Dossier
- 3. Erste, zweite und dritte Flucht
- Arafats Thüringer "General" - Wo ist Udo Albrecht?
- 1. Kindheit ohne Heimat
- 2. Erste Straftaten
- 15. Im Visier des BND
- 4. Im Visier von Interpol
- 5. Vierte Flucht
- 6. Straßenkämpfe in Amman
- 7. Begegnung mit "Stern"-Reporter Gerd Heidemann
- 8. Fünfte Flucht
- 9. Einsatz in der Schweiz
- 10. Sechste Flucht
- 11. Haft in Österreich
- 12. Siebte Flucht
- 13. Geldbeschaffung
- 14. Festnahme in Hamburg
- 15. Im Visier des BND
- 16. Keine Flucht, sondern Entlassung aus der Haft
- 17. Die Wehrsportgruppe und die Banküberfälle
- 18. Gebrauchtwagen für die Palästinenser - der Deal mit Karl-Heinz Hoffmann
- 19. Der geheimnisvolle "Rolf Jung"
- 20. Festnahme
- 21. Albrecht unter Druck
- 22. Flucht in die DDR
- 23. Befragung durch die Stasi
- 24. Verhandlungen mit den Palästinensern
- 25. Ein Agent des Ostens oder des Westens?
- 26. Die Legende vom Einflussagent
- 27. Weiter im Visier der Geheimdienste
- 28. Spurensuche
- 29. Die "Operation Ulrich"
- 30. Verstärkte öffentliche Fahndung
- 31. Ermittlungen nach dem Mauerfall
- 32. Wo ist Udo Albrecht?
Arafats Thüringer "General" - Wo ist Udo Albrecht?Im Visier des BND
Am 25. Oktober 1976 informiert die Quelle 060686 den Bundesnachrichtendienst über Udo Albrecht. Die Quelle, so ein interner Vermerk, sei ein "Deutscher mit guten Verbindungen zur Al-Fatah". Er berichtet, dass Albrecht "das volle Vertrauen der Fatah-Führung" genieße. Albrecht erfreue sich "der besonderen Unterstützung des für die Planung und Durchführung von Terroranschlägen verantwortlichen Fatah-Führers Abu Iyad." Und weiter berichtet der Deutsche: "Albrecht gilt als entschlossen und rücksichtslos." Er operiere von Beirut aus: "Er ist verantwortlich für die Ausbildung, Führung und den Einsatz deutscher Rechtsextremisten, die sich der Fatah angeschlossen haben." Es sei sicher, dass Albrecht auch Kontakte zur "linken deutschen Terrorszene" unterhalte. Im September und Oktober 1976 habe Albrecht Kontakte zu Karl-Heinz Hoffmann gehabt. Zurzeit bemühe sich Albrecht um die Rekrutierung deutscher Staatsbürger für die Al-Fatah. Der BND informiert das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt. Die letztgenannte Behörde vernimmt Albrecht.
Am 8. November informiert die Quelle 060686 erneut den Bundesnachrichtendienst über Udo Albrecht. Diesmal geht es um die "Deckanschrift von Udo Helmar Albrecht im Libanon". Sie lautet: Dr. Walter Lützow, Beirut, P.O.B. 7516. Die Quelle, so eine interne BND-Notiz, verfügt über "gute Beziehungen zur Al-Fatah". Die Information geht auch an das Bundesamt für Verfassungsschutz weiter.
Wenige Tage später, am 18. November 1976, titelt "Die Welt": "Deutsche Terroristen lernen im Jemen, wie man Flugzeuge kapert". Unter Berufung auf deutsche Sicherheitsbehörden berichtet das Blatt, dass nicht nur Linksextremisten, sondern nun auch Rechtsextremisten Kontakt zu palästinensischen Terroristen suchen. Als Beispiel wird Albrecht genannt.
