Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben
Die Gründungsversammlung des Landesverbandes Thüringen Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) fand in Eisenach, im Hotel "Thüringer Hof" statt. Bildrechte: picture alliance/dpa | Michael Reichel

PolitikEuphorie bei BSW-Gründung in Thüringen: Wofür steht die Partei?

18. März 2024, 05:00 Uhr

Seit Freitag ergänzt das Bündnis Sahra Wagenknecht - kurz BSW - die Thüringer Parteienlandschaft. Als "Alternative zur Alternative" will sie nicht nur der AfD, sondern auch den anderen Parteien Stimmen abjagen. Klar ist aber auch: Nur der Name Sahra Wagenknecht wird dafür nicht reichen. Wofür steht die Partei also und was erhoffen sich die Thüringer von ihr?

von Andreas Kehrer, MDR THÜRINGEN

Am Donnerstagabend, dem Abend vor der Gründung des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in Thüringen, versammelten sich rund 500 Menschen im Parksaal der Erfurter Multifunktionsarena. Die in ihren Anfängen befindliche Partei hatte zu einem "Unterstützer-Treffen" eingeladen.

Interessierte und Anhänger sollten sich einen Eindruck von den handelnden Personen machen und Fragen stellen können - auch an die Bundesvorsitzende Sahra Wagenknecht.

Neugier auf neue Politik

Unter den Gästen war deshalb auch Karin Janzen aus Erfurt: "Ich habe schon vor Jahren gesagt, wenn Sahra Wagenknecht eine Partei gründen würde, dann wäre ich dabei. Jetzt löse ich dieses Versprechen ein!" Wem Janzen dieses Versprechen gemacht hatte, verriet sie nicht, wohl aber, dass sie bereits einen Mitgliedsantrag gestellt habe und sich im Bündnis Sahra Wagenknecht erstmals politisch engagieren möchte. Für sie stehe das "Menschliche und Humane" im Mittelpunkt.

Auch Philipp Kippel war gekommen. "Ich bin Lehrer an einem Gymnasium in Thüringen. Dementsprechend interessiert mich der Bereich Bildung. Hier muss etwas getan werden." Die Linke habe hier seiner Meinung nach keinen Fortschritt gebracht, eher im Gegenteil: Die Arbeitsbelastung nähme zu. Das BSW stelle für Kippel eine vielversprechende neue Partei dar: "Ich habe noch keine politische Heimat gefunden. Das BSW ist der erste Versuch für mich. Aber ich will da noch nicht zu viel hineininterpretieren."

Ich habe noch keine politische Heimat gefunden. Das BSW ist der erste Versuch für mich.

Philipp Kippel

Ein junger Mann, der seinen Namen für sich behalten wollte, war wegen Katja Wolf da. "Die potenzielle Thüringer Spitzenkandidatin finde ich interessanter als Frau Wagenknecht, die doch oft mal rumpoltert." Er sei neugierig, wofür die Partei inhaltlich stehe. "Ich hoffe, dass es in Richtung einer sozialen, gerechten Politik für eine möglichst große Gruppe von Menschen geht."

Krieg und Frieden

Wirklich Neues zu den Inhalten der Partei lieferte die Veranstaltung nicht. Stattdessen gab es stehende Ovationen für Sahra Wagenknecht, die das tat, was sie seit der Parteigründung im Januar fast unablässig tut: die Aufbruchsstimmung rund um ihre Partei schüren. Sie bedankte sich für die Unterstützung und umriss in einer kurzen Ansprache den neuen Politikansatz des BSW: Politik müsse für soziale Gerechtigkeit sorgen und zur Vernunft zurückkehren, um Frieden zu schaffen.

Beim Unterstützer-Treffen in Erfurt wurden am BSW Interessierte empfangen. Bildrechte: MDR/Andreas Kehrer

Für Wagenknecht hängt das miteinander zusammen. Profiteure des Krieges in der Ukraine seien Konzerne wie Rheinmetall, die satte Gewinne machten, während der Durchschnittsverdiener nicht wisse, wie er mit den enormen Energiekosten zurechtkomme. Die Sanktionen gegen Russland seien unvernünftig.

