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Fragen und AntwortenWo Thüringen mehr auf Züge setzen und alte Bahnstrecken reaktivieren könnte

20. Dezember 2023, 15:24 Uhr

Pfefferminzbahn, Max- und Moritz-Bahn, Höllentalbahn - das klingt stellenweise nach Märchenbuch. Aber das sind Bahnstrecken in Thüringen, zu denen das Land Thüringen hat untersuchen lassen, ob sich stillgelegte Verbindungen wiederbeleben lassen. Auch wie es mit den aktuell betriebenen Gleisen weitergehen soll, ist Teil des Masterplans Schieneninfrastruktur 2030, den das Thüringer Verkehrsministerium in Erfurt vorgestellt hat. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

von Florian Girwert, MDR THÜRINGEN

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Schienen der Zukunft: Was soll der Masterplan leisten?

Der soll ergründen, was in Thüringen auf der Schiene möglich ist und was nicht. Landes- und Bundesregierung haben Klimaziele ausgegeben, damit die Temperaturen auf der Erde nicht weiter ansteigen. Dafür muss überall weniger Kohlendioxid, eines der wesentlichen Treibhausgase, ausgestoßen werden. Möglich wäre das einmal, indem mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene verlegt wird. Wenn also Pendler statt einzeln mit dem Auto zusammen mit dem Zug fahren, würde das den Ausstoß verringern. Gleiches gilt für den Gütertransport auf der Schiene. Noch effizienter würde das mit elektrisch fahrenden Zügen. Zwar ist die Infrastruktur durch Oberleitungen dann teurer, aber die Züge fahren effizienter und günstiger. Der Masterplan soll ergründen, an welchen Stellen das bestehende Bahnnetz für diese Zwecke elektrifiziert oder zweigleisig ausgebaut werden kann.

Zudem ist ein wesentlicher Bestandteil des Gutachtens eine Untersuchung von acht ganz oder teilweise stillgelegten Bahnstrecken dazu, inwiefern sie wieder in Betrieb genommen werden können.

Wie sieht das Thüringer Bahnnetz aus?

Es gibt insgesamt 1.607 Kilometer Schienennetz. 565 Kilometer sind mindestens zweigleisig - Züge können also gleichzeitig in beide Richtungen fahren. 523 Kilometer verfügen über eine Oberleitung und können somit von elektrisch getriebenen Zügen befahren werden. Bundesweit ist mehr als die Hälfte der Strecken elektrifiziert, in Thüringen sind es 32,5 Prozent. Das Verhältnis bei den mehrgleisigen Strecken ist ähnlich. 35,2 Prozent in Thüringen zu 56 Prozent im Bundesdurchschnitt. Der Masterplan listet unter anderem Vorhaben auf, durch die das Verhältnis verbessert werden soll.

Dazu gehört in Thüringen die sogenannte Mitte-Deutschland-Verbindung Weimar-Jena-Gera-Gößnitz. Hier sollen auch einige kurze Abschnitte, die noch eingleisig sind, zweigleisig ausgebaut werden. Wesentliche Teile bezahlt der Bund, weil das Programm im Bundesverkehrswegeplan als vordringlich eingestuft ist, aktuell in der Planung. Gebaut werden soll von 2027 bis 2030.

Ebenfalls elektrifiziert werden soll die Strecke Gotha-Leinefelde auf 67 Kilometern. Hier gibt es noch keine Planung. Die Strecke Gerstungen-Heimboldshausen soll auf 19 Kilometern ebenfalls elektrifiziert werden, das soll bis 2028 geschehen und im Wesentlichen Kali-Transporten zugutekommen. Bis 2036 soll die Bahnstrecke Gera-Zeitz-Pegau-Leipzig elektrisch ausgebaut werden, die nördlich von Gera 14 Kilometer durch Thüringen führt. Dieses Projekt gilt als Ausgleichsmaßnahme für das Ende des Braunkohle-Tagebaus in Mitteldeutschland.

Das Land Thüringen geht deshalb davon aus, dass im Regionalverkehr auf der Schiene die aktuell gut 70 Prozent Fahrten mit Dieselzügen bis zum Jahr 2028 auf 40 Prozent gedrückt werden können.

Welche Strecken könnten reaktiviert werden?