Zellennachbar ist der Kanzler-Spion
Im November 1976 macht Albrecht abermals Schlagzeilen. Die "Welt am Sonntag" titelt: "Neben Kanzler-Spion Guillaume sitzt ein PLO-‚General‘ in Haft". Mit dem General der Palästinensischen Befreiungsorganisation ist Albrecht gemeint. Er sitzt im Gefängnis Rheinbach bei Bonn in einer Einzelzelle, hinter "doppelten Gitterstäben", wie die Zeitung weiß. Albrecht sei ein schmaler Mann mit sanfter Stimme und schütterem Haar. Trotz dieses "schmächtigen" Erscheinungsbildes sei sich das Bundeskriminalamt sicher: "Albrecht ist einer der geheimnisvollsten, aber auch einer der gefährlichsten deutschen Terroristen." Und: Laut Sicherheitskreisen ist er "ein knallharter Rechtsradikaler". In dem Artikel wird Albrechts Sündenregister aufgezählt und versucht, seinen Lebenslauf zu rekonstruieren. PLO-Chef Arafat habe Albrecht beauftragt, "deutsche Terroristen zu einer Brigade gegen Israel zusammenzuschmieden". 520 Deutsche, darunter 60 Mädchen, soll Albrecht angeworben haben. Jetzt ermittle die Bundesanwaltschaft gegen ihn.
Die Behörden sehen den Artikel kritisch: Die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf schreibt 1980, dass der Bericht "stark übertrieben" sei. "Die Ermittlungen haben jedenfalls keine hinreichenden Erkenntnisse dafür erbracht, dass Albrecht über einen wesentlichen Einfluss innerhalb der PLO verfügte."
Der Tod von Kurt Giovanni Wolany
Bei ihren Ermittlungen stützen sich die Sicherheitsbehörden auch auf drei Deutsche, die aus dem Bürgerkriegsland Libanon kamen und Mitte August 1976 an der jugoslawisch-bulgarischen Grenze in Dimitrowgrad gefasst worden waren. Sie hatten in ihrem Mercedes sechs Maschinenpistolen, Nachtsichtgeräte und 15 Kilogramm Plastiksprengstoff versteckt. Angeblich, so berichtet es eine Zeitung, sollten die Waffen für Geiselnahmen genutzt werden, um inhaftierte RAF-Mitglieder freizupressen. In der Vernehmung durch die jugoslawischen Behörden geben die Festgenommen unter anderem an, dass sie die Waffen und den Sprengstoffe im Auftrag Albrechts aus dem Libanon in die Bundesrepublik bringen sollten. Ein Schnellgericht verurteilte das Trio zu 30 Tagen Haft. Einer der drei Festgenommenen, der 25-jährige Kurt Giovanni Wolany, stirbt in jugoslawischer Haft - angeblich an einem schweren Bronchial-Asthma-Anfall. Mitgefangene berichten dagegen von Schlägen der Bewacher. Die anderen beiden, Hans-Georg Buttgereit und Walter Offen, wurden am 11. November 1976 an die Bundesrepublik ausgeliefert. Die mutmaßlichen Terroristen wurden im Zusammenhang mit einem Bankraub gesucht.
Nach ihren Aussagen hatte Albrecht einen Sparkassenüberfall mit Geiselnahme in Ründeroth (Gummersbach / Oberbergischer Kreis) am 15. März 1976 geplant. 260.000 Mark seien dadurch in die PLO-Kassen geflossen. Später stellen Ermittler fest, dass sich der Verdacht gegen Albrecht nicht erhärten ließ. Außerdem soll der "Arafat-Günstling" Geiselnahmen geplant haben, um RAF-Terroristen für die PLO freizupressen. Sie hätten dafür die Waffen geschmuggelt.
Die Festnahme in Jugoslawien macht die bundesdeutschen Ermittler erneut auf Albrecht aufmerksam. Sie gehen dem Verdacht nach, dass er "im Namen und im Auftrag einer terroristischen Organisation Straftaten auf dem Gebiet der Bundesrepublik planen und ausführen sollte."
In der Haft ist Albrecht offenbar kooperationsbereit. Er versichert dem Bundeskriminalamt, dass er jeglichem Terror abgeschworen habe und nunmehr weiteren Schaden verhindern wolle. Offenbar gibt es bei den Sicherheitsbehörden die Hoffnung, Albrecht als eine Art V-Mann in der Szene einzusetzen, um an Informationen über die Verbindungen zwischen Neonazis und Palästinensern zu kommen.