In der Bundespolitik gehe es zu viel darum, Waffen zu liefern, aber nicht um Friedensoptionen. Auf die Frage eines Gastes, wie der russische Präsident zum Frieden zu bewegen sei, erklärte Wagenknecht, dass Putin mehrfach signalisiert hätte, für Verhandlungen bereit zu sein. Vielmehr stehe Selenskyj dem Frieden im Wege.

Sahra Wagenknecht kam mit dem, was sie sagte, in Erfurt gut an. Bildrechte: IMAGO / Bildgehege

Mit Emotionen zum (Umfrage-)Erfolg

Eine Sicht, die dem Applaus zufolge von vielen im Saal geteilt wurde. In der letzten Reihe klatschte eine junge Frau mit roten Haaren. Immer wieder nickte sie eifrig und manchmal entfuhr ihr ein "genau" oder "richtig".

Es muss sich was ändern, denn die, die ganz oben stehen, hauen sich die Taschen immer voller und die, die die eigentliche Arbeit machen, sind die Gelackmeierten.

Julia Laubinger

Nach der Veranstaltung stellte sie sich als Julia Laubinger aus Ilmenau vor. Sie sagte: "Es muss sich was ändern, denn die, die ganz oben stehen, hauen sich die Taschen immer voller und die, die die eigentliche Arbeit machen, sind die Gelackmeierten." Beim Thema Krieg stehe sie ebenfalls bei Wagenknecht. "Warum sollte Putin nicht zu einem Frieden bereit sein? Auch seine Männer sterben und auch sein Geld geht flöten."

Die Auftritte von Wagenknecht haben scheinbar Erfolg. In Thüringen sehen Umfragen das BSW bei 17 Prozent und trauen der Partei ein Wählerpotenzial von 27 Prozent im Freistaat oder gar 40 Prozent im Osten zu. Unabhängig davon wie valide und repräsentativ diese Umfrageergebnisse sind, scheint die Partei bei manchen Thüringern einen Nerv zu treffen. Doch viele fragen sich noch immer: Wofür steht das BSW genau?

Beim Unterstützer-Treffen gab es für das BSW Standing Ovations. Bildrechte: MDR/Andreas Kehrer

BSW will die AfD in Thüringen verhindern

Am Tag darauf - es ist Freitag, der 15. März - gründet sich in Eisenach das BSW Thüringen. In der Pressekonferenz sitzen Katja Wolf und Steffen Schütz, die die Gründerversammlung zur neuen Doppelspitze des Landesverbandes gewählt hat - nicht einstimmig, aber mit großer Mehrheit. Katja Wolf erklärt, dass sich das BSW besonders in den Themen Bildung, Leben im ländlichen Raum, der medizinischen Versorgung aber auch bei der gesellschaftlichen Teilhabe stark machen wolle. Wolf sagt auch, dass das BSW die AfD in Thüringen verhindern will.

Auch Schütz ergreift zur AfD das Wort. "Wir hatten alle das Gefühl, wir können unser Land nicht Extremisten und sogenannten Alternativen überlassen." Auf eine Nachfrage zum künftigen Umgang mit der AfD sagt Schütz dann: "Wir werden nicht den Fehler machen, den andere machen, uns einerseits als Demokraten hinzustellen und andererseits zu sagen: nee, mit denen spielen wir nicht." Der Wortlaut wird ihm kurz darauf auf der Social Media Plattform X als Offenheit gegenüber der rechtsextremen Thüringer AfD ausgelegt.

Wir hatten alle das Gefühl, wir können unser Land nicht Extremisten und sogenannten Alternativen überlassen.

Steffen Schütz, Vorsitzender BSW-Thüringen

MDR THÜRINGEN sagt Schütz später, sich auf der Pressekonferenz missverständlich ausgedrückt zu haben. "Darüber ärgere ich mich. Auch ich bin in die Politik gegangen, um mit dem BSW die AfD zu verhindern."