Untersucht wurden dafür die Höllentalbahn zwischen Blankenstein und Marxgrün in Bayern, die Kyffhäuserbahn mit der Strecke Artern - Bretleben - Bad Frankenhausen, die Ohratalbahn zwischen Gotha, Ohrdruf und Gräfenroda, die Rennsteigbahn zwischen Ilmenau und Themar, die Max- und Moritz-Bahn (der Name lautet so, weil auf der Strecke früher die Porzellanfabrik Carl Moritz und die Erzgruben der Maxhütte in Unterwellenborn angebunden waren), die Pfefferminzbahn zwischen Straußfurt, Sömmerda und Großheringen mit einer möglichen Anbindung bis nach Jena, die Unstrutbahn zwischen Wangen und Artern sowie die Werrabahn zwischen Hildburghausen oder Eisfeld und Coburg.

Dazu hat die Verkehrsconsult Ingenieurgesellschaft das Fahrgastpotenzial untersucht, die Kosten für die Reaktivierung, die Betriebskosten, Auswirkungen auf die Umwelt sowie das Potenzial für den Güterverkehr.

Welches Potenzial gibt es für zusätzlichen Güterverkehr?

Für zusätzlichen Güterverkehr sieht das Gutachten gleich auf mehreren Strecken Potenzial. Zum Beispiel die Kyffhäuserbahn könnte genutzt werden, um den Bundeswehrstandort in Bad Frankenhausen anzubinden und deren Fahrzeugkolonnen künftig per Eisenbahn zu transportieren. Auch eine Kiesgrube in Oldisleben könnte angebunden werden. Potenzial für Gütertransport wird auch zwischen Gotha und Ohrdruf auf Teilen der Ohratalbahn gesehen, auf der Pfefferminzbahn sowie in Teilen der Höllentalbahn.

Personenverkehr können sich die Gutachter seltener vorstellen. Allerdings führt das Gutachten aus, die Wohnungsknappheit in Jena und der Drang der Bewohner, anderswo zu leben und zum Arbeiten nach Jena zu pendeln, sei nicht berücksichtigt. Thüringens Verkehrsministerin Susanna Karawanskij (Linke) sagte, Personenzüge könne das Land bestellen, wenn sich die Anrainer-Kommunen klar dazu bekennen, dass sie eine solche Verbindung auch wollen. Hohe Investitionen in die Schienen wären auf dieser Strecke nicht notwendig.

Im Gegensatz etwa zur Max- und Moritz-Bahn von Probstzella nach Ernstthal am Rennsteig. Das Potenzial für Personen und Güterverkehr sei gering und die Investitionskosten mit mindestens 45 Millionen Euro viel zu hoch. Brücken und Tunnel müssten erneuert werden. Kritik gibt es dafür vom Fahrgastverband "Pro Bahn". Man müsse nicht auf allen Strecken Maximalstandards umsetzen. Schließlich finde auf der Strecke auch aktuell touristischer Verkehr statt.

Die Pfefferminzbahn gehört zu den Bahnstrecken, zu denen Thüringen untersuchen lassen hat, ob sich stillgelegte Verbindungen wiederbeleben lassen. Bildrechte: MDR/Pfefferminzbahn e.V.

Runder Tisch und Kritik: Wie geht es weiter?

Dass im kommenden Jahr schon Orte wieder angebunden werden, die aktuell nur Busverkehr haben, das steht nicht ins Haus. Das Gutachten sieht vor: 2024 gibt es ein Mobilitätsnetzwerk. Da sollen über eine Art Runden Tisch alle ins Gespräch kommen, die Interessen haben. Also Unternehmen, die einen Schienenanschluss wollen. Städte, die wieder angebunden werden wollen. Fahrgastverbände und Verkehrsunternehmen sollen auch dabei sein. Nach der Landtagswahl soll ein parlamentarischer Lenkungsausschuss gebildet werden, der die Projekte vorantreiben kann.