Wer ist "Schönwald"?
Am 9. Dezember 1976 erreicht den Bundesnachrichtendienst wieder eine Meldung zum Fall Albrecht. Die Quelle hat die Nummer 060686 und trägt den Deckname "Schönwald". Wer sich hinter dem Decknamen verbirgt, bleibt vorerst offen. Der Bundesnachrichtendienst teilt auf Nachfrage mit, "dass der BND grundsätzlich keine Auskunft darüber gibt, welcher Charakter der Beziehung zwischen einer Person und dem BND innewohnt". Der Betreff der Meldung: "Angaben zur Person und zum BRD-Aufenthalt des Terroristen Udo Helmar Albrecht". Die Quelle ist gut informiert. Sie kennt Albrecht offenbar persönlich und weiß, dass er sich in U-Haft befindet. Bei "Schönwald" könnte es sich um Albrechts Anwalt Schöttler handeln. In dessen BND-Akte befindet sich die Meldung. "Schönwald" informiert zunächst über die Reiseroute Albrechts zwischen Sidon im Libanon und Westeuropa. Albrecht sei stets über Zypern und Griechenland gereist. In Paris und Zürich habe er sich "Stützpunkte" aufgebaut. Und die Quelle warnt: "Albrecht wird rücksichtslos jede sich bietende Gelegenheit zur Flucht aus der U-Haft ausnützen. Alle Einlassungen u. Versprechungen Albrechts sind unter diesem Grundsatz zu bewerten."
Selbstmord-Gedanken
Neben Fluchtplänen trage sich Albrecht auch mit Selbstmordgedanken. "Erhängen lehnt Albrecht ab, da dies 'nicht die deutsche Art zu sterben' sei." Deshalb habe er bereits versucht, sich bei Mitgefangenen Schlafmittel zu besorgen. Allerdings habe er dieses Vorhaben bereits wieder aufgegeben, da in der Haftanstalt nur flüssiges Schlafmittel verabreicht werde. Und: "Die Fatah hat etwa eine Woche nach Albrechts Verhaftung alle Versuche eingestellt, über Kontaktleute mit ihm in Verbindung zu treten." Der inoffizielle PLO-Vertreter in Bonn lehne eine Unterstützung Albrechts ab. Er wolle "unter allen Umständen" vermeiden, dass die PLO mit deutschen Rechtsextremisten zusammen genannt werde. Weiter berichtet die Quelle, dass Albrecht den Verdacht hege, dass Pohl ihn verraten haben könnte. "Sollte sich dies bestätigen, so wird Albrecht über kurz oder lang aussagen." Auch zu den Umständen von Albrechts Verhaftung kann die Quelle Auskunft geben: Albrecht habe versucht, zum Bekanntenkreis von Michael Gartenschläger Kontakt aufzunehmen. Bei ihnen wollte er Kämpfer für die Fatah im Libanon werben. Als Gegenleistung wollte er der Gruppe Waffen und Sprengstoff liefern, "um ihr Racheakte an der Grenze BRD/DDR zu ermöglichen." Hauptzweck von Albrechts Europareise sei es aber gewesen, Winterbekleidung für die Fatah einzukaufen und sich um leichte Infanteriewaffen und Granatwerfer aus Schweden zu bemühen. Dafür hätten ihm eine Million Dollar zur Verfügung gestanden. Die Auswerter in Pullach schätzen die Qualität all dieser Informationen als "wahrscheinlich", inhaltlich "neu", "von Interesse" und "verwertbar" ein. Über den Inhalt der Meldung, so der Vermerk, werden das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Verfassungsschutz mündlich informiert.
In einer weiteren BND-Meldung, die ebenfalls vom gleichen Tag datiert, geht es um die "Verbindungen des Terroristen Udo Helmar Albrecht." Als Quelle wird abermals 060686 genannt. Nach dessen Angaben lebt in Tunis Albrechts Freundin. Die zirka 19-jährige Deutsche sei 1975 von Dortmund nach Tunesien übergesiedelt. Die Frau verwende die Namen Agnes und Monika. Als weitere Verbindungsperson Albrechts wird Salem Abdel Rahim genannt. 1970 sei Rahim Albrechts Adjutant und dessen Verbindungsmann zur Fatah gewesen.
