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Die Energiekosten sind nur eines von meheren Sorgenkindern der Thüringer Wirtschaft. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

WirtschaftEnergiekrise im Mittelstand: Überraschende Kostensteigerungen trüben Aussichten

02. Januar 2024, 15:51 Uhr

Umfragen der vergangenen Monate zeigen es immer wieder: Die Stimmung in der Wirtschaft Thüringens ist durchwachsen. Neben dem Fachkräftemangel beschäftigen die Energiepreise viele Unternehmen. Denn die steigen durch sehr kurzfristige Entscheidungen stärker an als erwartet. Das gefährdet Investitionen, heißt es von Unternehmen. Ein Jenaer Volkswirt sagt: Subventionen abbauen ist richtig, aber nicht so kurzfristig.

von Florian Girwert, MDR THÜRINGEN

Mario Gräfe legt heute mal selbst Hand an - unter dem kritischen Blick einer Mitarbeiterin macht er sich an zwei Blechen Marzipanschnitten zu schaffen. Die flüssige Schokoladenglasur glänzt. Der Konditormeister hantiert mit weißer Schokolade für ein Muster. Längsstreifen, die anschließend mit dem Messer alle paar Zentimeter in die eine oder andere Richtung gezogen werden. "Wenn die Schokolade zu kalt ist, ist sie zu fest. Ist sie zu warm, wird sie grau", brummt er konzentriert. Am Ende gibt es doch ein paar kleine Stellen, an denen es nicht perfekt aussieht. "Ich mache das leider nicht mehr jeden Tag", sagt er.

Als Chef des Bäckerei- und Konditoreibetriebs Kaffeehaus Gräfe GmbH & Co. KG mit Sitz in Eisenberg, der an neun Verkaufsstandorten und der zentralen Backstube etwa 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt, hat er nicht nur mit der Handwerkskunst zu tun. Vor dem Morgengrauen sind die Bäcker in der Backstube, später kommen die Konditorinnen. Und natürlich überall Verkaufspersonal. Es sei schon eine Herausforderung, allen gerecht zu werden.

Viele wollen weniger als 40 Wochenstunden arbeiten

Gräfe berichtet, längst nicht alle wollten heute in Vollzeit arbeiten, auch fürs Wochenende sei es manchmal schwierig, den Dienstplan zu füllen. Der Generationenwechsel beim Personal treibe diese Entwicklung an. Für jüngere Leute, zum Beispiel für Mütter, seien 40 Stunden oft nicht mehr gewollt. "Aber wir wollen die Leute natürlich auch langfristig halten und nicht verheizen." Die Zeiten seien nun mal anders als früher, sagt er. Aber das gehöre zum Unternehmersein dazu. Es führt unter anderem dazu, dass es am Sonntag keine Brötchen gibt, sondern nur Kuchen und Torten. "Aber im Großen und Ganzen kriegen wir das recht gut hin."

Ein zentraler Ofen spart Kosten

Fahrer bringen die fertig gebackene Ware in die Filialen, unter anderem nach Bürgel und Jena. "So sparen wir immerhin beim Backen etwas Energie, weil nicht in jeder Filiale immer wieder der Ofen angemacht werden muss", sagt er. Gegenüber anderen Bäckereien sei das ein klarer Vorteil. Drei bis vier Prozent seiner Kosten seien Energiekosten, bei Filialbäckern mit Elektro-Öfen liege der Anteil bei fünf bis sieben Prozent.

Und die Energiekosten sind seit einigen Wochen eine noch größere Sorge als zuvor. "Wir hatten uns halbwegs auf alles eingestellt“, sagt er. Dann kam der Haushaltskompromiss der Bundesregierung. Weil ein Zuschuss des Bundes zu den Netzentgelten der Stromnetzbetreiber wegfällt, müssen ab Januar alle Stromkunden mehr zahlen. Zudem steigt die CO2-Abgabe statt von 30 auf 40 gleich auf 45 Euro. Auch das wird sich auf die Energiepreise auswirken. Teilweise werden die Öfen bei Gräfe schließlich mit Erdgas betrieben.

Teigrohling auf 92 Grad erhitzen

"Um einen Teigrohling von 20 Grad auf 92 Grad Kerntemperatur zu bringen, da kann ich nicht einfach einsparen." Die Energie müsse eben aufgebracht werden. Wie er mit den höheren Kosten umgeht, weiß Gräfe noch nicht. Preiserhöhungen habe es im vergangenen Jahr schon gegeben. "Das ist gerade die letzte Option. Die Kunden werden ja nicht verpflichtet, bei mir zu kaufen. Manche sagen dann, das ist mir jetzt zu viel. Für manche sind auch höhere Preise in Ordnung, aber ich habe Verständnis für jeden, der sagt, dann halt nicht. Oder nicht mehr so oft."

Gräfe ärgert sich auch darüber, dass andere Zulieferer mitunter einfach die Gelegenheit genutzt hätten und im Zuge der Inflation Preise angehoben haben, obwohl ihre Kosten manchmal gar nicht gestiegen sind. Womöglich müsse beim Sortiment optimiert werden. "Es gibt Produkte, die brauchen nicht den ganzen Ofen, die gibt es dann vielleicht seltener."

Strom schon zu lange zu teuer

Noch deutlich mehr Energie als der große Ostthüringer Handwerksbäcker braucht das Unternehmen von Modesto Pesavento in Schmalkalden. Bei seiner Eproplast GmbH sind 100 Mitarbeiter allein in der Herstellung von Kunststoff-Flaschen beschäftigt. Diese werden im Spritzguss-Verfahren zunächst als Rohlinge hergestellt, die ein bisschen wie Reagenzgläser mit Schraubverschluss aussehen.

