Fakt ist! aus ErfurtThüringer Kommandeur: "Wir befinden uns schon im Krieg"
Keine Eskalation mit Putin, Frieden statt Krieg - darüber waren sich die Gäste bei Fakt ist! aus Erfurt am Montagabend ziemlich einig. Bei der Frage über das Wie gingen die Meinungen dann doch ziemlich weit auseinander.
Immer wenn Oberst Georg Oel das Wort ergriff, wurde es still im Studio. Der Kommandeur des Landeskommandos der Bundeswehr in Thüringen mag mit seiner Botschaft vielleicht nicht bei jedem vollends durchgedrungen sein. Doch mit seiner ruhigen, staatstragenden Art und klaren Ansprache schaffte er es in einer ansonsten ziemlich aufgewühlten Fakt ist!-Sendung, dass ihm alle wie gebannt zuhörten. "Wir befinden uns schon im Krieg", sagte Oel. Der heiße Krieg spiele sich gegenwärtig in Osteuropa ab. In Deutschland geschehe dagegen das, was Fachleute einen hybriden Krieg nennen. "Russland hat Deutschland im Fokus", sagte er. "Wir sehen das durch Cyberangriffe, durch Ausspähungen und durch Spionage." Das alles finde fast täglich statt.
"Aufrüsten und abschrecken - Rückkehr in den Kalten Krieg?" war der Titel der von Andreas Menzel und Lars Sänger moderierten Sendung am Montagabend in Erfurt. Neben Oberst Oel waren die Vorsitzende der Thüringer Linken Ulrike Grosse-Röthig, der Sicherheitsberater Nico Lange und die sächsische Grünen-Bundestagsabgeordnete Merle Spellerberg zu Gast.
So ernst das Thema ist, so hitzig diskutierten auch die Gäste im Studio. Im Grunde waren sich alle in einem wesentlichen Punkt einig: keine Eskalation mit Putin, Frieden statt Krieg. Nur bei der Frage über das Wie gingen die Meinungen dann doch ziemlich weit auseinander. Da saß im Publikum einerseits die Fraktion, die Angst um eine weitere Konfrontation mit Russland hat. Es wird befürchtet, dass Waffenlieferungen und eine Aufrüstung Deutschlands Russland proviziere und dadurch eine Spirale der Eskalation in Gang gesetzt werde. Aber es geht auch um persönliche Schicksale: So äußerte eine Mutter offen, dass sie große Angst habe, dass ihr Sohn in den Krieg ziehen müsse.
"Historische Pflicht, friedenstüchtig zu sein"
Vertreten wurde diese Haltung in der Sendung von der Thüringer Linke-Chefin Ulrike Grosse-Röthig, die zwar die Bedrohungslage durch Putin anerkennt - in Bezug auf Russland sprach sie von imperialen Machtfantasien. Es sei jedoch Deutschlands historische Pflicht, sich in der Welt als Friedensmacht anzubieten, sagte sie. "Wir müssen nicht kriegstüchtig, sondern friedenstüchtig werden." Grosse-Röthig kritisierte nicht nur die starke Fokussierung auf Waffen, sondern auch die Sprache. Nach Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) nahm jetzt auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) das Wort "kriegstüchtig" in den Mund. Das Gesundheitswesen solle für Militärkonflikte gerüstet werden, so Lauterbach. Grosse-Röthig sagte dazu, das Gesundheitssystem solle erst einmal alltagsfähig werden, denn auch dies sei ein Teil unserer Sicherheit.
Der Machtanspruch Putins, seine imperialen Pläne mit Gewalt durchzusetzen zu wollen, ist es, was andere wiederum zur Überzeugung gelangen lässt, dass dieser nicht aufhört, wenn die Ukraine erst einmal besiegt wäre. Nur durch Abschreckung und Stärke könne Putin Einhalt geboten werden. So meldete sich im Publikum ein 18-jähriger Mann zu Wort. Es sei sehr naiv zu glauben, dass Russland den Wunsch nach Frieden teile, sagte er. Die Ansage, kein Krieg zu wollen, sich aber darauf vorzubereiten, sei das einzig Richtige.
"Unsere Sicherheit ist bedroht"
Der Politikwissenschaftler und Sicherheitsberater Nico Lange, der auch CDU-Mitglied ist, sagte ganz deutlich: "Unsere Sicherheit ist bedroht." Auch die Ukrainer wollten Frieden und ein ganz normales Leben führen - bis sie überfallen wurden, so Lange. "Sich zu verteidigen ist nichts, was man sich aussucht." Er sprach vom ehemaligen russischen Präsidenten und Putin-Vertrauten Medwedew, der eine neue Karte Osteuropas präsentierte, auf der einige Länder gar nicht mehr vorkommen. Medwedew wirft Deutschland nun auch vor, einen Krieg gegen Russland vorzubereiten. Auslöser war die Veröffentlichung eines von russischer Seite abgehörten Gesprächs von Bundeswehroffizieren über den möglichen Einsatz von Taurus-Marschflugkörpern. "Wenn wir sagen, das betrifft uns nicht, wird er [Putin] so lange weitermachen, bis ihn jemand stoppt", so Lange.
In diesen Zeiten debattiert Deutschland nun über seine heruntergewirtschaftete Bundeswehr und die Tatsache, dass man sich auf einmal selbst verteidigen können müsse, nachdem das jahrzehntelang jemand anderes für einen übernommen hat. 1990 hatte die Bundesrepublik noch über 450.000 Soldaten und 2.000 Kampfpanzer; aktuell sind es 180.000 Soldaten und 250 bis 300 Kampfpanzer. Manche großen Geräte bei der Bundeswehr seien bereits seit 45 Jahren im Einsatz, sagte Oberst Georg Oel.
Der Kommandeur forderte auch mehr Engagement in der sogenannten zivilen Verteidigung. Dabei geht es um die Sicherstellung der Staats- und Regierungsfunktion in Deutschland, um die Zivilverteidigung, um die Versorgung der Bevölkerung und um die Unterstützung der Streitkräfte. "Nur wenn diese vier Säulen zusammenkommen, ist Deutschland verteidigungsbereit." Derzeit seien wir das nicht, erklärte Oel.
Für die Verteidigung woanders kürzen?
Die Dresdner Bundestagsabgeordnete der Grünen, Merle Spellerberg, ist Mitglied im Verteidigungsausschuss. Sie gab zu bedenken, dass Sicherheit zwar einerseits militärisch sei. Die Bundeswehr müsse entsprechend gestärkt werden, um das Land gegen einen Aggressor verteidigen zu können. "Das andere ist Sicherheit, wenn wir über unsere Demokratie sprechen." Dazu zählten Cyberangriffe und Desinformationskampagnen. Jeder einzelne könne dazu beitragen, russischen Kampagnen nicht auf den Leim zu gehen, indem Quellen geprüft und so Verantwortung übernommen werde. Aber auch die Sicherheit der Lebensgrundlagen gehöre zur Verteidigung. Spellerberg warnte davor, zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit im Land Ausgaben für Soziales zu kürzen, denn auch das gefährde die Demokratie.
Die Frage, ob für eine bessere Verteidigung woanders gespart werden muss, könnte künftig für weitere politische Debatten sorgen. Sicherheitsberater Nico Lange sagte ganz offen in der Sendung, dass eine Stärkung der eigenen Sicherheit eben auch bedeute, anderes dafür nicht finanzieren zu können. "Zeitenwende heißt, Realitäten ins Auge zu schauen", sagte er.
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MDR (sar)
Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Fakt ist! aus Erfurt | 04. März 2024 | 22:10 Uhr
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