2025 könnte dann das Programm "Back on Track" (kann sowohl "zurück auf die Schiene" als auch "wieder in der Spur" heißen). Damit sollen regionale Initiativen zur Reaktivierung von Bahnstrecken unterstützt werden. Ob es dazu kommt, will das Thüringer Verkehrsministerium prüfen. So richtig konkret wird es bisher also nicht, wirkliche Entscheidungen sind frühestens nach der Landtagswahl zu erwarten. Genau das kritisiert der Fahrgastverband Pro Bahn. Der Runde Tisch sei zu begrüßen, ebenso der parlamentarische Lenkungskreis. "Aber in den Prozess muss mehr Tempo rein", sagt der stellvertretende Landesvorsitzende Hennig Eggers. Der Lenkungskreis müsse noch im Frühjahr seine Arbeit aufnehmen, der Landtag solle der Landesregierung "Beine machen". Andere Länder planten und bauten bereits, Fördermittel seien für den Ausbau des Netzes vorhanden. "Thüringen nimmt das überhaupt nicht in Anspruch. Das muss sich ändern."

Generell müsse das Bestandsnetz stärker zweigleisig ausgebaut und öfter elektrifiziert werden. Auch da brauche Thüringen mehr Ideen und konkrete Vorhaben, an welchen Stellen das passieren könnte. Die Verkehrsministerin verweist aber auch darauf, dass etwa die sogenannten Regionalisierungsmittel, die das Land von der Bundesregierung für den Nahverkehr bekommt, bisher nicht einmal an die starke Inflation angepasst worden seien. Die Mittel seien also knapp. Große Sprünge sind daher in nächster Zeit nicht zu erwarten - und wie stark eine künftige Landesregierung auf die Schiene setzt, ist alles andere als klar.

Das sagen unsere User dazu

Es überwog Skepsis: "Was hier zur Reaktivierung vorgeschlagen wird ist so abwegig, dass ich mich frage, wie das ernsthaft diskutiert werden kann (es sei denn, der Staat spielt Lotto und gewinnt ein paar Milliarden). Das sind für mich völlig unrealistische Fantasien, die jedweder Wirtschaftlichkeit entbehren." (Ludwig58) oder "Wenn ich mir so die Preise ansehe, die die Bahn dann für Ausbau von ca. 100 km Strecke aufruft.... Für das zweite Gleis und die Elektrifizierung von Weimar nach Gera rund 600 Millionen... Da weiß ich leider ganz genau, daß hier der spitze Bleistift einiger Kostenrechner im Dienste welcher Herren auch immer alle diese Projekte unwirtschaftlich rechnen werden. … So wird das leider nichts mit Verkehrswende" (Kennichseher), oder ganz knurrig Tpass: "Totengräber DB und Regierung zahlen lieber Millionen Boni und Gehälter an unqualifizierte Mitarbeiter und Minister als es in das Schienennetz oder den gesamten ÖNVP zu investieren." Mehrere User sahen örtliche Umweltschutzbedenken und sonstige Widerstände als unüberwindbare Hindernisse wie Matrox5: "Spätestens in dem Moment, wo Wiederinbetriebnahme-Pläne konkreter werden, werden sich alle auch nur im Entferntesten betroffenen Bedenkenträger und NIMYBYs in Stellung bringen und dagegen vorgehen. Am Beispiel Höllenbahn ist es auf diese Weise seit Jahrzehnten gelungen, die Reaktivierung von lächerlichen 6 km Strecke zu verhindern."

Andere User bezeichneten Reaktivierungen aber als sinnvoll: "Die alte Strecke zwischen Eschwege und Eisenach, über Creuzburg, Mihla, Treffurt und dann weiter nach Eschwege wäre eine Maßnahme um den Werra-Meißener Kreis und den Wartburgkreis wieder im kleinen hessisch-thüringischen Zusammenschluss vom Straßenverkehr und täglichen Pendlerverkehr zu entlasten. Die nie fertig werdende Autobahnverbindung könnte so durch eine elektrifizierte Verbindung ersetzt werden" (Thorsten Pfeiffer) oder klaus.kleiner: "Bei der Pfefferminzbahn handelt es sich um eine Querverbindung zwischen zwei Hauptstrecken, diese zu nutzen war nicht attraktiv, da man z.B in Großheringen keine vernünftigen Anschlussverbindungen hatte!" oder ganz knapp Heiko Langheinrich: "Höllenthal Bahn! Überladene Holztransporter sind nicht mehr tragbar!"

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Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN | MDR Thüringen Journal | 19. Dezember 2023 | 19:00 Uhr

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