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AusstellungWie Nietzsche von den Nazis instrumentalisiert wurde

26. März 2024, 15:20 Uhr

Der Philosoph Friedrich Nietzsche (1844–1900) wird heute oft als Wegbereiter des Nationalsozialismus gesehen. Eine Ausstellung im Nietzsche-Archiv Weimar zeigt, wie dieses verbreitete Bild entstand und wie die Nazis ihn instrumentalisiert haben. So entsteht ein neuer, differenzierter Blick auf den Philosophen.

Die Augen verdreht sie nicht, aber Vergnügen bereitet es der Kustodin und Verantwortlichen für das Nietzsche-Archiv Weimar, Sabine Walter, nicht gerade, dass sich die Vorurteile gegen Nietzsches Denken so hartnäckig halten: "Wir merken, das ist immer wieder Thema, wir werden immer wieder auch in Führungen darauf angesprochen." Auch in ihrer Familie habe sie schon zu hören bekommen: "'Was machst du denn da mit diesem Nietzsche, das ist doch ein Nazi! Und was der geschrieben hat, ist ja furchtbar.' Und das war uns wirklich mal ein Anliegen, das aufzudröseln", so Walter.

Nietzsche gefiel nicht allen Nazis

Genau das nimmt die Kabinettausstellung nun in den Blick. Federführend kuratiert von dem Dresdner Historiker Justus H. Ulbricht, beleuchten fünf Vitrinen die Frage: Was hat Nietzsche mit dem Nationalsozialismus zu tun?

Die Ausstellung "Nietzsche im Nationalsozialismus" gibt einen neuen Blick auf die Rezeptionsgeschichte des Philosophen nach 1945. Bildrechte: MDR/Linda Schildbach

Bei genauerem Hinsehen zeigen sich schnell Widersprüche, erklärt Kustodin Sabine Walter: "Es gab wirklich bekennende Nationalsozialisten, die gesagt haben: Mit dem Nietzsche, da könnt ihr aber nichts anfangen, das passt nicht. Aber auch Kämpfer wie der Übersetzer ins Englische, Oscar Levy, die sich dafür eingesetzt haben, Nietzsche aus dem Nationalsozialismus auszuklammern."

Nietzsches Werk sollte der NS-Ideologie angepasst werden

Doch auf der anderen Seite gab es einflussreiche Player, die ein Interesse daran hatten, das Werk und Denken Friedrich Nietzsches passend für den Nationalsozialismus zu machen. Allen voran Alfred Baeumler, ein wichtiger Ideologe des NS. Er drehte Nietzsches "Übermenschen" kurzerhand zu einem "Herrenmenschen". Auch zwei Cousins Nietzsches, die Oehlers, waren überzeugte Nationalsozialisten, wie Walter erklärt: "Und die schrieben dann auch richtig darüber, wie man Nietzsche im Sinne des Nationalsozialismus zu lesen hat."

So wurde aus dem europäischen Denker ein "Deutscher Prophet". Eine Schlüsselrolle spielte dabei Nietzsches zwei Jahre jüngere Schwester Elisabeth. Lange Zeit mit dem bekennenden Antisemiten Bernhard Förster verheiratet, war sie glühende Hitler-Anhängerin und gleichzeitig daran interessiert, die Bücher und Schriften ihres Bruders während seiner geistigen Abwesenheit und posthum zu verbreiten.

Das Nietzsche-Archiv in der Villa Silberblick Weimar Bildrechte: IMAGO/Heritage Images

Nietzsches Schwester war Hitler-Anhängerin

Elisabeth Förster-Nietzsche gründete das Nietzsche-Archiv Weimar und habe, so Walter, ihr Fähnlein in den Wind gehängt. In den 1920er- und 1930er-Jahren sei dann zuerst von den italienischen Faschisten Anerkennung gekommen, später natürlich auch von den Nationalsozialisten: "Und da kam dann das Geld auch her, da war sie dann erfolgreich", so Walter.

Hitler höchstpersönlich kam mehrere Male ins Nietzsche-Archiv und 1935 sogar zu Elisabeths Beerdigung. Es sei zwar nicht bekannt, dass er ein Nietzsche-Leser gewesen sei, doch die Anwesenheit des "Führers" habe Nietzsches Bedeutung untermauert, sagt Helmut Heit. Der Leiter des Nietzsche-Kollegs attestiert Nationalsozialisten sogar eine Halbherzigkeit, wenn es um die Aneignung des Philosophen geht. Auch die geplante Gedächtnis- oder Ruhmeshalle wurde nie fertig gebaut.

Nietzsche war Gegner des Antisemitismus

Nietzsches Denken und Schriften hätten mit dem Gedankengut der Nationalsozialisten nichts zu tun, findet Heit: "Weil er nicht nur ein expliziter, entschiedener Gegner des zeitgenössischen Antisemitismus war, sondern auch ein Gegner jeder Art von Vaterländerei, Deutschtümelei – überhaupt der Vorstellung, dass es wichtig sein könnte, sich als Teil eines Volkes oder irgendeiner definierten Gemeinschaft zu fühlen."

Eine Medaille aus der Zeit des Nationalsozialismus, ebenfalls zu sehen in der Ausstellung in Weimar Bildrechte: MDR/Linda Schildbach

Doch wie kommt es, dass sich dieses Bild auch heute noch hält? Helmut Heit sieht die Gründe dafür auch in der Wirkungsgeschichte nach 1945, die quasi konträr zu der vom Bauhaus sei: "Während das Bauhaus im Nachhinein als demokratische Anti-Nazi-Bewegung weiß gesehen wurde, wurde Nietzsche als Vordenker des Faschismus schwarz gesehen und aus dem Kanon ausgeschlossen." Das Nietzsche-Archiv sei geschlossen und die Erinnerungskultur zu Nietzsche beendet worden – "jedenfalls in der DDR, aber auch zu großen Teilen im Westen", so Heit weiter.

Die kleine Kabinett-Ausstellung zeichnet da wissenschaftlich kompakt ein anderes Bild und liefert Denkanstöße. Natürlich könne man auch im Netz etwas über Nietzsche lesen. Aber um wirklich gut, prägnant und auf dem Stand der Forschung informiert zu werden, "muss man eben schon ins Nietzsche-Archiv kommen", sagt Kustodin Sabine Walter von der Klassik Stiftung Weimar.

Informationen zur Ausstellung

Nietzsche im Nationalsozialismus
21. März bis 1. November 2024
Nietzsche-Archiv Weimar
Humboldtstraße 36 | 99425 Weimar

Öffnungszeiten:
Täglich außer dienstags, 10 bis 18 Uhr

Eintritt:
Erwachsene 5 Euro, ermäßigt 4 Euro, Schülerinnen und Schüler (16 bis 20 Jahre) 2 Euro

Quelle: MDR KULTUR, redaktionelle Bearbeitung: hki

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Dieses Thema im Programm:MDR KULTUR - Das Radio | 26. März 2024 | 06:10 Uhr