Ende Dezember 1976 schreibt Schöttler an das Bundeskriminalamt. Er macht den Ermittlern ein Angebot: Albrecht sei bereit - "insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Menschlichkeit" - seine Waffenverstecke zu zeigen. Es gebe aber Bedingungen: Albrecht wolle Strafnachlass. Die Bundesanwaltschaft lehnt aus "rechtlichen Gründen" ab. Anfang Januar 1977 beginnt Albrecht doch zu plaudern. Doch die Vernehmungen müssen abgebrochen werden. Er fühle sich "weder psychisch nach physisch in der Lage", weiter auszusagen.
Welche Rolle spielte Albrecht beim Anschlag auf US-Botschafter Meloy?
Der Bundesnachrichtendienst wird im Juni 1977 erneut über Udo Albrecht informiert. Es ist abermals die Quelle mit der Nummer 060686, die den Decknamen "Schönwald" trägt. "Schönwald" hat seine Informationen wiederum von einer anderen Person. Es ist ein "im Auftrag der PLO tätiger Terrorist", der vertraulich mit einem "langjährig bekannten deutschen PLO-Sympathisanten." plaudert. Ihre Zuverlässigkeit wird mit "F" - die Zuverlässigkeit kann nicht beurteilt werden - bewertet. Möglicherweise hat Schöttler, wenn er "Schönwald" sein sollte, über ein Gespräch mit Albrecht, der in U-Haft sitzt, berichtet oder beide wurden abgehört. Thema der Meldung ist die "Beteiligung deutscher Terroristen am Mordanschlag auf US-Botschafter Meloy". Die Quelle berichtet, dass an dem Anschlag im Libanon Albrecht und Kurt Wolany beteiligt gewesen seien. Wolany habe nach dem Anschlag den Wagen des Botschafters in ein PLO-Versteck gefahren. "Albrechts Rolle bei dem Anschlag konnte nicht geklärt werden, fest steht nur seine aktive Teilnahme." Weiter heißt es in dem Bericht, dass Albrecht "nach wie vor" das Vertrauen von Salah Khalaf, Kampfname Abu Iyad, besitze. Der Palästinenser gilt als Chefplaner der PLO für Terroranschläge und ist Stellvertreter von PLO-Chef Jassir Arafat. Laut BND-Quelle hat Salah Khalaf erklärt, "dass die PLO keine gewaltsame Befreiung Albrechts plane, solche Aktionen könnten nur für arabische Kämpfer durchgeführt werden, weil die PLO gegenwärtig internationale Verwicklungen vermeiden will." Die Auswerter in Pullach schätzen den Wahrheitsgehalt der Informationen als "wahrscheinlich", den Inhalt als "neu", das Thema als "wichtig" und den Wert als "verwertbar" ein.
Ähnliche Aussagen macht Schöttler in einem Schreiben an den Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof im Juli 1977. Es gebe keine Hinweise für eine geplante Befreiungsaktion von Palästinensern. Er sei selbst in Beirut gewesen und habe länger mit der PLO- und Al-Fatah-Führung gesprochen. Außerdem hätte Albrecht gar kein Interesse an einer Befreiung.
Nach eigenen Angaben bricht die PLO 1977 den Kontakt zu Schöttler ab. Ein Grund ist auch der Verdacht Albrechts, "dass Schöttler offensichtlich mit einem Geheimdienst der BRD zu tun habe." Und: "Unabhängig davon erhielt die PLO von den jugoslawischen Sicherheitsbehörden eine Information, die beinhaltete, dass sich die jugoslawischen Sicherheitsorgane sicher sind, dass Schöttler für einen Geheimdienst arbeitet."
Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 31. März 2019 | 06:00 Uhr
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- 27. Weiter im Visier der Geheimdienste
- 28. Spurensuche
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