Schütz ist ein Neuling in der Politik. Der gebürtige Eisenacher ist zwar Geschäftsführer einer Berliner Werbe- und Kommunikationsagentur, trägt aber sein Herz auf der Zunge. Mit seiner offenen Art zu reden, steht er quasi sinnbildlich für den bürgernahen Politikstil, den das BSW verspricht.

Online auf Themensuche

Das auch dieser Stil nicht frei von Problemstellen ist, offenbart ein Blick auf klartext-thueringen.de. Das BSW hat die Internetseite Ende Februar ins Leben gerufen, um Anregungen von Bürgern und Bürgerinnen zu sammeln, die sich bei der thematischen Ausrichtung der Partei beteiligen möchten. Per Mausklick lassen sich hier zehn vorgegebene Themenblöcke zu einer Rangliste zusammenstellen. An dieser Abstimmung haben laut Schütz schon über 3.000 Nutzer teilgenommen. Zudem gibt es die Möglichkeit, Vorschläge einzusenden.

Dank einer Münchener Werbeagentur sieht das online zwar recht hübsch aus, macht aber bei genauer Betrachtung keinen besonders seriösen Eindruck. Ob man aus Thüringen oder via VPN-Tunnel aus den USA oder Timbuktu abstimmt, machte bei einem Test von MDR THÜRINGEN keinen Unterschied. Zudem ließen sich die Ergebnisse schon durch eine Handvoll Abstimmungen in kurzer Zeit um mehrere Zehntel Prozentpunkte in die eine oder andere Richtung verändern. Kann so eine verhältnismäßig leicht manipulierbare Online-Umfrage Grundlage für ein Parteiprogramm sein?

Wir können die IP-Adressen nachverfolgen. Mehrfachsendungen oder die aus anderen Ländern rechnen wir nachträglich noch heraus.

Steffen Schütz, Vorsitzender BSW-Thüringen

Offenbar schon: Erst kürzlich erklärte Katja Wolf gegenüber der Deutschen Presse Agentur, dass ein Schwerpunkt der Arbeit ihrer Partei auf der Bildungspolitik liegen werde. Dabei bezog sie sich auf die Zwischenergebnisse eben jener Online-Umfrage. Auf eine mögliche Manipulation der Umfrage angesprochen, sagt Schütz: "Wir können die IP-Adressen nachverfolgen. Mehrfachsendungen oder die aus anderen Ländern rechnen wir nachträglich noch heraus." Außerdem würden vor allem die per Mail eingesendeten Vorschläge für die Ausarbeitung der Parteithemen herangezogen. Hierfür sei die Partei auch schon in den direkten Kontakt mit Nutzern getreten, um die Themen zu vertiefen.

Bildrechte: klartext-thueringen.de

Themen von links bis rechts

Die Website enthält auch ein FAQ zum BSW, das bereits einige politische Inhalte aufführt, die zumindest grob umreißen, wofür das BSW auf Bundesebene stehen möchte:

  • Eine angemessene Besteuerung von Spitzeneinkommen und eine Finanztransaktionssteuer
  • Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch Tariflöhne und die Stärkung von Betriebsräten
  • Die Auflösung des föderalen Bildungssystems und die Angleichung der Lehrpläne
  • Die Wiederaufnahme von Öl- und Gasgeschäften mit Russland
  • Klimaschutz ohne CO2-Bepreisung und durch die Förderung von Zukunftstechnologien
  • Eine Entprivatisierung beim Wohnen, bei der Wasser- und Energieversorgung, im Gesundheitswesen und im ÖPNV
  • Eine vor allem inhaltliche Neuausrichtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Hinzu kommt der Wunsch nach einem starken Sozialstaat, die Rückkehr zur Meinungsfreiheit und eine Richtungsänderung in der deutschen Außenpolitik - all diese Punkte bleiben aber so vage, dass es schwerfällt, daraus konkrete Vorhaben abzuleiten. Auf der Pressekonferenz am Freitag erklärte Katja Wolf, dass eben jenes Bundesprogramm auch prägend für die Landespartei sein werde.

