Kronzeuge sagt ausEine Tonne Crystal geplant: Wie das einst wohl größte deutsche Drogenlabor in Erfurt organisiert war
Anfang 2022 hatte das Landeskriminalamt (LKA) in einem Erfurter Industriegelände ein Drogenlabor ausgehoben. Die Beamten stellten damals zehn Kilo Crystal Meth und rund 100 Kilo Marihuana sicher. Das LKA sprach damals vom bisher größten ausgehobenen Drogenlabor in Deutschland. Außerdem fanden die Polizisten die Grundstoffe, um eine weitere Tonne Crystal Meth herzustellen. Ein Kronzeuge sagte nun vor dem Landgericht Erfurt aus und gab überraschende Einblicke.
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Der Zeuge trägt eine dicke, schusssichere Weste, als er am Donnerstag den Verhandlungssaal des Erfurter Landgerichts in Begleitung von zwei Polizeibeamten betritt. Wer ihm zuhören will, muss sich durchsuchen lassen. Persönliche Sachen, auch Handys, müssen draußen eingeschlossen werden.
Ungewöhnlicher Einblick in die Drogenküche
Der Mann war der Techniker in der Erfurter Drogenküche, die im Februar 2022 von der Polizei hochgenommen worden war. Das LKA sprach damals vom größten bisher ausgehobenen Drogenlabor in Deutschland. Der 55-Jährige verantwortete seiner Aussage nach in dem alten Gebäude in der Erfurter Kalkreiße die Erneuerung der Elektrik.
Er war sowohl für den Übergabepunkt an den Energieversorger als auch für die Niederspannungshauptverteilung zuständig. Als er die Leitungen verlegte, wusste er laut seiner Aussage noch nicht, wofür er dies tat. Als es dann um einen Regelkreis ging, mit dem die Temperatur in dem Gebäude auf einem konstanten Niveau gehalten werden sollte, habe ihm der Bekannte, der ihn angeheuert hatte, auch nicht sagen wollen, wofür dies gebraucht wurde. Doch letztendlich führte er ihn dann doch in eine Küche. Es war eine hochprofessionelle Drogenküche.
Aus einer Vielzahl von Gründen habe er trotzdem beschlossen, den Bekannten weiter zu unterstützen, sagt der Mann in der Schutzweste vor Gericht und beschreibt dann, wer in der Küche wofür zuständig war. Er selbst habe sich um die Technik und um eine Videoüberwachung des gesamten Gebäudes gekümmert. Er spricht von Rotationsverdampfern, Primärkomponenten, von schlecht zu bekommenden Rohstoffen, von rechts- und linksdrehenden Amphetaminen, von D- und L-Qualität und von Chargen, die nicht so gut gelangen.
Kein Platz für Süchtige: An den Resten den Produktionsprozesses bedient
Er selbst sei damals ein hochdosierter Junkie gewesen, sagt der Mann und ergänzt: Eigentlich sei es ein absolutes "NoGo", dass so jemand wie er in einer solchen Anlage arbeite. Aber offensichtlich hätte man ihn gebraucht.
Anfangs durfte er sich an den Resten des Produktionsprozesses bedienen. Dann sei er auch noch Gütekontrolleur geworden. Er selbst habe die Qualität der Drogen am eigenen Körper ausprobiert, war also nicht mehr nur produktionsbegleitend, sondern auch als "Qualitätsmanager" tätig.
Zuvor habe dies jemand anders gemacht, aber der sei "inkompatibel mit Drogen" gewesen, sagte der Zeuge. Dieser konnte aus gesundheitlichen Gründen das Crystal nicht mehr testen. Doch ein Gas-Chromatograph, der auch die Qualität hätte testen können, sei den Betreibern zu teuer gewesen.
Zwei der drei Angeklagten seien Partner gewesen, den dritten nennt der Zeuge den Fahrer, erklärt der Zeuge weiter. Einer der Partner habe wohl den Handel organisiert, der andere sei fürs operative Küchengeschäft zuständig gewesen, rekonstruiert er vor Gericht.
