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GesundheitMedikamentenmangel: Immer noch zu wenig Antibiotika und Schmerzmittel in Thüringen

02. Juni 2023, 11:05 Uhr

Lieferengpässe bei Medikamenten machen Thüringer Krankenhäusern und Apotheken nach wie vor zu schaffen. Sie haben derzeit zum Beispiel Probleme, spezielle Antibiotika für Kinder zu bekommen.

von MDR THÜRINGEN

Medikamentenengpässe stellen Thüringer Apotheken und Krankenhäuser weiter vor große Probleme. Der Vorstandsvorsitzende des Thüringer Apothekerverbands, Stefan Fink, sagte MDR THÜRINGEN, zwar seien unter anderem Fiebersäfte wieder lieferbar, andere wichtige Medikamente jedoch häufig nicht. Diese wechselten ständig.

Fink zufolge haben Apotheken Probleme, spezielle Antibiotika für Kinder zu beschaffen. Bei Blutdruck- und Schmerzmitteln müssten Apotheker auf andere Dosierungen oder vergleichbare Präparate zurückgreifen. Das bedeute für Apotheken großen Aufwand.

Apotheker dürfen Medikamente ersetzen - aber nicht alle

Eine bis Mitte Juli gültige Ausnahmeregel des Bundes erlaubt Apotheken, auch ohne Rücksprache mit Ärzten Medikamente durch vergleichbare zu ersetzen. Allerdings haben die Pharmazeuten nicht bei allem Medikamenten freie Hand.

Fink verwies darauf, dass bei Diabetiker-Medikamenten immer der Arzt entscheidet und auch diese Präparate nicht immer verfügbar sind. Das erhöhe die Wartezeiten für Patienten und den bürokratischen Aufwand für Apotheken und Praxen zusätzlich. Dennoch sollte die Regelung dauerhaft verlängert werden. Dies forderten auch die Kassenärzte.

Außerdem dürfen Apotheken in Thüringen seit Mai auch nicht in Deutschland zugelassene antibiotikahaltige Säfte für Kinder ausgeben.

Apothekerverband fürchtet erneuten Fiebersaft-Engpass bei Erkältungswelle

Bei einer Erkältungswelle im Herbst fürchtet Fink einen erneuten Engpass bei fiebersenkenden Medikamenten für Kinder. Momentan seien diese unter anderem verfügbar, weil diese Erkrankungen nicht gehäuft auftreten. Laut Fink sind aktuell sogar weniger Vorräte eingelagert als noch vor dem vergangenen Herbst. Damals waren Fiebersäfte wochenlang nicht ausreichend verfügbar. Apotheken könnten fehlende Medikamente selbst nur selten herstellen.

Engpässe bei rund 20 Medikamenten in Krankenhäusern

Auch der Thüringer Verband der Krankenhausapotheker spricht von "großen Problemen" bei der Medikamentenversorgung. Landeschefin Manuela Partsch sagte, Kliniken hätten Engpässe bei bis zu 20 Medikamenten pro Woche. Das betreffe sehr verschiedene Produkte. Auch für Pflege und Behandlungen notwendige Medizinprodukte seien nicht ausreichend zu bekommen. 

Partsch, die auch Chefapothekerin des SRH Wald-Klinikum Gera ist, sagte, vor allem verschiedene Antibiotika seien ein Problem. Auch Kontrastmittel, Herz-Kreislauf-Medikamente und einige Schmerzmittel fehlten Krankenhäusern in ausreichender Menge. Für einzelne knappe Medikamente gebe es bereits Kontingent-Vorgaben für Kliniken. Partsch fordert unter anderem, dass wichtige Wirkstoffe nicht nur von einem Hersteller produziert werden dürfen, um Engpässe zu vermeiden.

Großes Fehlerpotential durch angepasste Behandlungen

Laut Partsch bedeutet der Medikamentenmangel auch in Kliniken einen hohen personellen und finanziellen Aufwand. Behandlungen und Alternativen müssten mit Ärzten abgestimmt, zahlreiche Mitarbeiter regelmäßig und zuverlässig informiert werden. Dabei bestehe ein hohes Risiko für Fehler.

Komplexe Gründe für den Medikamentenmangel

Die Lieferprobleme bei den Medikamenten haben mehrere Gründe. Und diese sind komplex: Zum einen werden nur noch die wenigsten Arzneimittel oder auch die dazu benötigten Wirkstoffe in Europa hergestellt. "Für viele Wirkstoffe gibt es heute nur noch einige wenige große Hersteller", hieß es Ende vergangenen Jahres auf Anfrage vom Pharma-Großhändler Noweda, der auch in Neudietendorf im Kreis Gotha einen Standort betreibt. Nach Angaben des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) stehen inzwischen zwei Drittel der Produktionsstätten in China oder Indien.

Sich weltweit auswirkende Probleme gibt es dann schon, wenn es in den oft sehr spezialisierten Unternehmen zu Qualitätsproblemen oder ganzen Ausfällen bei der Herstellung kommt, ob durch Verunreinigungen, Brände oder sogar durch Wirbelstürme oder Erdbeben. Zudem sind durch die Corona-Pandemie viele Lieferketten "seit langer Zeit unterbrochen", bestätigt auch Hannelore Strobel, Sprecherin der AOK Plus und verweist besonders auf die anhaltenden Lockdowns in China.

Auch Rabattverträge der Krankenkassen gelten als Grund

Ärzte, Apotheken und auch Pharma-Handel sehen einen weiteren Grund in den Rabattverträgen der Krankenkassen, die für viele Generika ausgehandelt werden - also für Medikamente, deren Patentschutz ausgelaufen ist und die so billiger produziert werden können. Krankenkassen schließen dabei jedes Jahr einen Vertrag für einen Wirkstoff mit dem jeweils günstigsten Anbieter ab.

Aber Unternehmen, die keinen Zuschlag erhalten, "steigen nicht selten ganz aus der Produktion aus, da alles andere unwirtschaftlich wäre", hieß es vor einigen Monaten beim Pharma-Händler Noweda. Damit blieben nur noch ein Hersteller oder zumindest sehr wenige für den Wirkstoff übrig. Wenn dazu etwa ein Problem in der Produktion auftaucht, kann das nicht mehr kompensiert werden. Oder die Unternehmen konzentrierten sich auf die Länder, bei denen sie mit ihren Arzneien höhere Preise erzielen können, sagte damals auch der Schleizer Apotheker Dr. Jörg Wittig. "Und dann werden manchmal Medikamente statt in Deutschland in Albanien verkauft."

Die Krankenkassen verteidigen dagegen die Rabattverträge. Während Apotheker wie Fink oder Wittig erklären, dass sich bei den Medikamenten "kaputt gespart" worden sei, sprach die größte deutsche Krankenkasse AOK Ende des Jahres noch von einem "äußerst wirksamen Instrument zur Steuerung und Begrenzung der Ausgaben für Arzneimittel". Damit seien im Jahr 2021 mehr als fünf Milliarden Euro gespart worden.

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MDR (ls/rom/dst)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 02. Juni 2023 | 09:00 Uhr

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