Katja Wolf und Steffen Schütz wurden zur neuen Doppelspitze des Landesverbandes gewählt. Bildrechte: IMAGO/Funke Foto Services

Es fällt auf, dass all diese inhaltlichen Positionen nicht neu sind, sondern sich so schon in anderen Parteien wiederfinden. Neu ist lediglich ihre Kombination in einer Partei: So ist die Entprivatisierung ein gängiges Thema bei der Linkspartei, während Tariflöhne und die Besteuerung von Spitzeneinkommen Forderungen sowohl von Linken als auch den Sozialdemokraten sind. Beim Klimaschutz orientiert sich das BSW in Teilen bei den Liberalen und die Russlandpolitik sowie der Umgang mit dem ÖRR erinnert bisweilen an die AfD.

Das BSW und der Populismus

Einige der oben aufgeführten Positionen sind bisher bloßer Populismus, weil die Partei die enorm schwierige Umsetzbarkeit ausblendet. Wie will das BSW beispielsweise die Lehrpläne aller 16 Bundesländer vereinheitlichen? Seit der ersten Pisa Studie ist das immer wieder in Deutschland diskutiert und gefordert worden, scheiterte aber stets an den Ländern und ihrer grundgesetzlich geregelten Kulturhoheit. Auch eine Neuausrichtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks dürfte enorme Hürden haben.

Bei diesem Inhalt von Instagram werden möglicherweise personenbezogene Daten übertragen. Weitere Informationen und Einstellungen dazu finden Sie in der Datenschutzerklärung.

"Ich finde Populismus per se nichts Schlechtes. Es hilft den Menschen, zu verstehen was wir meinen", sagt Steffen Schütz dazu. "Wir sind auch nicht naiv. Klar ist die Vereinheitlichung aller Lehrpläne ein dickes Brett. Aber wenn wir gar nicht erst anfangen daran zu bohren, kommen wir nie zu etwas."

In der Nähe zur AfD bewegt sich die Medienkritik des BSW. Im FAQ heißt es, die "Leitmedien" würden mit einem "Konformitätsdruck" dafür sorgen, dass Menschen Angst hätten, ihre Meinung zu sagen. Zwar formuliert das die AfD hier in der Regel schärfer und spricht von "Staatsmedien" oder "Lügenpresse" und von "Meinungsdiktatur" - die Stoßrichtung ist aber in etwa die gleiche. Auch dem öffentlichen-rechtlichen Rundfunk wirft das BSW vor, politischen Aktivismus über journalistische Standards zu stellen.

Darauf angesprochen sagt Schütz: "Wenn ein Ministerpräsident Höcke die Medienstaatsverträge kündigen will, dann würde ich mich dagegenstellen. Ich persönlich halte den ÖRR für wichtig, ja sogar für unverzichtbar in unserer Demokratie." Zugleich räumte er ein, dass auch er sich Sorgen um die journalistischen Standards mache. Leider entstehe häufig der Eindruck, dass ein Medium vom anderen abschreiben würde.

Vernunft und Gerechtigkeit sind noch keine Sachpolitik

Ob die Ambivalenz, die auch in Schütz‘ letzter Aussage mitschwingt, beim BSW gewollt ist oder nicht: Das Bündnis Sahra Wagenknecht muss seinem Versprechen "Klartext für Thüringen" sprechen zu wollen, schnellstmöglich Taten folgen lassen. Der nächste wichtige Termin dafür ist der 4. Mai. Dann soll der erste Landesparteitag in Erfurt stattfinden und dabei auch ein Parteiprogramm beschlossen werden.

Bis dahin werden sich die beiden neu gewählten Landesvorsitzenden Kaja Wolf und Steffen Schütz daran messen lassen müssen, ob sie der Partei ein Profil und eine klare Richtung geben können. Denn die beiden Schlagworte "Vernunft und Gerechtigkeit", die die Partei derzeit als Antwort auf fast alle noch nicht entschiedenen Fragen heranzieht, werden bei einem derart inflationären Gebrauch, allzu schnell an Wert verlieren.

Mehr zum Bündnis Sahra Wagenknecht

MDR (ost)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN | THÜRINGEN JOURNAL | 15. März 2024 | 19:00 Uhr

Kommentare

Laden ...
Alles anzeigen
Alles anzeigen