Er selbst sei trotz seiner Drogensucht bis zum Schluss dabei gewesen. Ein Küchen-Helfer dagegen sei rausgeflogen, berichtet er weiter. Der Helfer habe drei Chargen versaut, sei mit einem hochmotorisierten Leihauto vor der Polizei geflohen und habe dann noch sein eigenes Auto, das die Polizei stilllegen wollte, ausgerechnet auf dem Laborgrundstück abgestellt.
Drogen-Labor wird von Polizei "zu früh" entdeckt
Eine Tonne Crystal innerhalb eines Jahres sollte in Erfurt produziert werden, dann sollte der Küchenbetrieb geschlossen, die Technik weiterverkauft werden. Allerdings hätte man schon weiter sein wollen mit der Produktion, es lief nicht optimal, sagt der 55-Jährige weiter aus.
Am 21.Februar 2022 war dann allerdings vorfristig "Küchenschluss". Über geknackte Kryptohandys waren die Ermittler dem Labor auf die Schliche gekommen. Mehrere Verdächtige wurden festgenommen, darunter auch der Kronzeuge.
Entscheidung für Zeugenschutzprogramm
Er habe sich dann aus verschiedenen Gründen für den für ihn nicht leichten Weg des Zeugenschutzprogramms entschieden, sagt der Mann auf Nachfrage der Verteidiger der Angeklagtem.
Der erste Grund: Lebenszeit. Bei seinen Vorstrafen wäre es diesmal zweistellig geworden. Was für ihn nun rauskommt, weiß er allerdings nicht. Sein Verfahren läuft noch. Der zweite Grund: raus aus der Sucht. Wenn man sich im Milieu nie wieder sehen lassen kann, erhöhe das die Motivation des Cleanwerdens enorm, so der Zeuge. Der dritte Grund: Er als Süchtiger finde, dass Menschen bestraft werden müssen, die Drogen im großen Stil vertreiben. Wie man drauf sei, wenn man jeden Tag ein Gramm Crystal brauche, könnten sich Menschen ohne Suchtproblem nicht vorstellen.
Von einem Konto der Angeklagten, das mit drei Millionen Euro in der Kryptowährung Bitcoin gefüllt gewesen sein soll, wisse er dagegen nichts, sagt der Zeuge dann noch auf Nachfrage.
Anwälte der Angeklagten kritisieren Aussage
Nachdem der Mann wieder gegangen ist, kritisieren die Anwälte der Angeklagten dessen Aussagen. Der Zeuge habe es sichtlich genossen, vor Gericht auszusagen, sagen die Anwälte. Und die Aussage sei nur dazu da gewesen, ihre Mandanten in einem schlechten Licht dastehen zu lassen.
Sie kritisieren schließlich, dass es in dem aktuellen Gerichtsprozess gar nicht um die Drogenküche gehe, sondern allein um Drogengeschäfte aus der Zeit davor. Die Vorwürfe um das Drogenlabor sowie diverse andere Anklagepunkte finden tatsächlich in einem anderen Prozess des Landgerichts statt.
Immer wieder haben die Verteidiger eine Verbindung der beiden Verfahren beantragt: Es sind auch dieselben Angeklagten, dieselben Anwälte, dieselben geknackten Kryptohandys, es geht um identische Vorwürfe. Am Donnerstag lehnt die 8. Strafkammer des Landgerichts die Verbindung jedoch ab.
Würde man das deutlich umfangreichere Verfahren der anderen Kammer jetzt übernehmen, führe das zu einer Verfahrensverzögerung, argumentierte das Gericht. Und damit zu einem deutlich längeren Verfahren für die Angeklagten, die seit eineinhalb Jahren in U-Haft sitzen. Das wolle man vermeiden. Nächste Woche geht die Verhandlung weiter.
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MDR (gh)
Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 27. Oktober 2023 | 07:30 Uhr