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Roman Luckscheiter ist Generalsekretär der Deutschen UNESCO-Kommission und äußert sich im Gespräch mit MDR KULTUR über die Chancen auf den Welterbe-Titel für Erfurt. Bildrechte: picture alliance/dpa | Martin Schutt

Tag der EntscheidungErfurt: So stehen die Chancen auf den 5. Welterbe-Titel für Thüringen

10. September 2023, 11:32 Uhr

Wird Erfurt bald in einem Atemzug mit dem Great Barrier Reef in Australien, der Inka-Stadt Machu Picchu oder den ägyptischen Pyramiden genannt? Knapp 15 Jahre hat Thüringens Landeshauptstadt auf den Unesco-Titel für sein jüdisch-mittelalterliches Erbe hingearbeitet. Der Antrag beinhaltet die Alte Synagoge, wertvolle Handschriften und den Erfurter Schatz, der bereits in London, Paris und New York ausgestellt war. Die entscheidende Sitzung des Welterbekomitees in Riad hat nun begonnen.

  • Seit dem 10. September entscheidet die Unesco-Kommission auch über Erfurts Antrag auf den Welterbe-Titel.
  • Deutschlands UNESCO-Generalsekretär sieht das jüdische Erbe bisher unterrepräsentiert und auch deshalb Chancen.
  • Mit der Hoffnung auf den 5. Titel für Thüringen verbindet sich die Sorge um gefährdetes Welterbe in der Ukraine.

Erfurt hofft auf den Welterbe-Titel. Der Generalsekretär der Deutschen Unesco-Kommission, Roman Luckscheiter, sieht dafür kurz vor der Entscheidung am Sonntag oder spätestens Montag gute Chancen. Die Zeugnisse der jüdischen Kultur mitten in der Altstadt seien einmalig, betonte er im Gespräch mit MDR KULTUR. Sie machten die Blütezeit im Mittelalter als auch die Zäsur durch Verfolgung und Vertreibung auf besondere Weise deutlich. Ihr Eingebundensein ins intakte Stadtbild sei das Alleinstellungsmerkmal der Erfurter Bewerbung.

Unesco-Kommission entscheidet über Welterbe-Titel für Erfurts jüdisches Erbe

Im Zentrum stehen die Alte Synagoge als eines der ältesten jüdischen Gotteshäuser in Europa, die Mikwe als seltenes Beispiel für ein jüdisches Ritualbad sowie das Steinerne Haus als Beleg für das Alltagsleben einer jüdischen Familie im 13. Jahrhundert.

Die Alte Synagoge geht in ihren Ursprüngen zurück bis ins 11. Jahrhundert und ist damit eines der ältesten jüdischen Gotteshäuser in Europa. Bildrechte: Stadtverwaltung Erfurt; V. Gürtler

Fast 15 Jahre wurde in Thüringens Landeshauptstadt an der Bewerbung für den Welterbe-Titel gearbeitet. Über die Vergabe der begehrten Auszeichnung entscheidet das zuständige Komitee der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation (Unesco) zwischen dem 10. und 25. September in Saudi-Arabiens Hauptstadt Riad. Um den Welterbe-Titel konkurrieren insgesamt 50 Nominierte, darunter Wikingerburgen in Dänemark oder der Bale-Mountains-Nationalpark in Äthiopien.

Entscheidung über Welterbe-Status mitverfolgenSonntagnachmittag von ca 14 bis 17 Uhr wird die Sitzung des zuständigen Unesco-Komitees in Saudi-Arabiens Hauptstadt Riad im Festsaal des Erfurter Rathauses live auf zwei Monitoren übertragen.

Dazu haben sich mehr als 100 Gäste versammelt - darunter auch der Oberbürgermeister von Erfurt, Andreas Bausewein (SPD), und der Vorsitzende der jüdischen Landesgemeinde, Reinhard Schramm.

Im Internet kann bei Youtube die Sitzung live auf dem Unesco-Kanal angeschaut werden.

Luckscheiter: Jüdisches Erbe bisher unterrepräsentiert

Erst vor zwei Jahren hatte die Unesco erstmals jüdisches Kulturgut in Deutschland ausgezeichnet. Die sogenannten SchUM-Stätten Mainz, Worms und Speyer erhielten damals als eine Wiege des europäischen Judentums den Welterbe-Titel. Luckscheiter sieht darin kein Ausschlusskriterium für die Erfurter Bewerbung. Dass sie unter den 30 Empfehlungen des Weltdenkmalrats an die Unesco gewesen sei, deutet er als positives Zeichen. Hinzu komme, dass jüdisches Erbe auf der Welterbe-Liste insgesamt "sehr wenig repräsentiert" sei, führte Luckscheiter im Gespräch mit MDR KULTUR weiter aus. Angesichts der "schönen Indizien", die für Erfurt sprächen, blicke er gespannt auf die Wahl, so Luckscheitner. Aus seiner Sicht haben sich die 15 Jahre Arbeit dafür schon jetzt gelohnt, motivierte die Bewerbung doch zu einer "besonderen Intensität der Befassung, in die ja auch viele eingebunden waren".

Thüringen kann mit den Stätten der Klassik und dem Bauhaus in Weimar, der Wartburg in Eisenach und dem Nationalpark Hainich als Weltnaturerbe bereits auf fünf Welterbe-Titel verweisen. Nun erhofft sich Erfurt davon mehr Aufmerksamkeit und Mittel für seine einzigartigen Monumente und Dokumente jüdisch-mittelalterlichen Lebens. Der Titel verspricht laut Oberbürgermeister Andreas Bausewein einen "Aufstieg in die erste Liga der touristischen Destinationen".