Im zweiten Schritt werden diese Rohlinge dann kurz auf bis zu 300 Grad Celsius erhitzt und in Form geblasen. Die Firma verwendet ausschließlich PET, zu einem Drittel aus recyceltem Material. Ohnehin kämpft das Unternehmen tendenziell mit den hohen deutschen Energiepreisen.

Plastikflaschen aus Thüringen - für Getränke, Flüssigseife, Schuhcreme, Sirup und Honig. Bildrechte: MDR/Florian Girwert

Preise seit Beginn des Ukraine-Kriegs gestiegen

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs seien die Preise nochmal deutlich gestiegen. "Mit all den Kosten zahlen wir sicher 25 Cent für den Industriestrom", sagt Pesavento. Damit liegt man im EU-Vergleich im teuren Bereich. "Die direkten Nachbarstaaten stehen besser da. Die sind aber auch nicht so schnell aus dem Atomstrom ausgestiegen wie wir."

Eigentlich wollte Pesavento für die Fertigung eine neue Kältemaschine anschaffen. Der Förderantrag war schon fertig. Dann kam die Haushaltssperre der Bundesregierung, der Fördertopf war plötzlich leer. "Aber wenn wir das selber finanzieren, rechnet es sich nicht. Ich spare vielleicht fünf Prozent ein, muss aber sechs Prozent Zinsen zahlen."

Modesto Pesavento ist Geschäftsführer von Eproplast aus Schmalkalden. Bildrechte: MDR/Florian Girwert

Rechnen müsse es sich schon, also ist die Investition erstmal gestrichen. Genau wie der Ausbau der Produktion. Denn auch Kreditzinsen sind gerade deutlich höher als noch vor zwei Jahren. "Die Brandschutzmauer ist schon fertig", berichtet er. Aber unter gegenwärtigen Bedingungen rechne sich die Investition nicht. "Wir brauchen wettbewerbsfähige Strompreise, preiswerten Industriestrom. Der nicht damit verbunden ist, dass man tausende Anträge schreibt und hoffen muss, dass da irgendwas bewilligt wird."

Förderbedingungen ändern sich zu oft

Er wolle keine Mitarbeiter oder teure Berater damit beschäftigen, sich durch einen ständig verändernden Förderdschungel zu arbeiten. "Unsere Kunden vergleichen einfach mit dem Wettbewerb. Und ums uns herum in Frankreich, Polen oder Tschechien gibt es bessere Energiepreise. Dann kommen die Flaschen eben nicht mehr aus Deutschland. Klar, wir wollen dekarbonisieren", sagt Pesavento. "Aber vielleicht ist es bei den Rahmenbedingungen eher eine Deindustrialisierung."

Dass die Regierung zum Jahresbeginn auch die Stromsteuer abgeschafft hat, geht für das Unternehmen völlig unter. Industriebetriebe hätten da ohnehin Ausnahmen erhalten. "Der Wegfall ist für uns marginal, 10.000 Euro vielleicht." Nun fallen Subventionen für Netzentgelte weg, der CO2-Preis steigt stärker als geplant und kurz vor Weihnachten kam die Nachricht einer neuen Plastiksteuer. Die Mehrkosten, so erwartet der Flaschenhersteller, dürften die Verbesserungen um ein Mehrfaches übertreffen.

Rufe nach Entlastungen für Unternehmen

Vor allem, dass diese Mehrkosten so kurzfristig kommen, kritisiert Professor Andreas Freytag. Der Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftspolitik an der Friedrich-Schiller-Universität Jena sagt, die Wirtschaftspolitik "ist nicht mehr nachvollziehbar und in sich auch nicht schlüssig."

Unternehmen würden unter Preiserhöhungen leiden. "Natürlich ist es richtig, die CO2-Steuer zu erhöhen. Die muss viel höher sein, wenn wir wirklich aus den CO2-Emissionen aussteigen wollen." Aber Unternehmen müssten das langfristig planen können und sie müssten dann an anderer Stelle Entlastungen bekommen.

"Die berühmte Frage nach dem Bürokratieabbau wird ja nicht beantwortet. Stattdessen gibt es mehr Bürokratie, mehr Berichtspflichten." Die Bundesregierung sei zerstritten. "Es gibt keine klare Linie und keinen gemeinsamen Nenner."

Verband der Wirtschaft Thüringes kritisiert Energiepolitik

Auch der Verband der Wirtschaft Thüringes kritisiert die Energiepolitik. Da sei Deutschland ohnehin auf einem Irrweg. "Und auf dem wird jetzt nochmal Gas gegeben", sagte eine Sprecherin MDR THÜRINGEN.

Da könne es durchaus sein, dass Unternehmen Investitionen aufschieben - "oder an ausländischen Standorten durchführen, weil sie die Risiken hier für zu groß halten", sagt Professor Freytag. Das könne zu einem Erdrutsch werden, auch wenn das keineswegs sicher sei.

Nötig sind aus seiner Sicht Bürokratie-Abbau, ein Beheben des Fachkräftemangels, eine Überarbeitung des Bürgergelds. "Dafür muss sich die Regierung mit vielen Interessengruppen anlegen, die Privilegien erhalten haben. Aber all das muss überprüft werden."

Grundsätzlich sei es nämlich richtig, bei Subventionen zu kürzen - am besten bei allen um 10 oder 20 Prozent pro Jahr, so dass hier auch langfristig geplant werden könne. Und dann werde auch Geld für Investitionen des Staates frei.

MDR (flog/mm)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 02. Januar 2024 | 19:00 Uhr

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