ihre Not gespürt und gedacht, wenn ihr jetzt keiner hilft, dann geht es ihr genauso, wie es mir ergangen war. Ich war 30, als ich merkte, dass ich die Trauer um meine Mutter überhaupt nicht verarbeitet hatte."

Katrin Gärtner vom Trauerverein Wolfsträne Leipzig Bildrechte: MDR

700 Kinder in ihrer Trauer begleitet

Vor fünf Jahren habe es noch keine Trauerbegleitung für Kinder in Leipzig gegeben, sagt Katrin Gärtner. Sie ließ sich daraufhin zur Trauerbegleiterin für Kinder ausbilden und gründete den Verein, der heute 40 ehrenamtliche und sechs festangestellte Mitglieder hat. Rund 700 Kinder und Jugendliche wurden hier inzwischen in ihrer Trauer begleitet.

Was beinhaltet die Weiterbildung als Trauerbegleiter für Kinder?Die angehenden Trauerbegleiter lernen die verschiedenen Altersstufen kennen, in denen Kinder unterschiedlich trauern. Die Weiterbildung behandelt außerdem Fragen, wie etwa die Trauer bei den Kindern je nach Alter erkennbar wird und wie man darauf reagieren kann. Sich mit dem eigenem Tod auseinanderzusetzen, gehört ebenfalls zur Weiterbildung. Die Weiterbildung ist in Deutschland nicht vereinheitlicht oder an bestimmte Qualitätsstandards gebunden. Im Verein Wolfsträne kann der Basiskurs innerhalb von vier Tagen absolviert werden. Dieser kostet zwischen 1.500 bis 2.000 Euro. Ein erweitertes Führungszeugnis muss vorgewiesen werden.Quelle: Verein Wolfsträne Leipzig

Kinder müssen Abschied nehmen dürfen

Die Trauerbegleitung von Katrin Gärtner und ihrem Team beginnt in den Krankenhäusern und Hospizen, wenn etwa die Mutter oder der Vater eines Kindes im Sterben liegt: "Wir begleiten die Sterbenden mit ihren Familien zusammen. Wir nehmen den Kindern und Familien die Angst." Häufig würden Kinder und Jugendliche nicht zu den sterbenden Familienangehörigen mitgenommen. Erwachsene würden das machen, um die Kinder zu schützen, sagt die 41-Jährige: "Das ist ein liebevoller Schutz, der aber falsch ist. Dieser bringt den Kindern nichts." Abschied zu nehmen, sei auch für Kinder sehr wichtig.

Wir begleiten die Sterbenden mit ihren Familien zusammen. Wir nehmen den Kindern und Familien die Angst.

Katrin Gärtner | Gründerin und Vorsitzende des Vereins Wolfsträne Leipzig

Deswegen geht das Vereinsteam von Wolfsträne Leipzig schon mit Kindern ab dem ersten Lebensjahr auf Intensiv- und Palliativstationen, damit sie sehen, dass die Mama oder der Papa stirbt, erklärt die Trauerbegleiterin: "Wir wissen nicht genau, was bei einem einjährigen Kind ankommt. Aber wir wissen, dass es wichtig ist, dass das Kind erkennt, dass die Mama anders aussieht, sich nicht mehr bewegt oder nicht mehr mit mir kuschelt." Das Team gebe der ganzen Familie im Sterbe- und Trauerprozess einen Leitplan, indem sie zum Beispiel bei der Planung der Beerdigung helfen.

Spielerisch den Tod nahe bringen

Nach einer Beerdigung gehen die Trauerbegleiterinnen und Trauerbegleiter je nach Altersgruppe unterschiedlich auf die Kinder und Jugendlichen ein. Dabei helfe den Kindern der Kontakt zu anderen Altersgenossen, so Katrin Gärtner: "Sie treffen im Verein auf andere Kinder, die das gleiche erlebt haben. Sie merken dann das erste Mal, dass sie nicht alleine sind mit ihren Sorgen und Problemen."

Die Trauerbegleiter machen den kleineren Kindern den Tod auf spielerische Weise deutlich. Bei einem Spiel beispielsweise liegen Karten auf dem Boden, auf denen unterschiedliche Charaktereigenschaften stehen. Die Kinder könnten dann überlegen, welche Charaktereigenschaften die Mama oder der Papa hatte, erklärt Katrin Gärtner die Methode: "Zum Schluss können die Kinder überlegen, welche Eigenschaften sie von ihren Eltern haben. Das ist für Kinder sehr wertvoll, wenn sie sehen, dass sie dem Papa oder der Mama ähnlich sind. Das ist immer ein schöner Moment für sie."

Tränen zulassen

Wichtig bei der Trauer sei es, dass auch Tränen fließen dürfen und niemand daran gehindert wird, sagt Katrin Gärtner. "Bei uns dürfen die Tränen fließen. Das ist genau das, was hier passieren soll, weil sie woanders oft nicht fließen", erklärt die sie. In der Schule wäre es den Kindern oft peinlich, zu weinen. Zu Hause würden sie sich auch nicht trauen, wenn die Mama oder der Papa selbst traurig sind, so die Trauerbegleiterin: "Die Kinder wissen, hier ist der Raum dafür und hier sind Menschen, die die Tränen aushalten. Wir lassen Tränen zu und unterdrücken sie nicht."

Die Kinder wissen, hier ist der Raum dafür und hier sind Menschen, die die Tränen ausshalten. Wir lassen Tränen zu und unterdrücken sie nicht.

Katrin Gärtner | Gründerin und Vorsitzende des Vereins Wolfsträne Leipzig

Deswegen habe der Verein auch den Namen Wolfsträne gewählt, erklärt Katrin Gärtner. Die Träne sei das Verbindende der Kinder untereinander in ihrer Trauer. Der Wolf andererseits sei ein Tier der Stärke und dem Menschen in seinem Sozialverhalten ähnlich, sagt sie: "Wenn in einem Wolfsrudel ein Elterntier stirbt und ein Wolfswelpe zurückbleibt, dann kümmern sich die alten Wölfe um das Kind."

Doch Trauer könne sich auch in Wut ausdrücken, gerade bei kleineren Kindern. Für Eltern und Schulen sei das oft schwer auszuhalten, wenn die Kinder vor Wut regelrecht "explodieren", sagt Katrin Gärtner. Deswegen bietet der Verein auch Workshops in Schulen an. Außerdem bildet er auch selbst eine Weiterbildung als Trauerbegleiter an.

Bundeskanzlerin verleiht Preis

Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel zeichnete den Verein Wolfsträne im Jahr 2018 persönlich mit dem Sonderpreis von Startsocial aus. Sie lobte dabei die Initiative des Vereins, Kinder und ihre Angehörigen in ihrer Trauer nicht alleine zu lassen und großes Einfühlungsvermögen zu zeigen. Der Verein erhielt damals ein Preisgeld von 5.000 Euro.

Benefizkonzert zweier Chöre

Und auch von anderer Seite gibt es Unterstützung: Am vergangenen Sonntag veranstalteten die Chöre Chornfeld und Crazy Generation einen gemeinsamen Konzertnachmittag. Die Einnahmen sollen dem Verein Wolfsträne zu Gute kommen. Ein Chormitglied, die Mutter einer vierjährigen Tochter, war dieses Jahr verstorben, sagt Katrin Gärtner. Das Kind werde nun im Verein Wolfsträne betreut.

MDR