Neben den Monumenten gehören auch einzige Dokumente wie die älteste bekannte hebräische Bibel zu den Schätzen. Bildrechte: picture alliance/dpa | Jens Kalaene

Tausende kommen bereits jetzt, um das Museum in der Alten Synagoge, deren Ursprünge bis ins 11. Jahrhundert reichen, zu besuchen. Zu sehen sind dort Zeugnisse des jüdischen Alltags- und Geisteslebens im mittelalterlichen Erfurt, die ebenfalls Teil der Bewerbung sind. Dazu gehören Handschriften wie die größte bekannte hebräische Bibel, aber auch Münzen sowie Gold- und Silberschmiedearbeiten aus dem 13. und 14. Jahrhundert, darunter der inzwischen berühmte Hochzeitsring.

Dieser Hochzeitsring ist Teil des Erfurter Schatzes und des jüdisch-mittelalterlichen Erbes, mit dem sich die Stadt um den UNESCO-Titel bewirbt. Bildrechte: Thüringisches Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie

Stichwort: Erfurter Schatz und Hochzeitsring

Der jüdische Hochzeitsring ist der bedeutendste Teil des Jüdischen Schatzes von Erfurt, der ungefähr 600 Stücke umfasst. Er stammt aus dem frühen 14. Jahrhundert. Der Ring besteht komplett aus Gold, das meisterlich verarbeitet wurde. Zwei ineinander gelegte Hände auf der Unterseite symbolisieren die Treue. Der sechseckige Tempel ist ganz im gotischen Stil gehalten und erinnert an den Hohetempel von Jerusalem. Eine hebräische Inschrift auf der Oberseite wünscht dem Brautpaar Glück, ganz nach der jüdischen Tradition. Weltweit sind nur zwei Hochzeitsringe dieser Art bekannt.


Vermutet wird, dass der so genannte Erfurter Schatz während des Pogroms 1349 vergraben wurde. Danach war das jüdische Leben in Erfurt für lange Zeit ausgelöscht. Die Alten Synagoge wurde dann Lagerhaus, später als Gaststätte und Tanzsaal genutzt. Als jüdisches Gotteshaus kaum noch kenntlich, entging es so höchstwahrscheinlich der Zerstörung durch die Nazis - anders als beispielsweise die Große Synagoge in der Progromnacht im November 1938.

Unweit von Alter Synagoge, Mikwe und Steinernem Haus könnte nun ein Dokumentationszentrum zum jüdisch-mittelalterlichen Erbe entstehen, unabhängig davon, ob Erfurt den Welterbe-Titel erhält oder nicht. Die jüdische Gemeinde hofft auf einen Raum, in dem es um die Geschichte, aber auch um heutiges jüdisches Leben geht.

2007 entdecken Archäologen die mittelalterliche Mikwe, sie stammt aus dem 13. Jahrhundert und wurde für die rituelle Reinigung im Tauchbad genutzt. Bildrechte: picture alliance/dpa | Jens Kalaene

Mit gemischten Gefühlen nach Riad: Spannung und Sorge um gefährdetes Welterbe

Der Generalsekretär der Deutschen Unesco-Kommission beobachtet nun gespannt die 45. Tagung des Unesco-Welterbekomitees in Riad. Bei MDR KULTUR sagte Luckscheitner, er habe "gemischte Gefühlen". Da sei einerseits die Spannung, "wie es mit Erfurt ausgeht". Andererseits gehe es auch um viele gefährdete Welterbestätten - allen voran die Sophienkathedrale in Kiew, die Altstadt von Lwiw und andere identitätsstiftende Kulturgüter in der Ukraine, die durch den Angriffskrieg Russlands von der Zerstörung bedroht seien. Um auf den Verstoß gegen die Unesco-Konvention aufmerksam zu machen, sei im vergangenen Jahr bereits Odessa auf die Rote Liste gesetzt worden. Nach dem internationalen Abkommen sind Kulturgüter bei bewaffneten Konflikten zu schützen bzw. zu verschonen. Es sei unerträglich, dass ein Land mit Sitz im Welterbe-Komitee sich nicht daran halte, die Konvention mit Füßen trete und gleichzeitig Stimmrechte behalte, betonte Luckscheitner.

Zu den bisher 1.157 Kultur- und Naturstätten in 167 Ländern zählen das durch den Klimawandel gefährdete Great Barrier Reef in Australien, die Inka-Stadt Machu Picchu in Peru oder die Pyramiden von Gizeh in Ägypten. In Deutschland gibt es bislang 51 Welterbe-Stätten. Über den Antrag, das jüdisch-mittelalterliche Erbe in Erfurt aufzunehmen, wird voraussichtlich am 17. oder 18. September entschieden.

Museum in der Alten Synagoge ErfurtWaagegasse 8
99084 Erfurt

Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag, von 10 bis 18 Uhr
Montag geschlossen

Eintrittspreise:
Erwachsene 8 Euro, ermäßigt 5 Euro

Hinweise zur Barrierefreiheit:
Die Ausstellungsflächen sind über einen Aufzug erreichbar. Ein Video-Guide ist auch für Hörgeschädigte über Hörschleife nutzbar.

Quelle: MDR KULTUR (Michaela Khamis)
Redaktionelle Bearbeitung: Katrin Schlenstedt, Ben Hänchen

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 09. September 2023 | 12:30 Uhr