Engagement für Weltoffenheit und Vielfalt"Die Mehrheit sichtbar machen": Wie zwei Südthüringer Unternehmen dem Image "Höcke-Land" trotzen
Mit dem ersten AfD-Landrat Deutschlands in Sonneberg hat Südthüringen insbesondere in der überregionalen Wahrnehmung einen Stempel verpasst bekommen. Unternehmen in der Region versuchen, dem Image etwas entgegenzusetzen. Der Verfassungsschutz stuft die Thüringer AfD als erwiesen rechtsextrem ein.
Aktuelle Nachrichten des Mitteldeutschen Rundfunks finden Sie jederzeit bei mdr.de und in der MDR Aktuell-App.
- Die Unternehmen Viba und GB Neuhaus aus Südthüringen unterstützen die Initiative "Weltoffenes Thüringen".
- Industrie- und Handelskammer sieht wachsenden Rechtsradikalismus als Risiko.
- Unternehmer- und Wirtschaftsverbände befürchten Imageschaden für Thüringen.
Unternehmen wollen vor allem eins: möglichst ungestört ihrem Geschäft nachgehen. Ein Wunsch, der so simpel wie legitim ist. Sich in politische, die Wirtschaft betreffenden Debatten einzumischen, überlassen die Unternehmen zumeist Verbänden. Politische Neutralität als eine Art grundsätzliches Credo gilt heute aber nicht mehr für alle Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer.
Das hat auch die Initiative "Weltoffenes Thüringen" gezeigt - ein breites Bündnis, das sich in Sorge über die aktuellen Wahlprognosen für Demokratie und Vielfalt stark macht.
Neben Einrichtungen aus Kultur und Wissenschaft sowie der Kirche tauchen in der Liste der Unterstützer auch Unternehmen auf. Darin finden sich ganz große Player, wie Jenoptik aus Jena, das im vergangenen Jahr schon eine eigene Kampagne für eine bunte Gesellschaft mit dem Titel "Bleib offen" gestartet hat.
Auch wegen "lokaler Trends" sehe man sich in der Pflicht, Stellung zu beziehen und "gesellschaftspolitisch wichtige Impulse zu setzen", begründete der Technologiekonzern die Aktion. Aber auch aus Südthüringen gibt es Unternehmen, die die Deutungshoheit über die Region nicht anderen überlassen, sondern das Bild aktiver mitgestalten wollen.
Süßwarenhersteller Viba geht in die Offensive
Der Süßwarenhersteller Viba in Schmalkalden, ein traditionsreicher Betrieb mit hoher regionaler Identifikationswirkung, unterstützt das Bündnis "Weltoffenes Thüringen" ebenfalls. Das Unternehmen hat seine Haltung aber auch darüber hinaus in den vergangenen Monaten mehrmals bewusst in die Öffentlichkeit getragen.
Neben Zuspruch gab es dafür auch viel Gegenwind. Vor der Landratswahl in Sonneberg startete Viba eine Aktion, in der das Unternehmen dazu aufrief, wählen zu gehen. Demokratie und Mitbestimmung seien Privilegien, für die in anderen Ländern der Welt noch immer hart gekämpft werde. "Lasst uns dieses Privileg, dieses hohe Gut gemeinsam hüten", hieß es in dem Aufruf.
Engagement bringt Shitstorm, aber auch Zuspruch
Mit dem Impuls ging es Viba nach eigenen Angaben nicht um politische Einflussnahme, sondern darum, gemeinsam das Gute zu stärken, statt zu spalten. Auch wenn die Kampagne keine direkte Wahlempfehlung war, so kam es für einige AfD-Befürworter offenbar so rüber. Viba erfuhr einen Shitstorm in den Sozialen Medien inklusive Boykott-Aufrufen - danach aber auch viel Zuspruch.
Uns ist es wichtig zu zeigen, wofür wir stehen. Das hat unserer Ansicht nach etwas mit Verantwortung zu tun und auch mit gelebten Werten.
Corinna Wartenberg | Viba-Geschäftsführerin
"Positive Kommentare haben wir ausgedruckt und bei uns aufgehängt, um uns selbst zu ermutigen", erzählt Geschäftsführerin Corinna Wartenberg. Denn der Hass gehe nicht spurlos an einem vorbei. Obwohl der Vorfall unangenehm und belastend war, würde sie wieder so handeln: "Uns ist es wichtig zu zeigen, wofür wir stehen. Das hat unserer Ansicht nach etwas mit Verantwortung zu tun und auch mit gelebten Werten".
Geschäftsführer aus Sonneberg: "Stolz darauf sein, was hier geleistet wurde"
Ähnlich sieht das Michael Petry, Geschäftsführer des Unternehmens GB Neuhaus im Landkreis Sonneberg: "Ich finde man muss sich positionieren, sonst verliert man doch seine Werte." Die Firma stellt Beschichtungen her und beschäftigt in der Produktionsstätte in Neuhaus am Rennweg gut 100 Mitarbeiter.
Vor dem Hintergrund, dass der Verfassungsschutz die Thüringer AfD als erwiesen rechtsextrem einstuft, möchte Petry verhindern, dass der gesamten Region ein Stempel anhaftet. Auch er hat die Initiative "Weltoffenes Thüringen" unterzeichnet. Ihm gehe es vor allem darum, Positives der Region herauszustellen.
Der gebürtige Frankfurter, der schon seit vielen Jahren in Thüringen lebt und arbeitet, sagt: "Ich liebe Thüringen. Was hier innerhalb der vergangenen 30 Jahre gelaufen ist, ist genial." Was er meint, sind die vielen Ansiedlungen von Industrie durch mutige Menschen, die etwas gewagt haben. Er wünsche sich, dass weniger genörgelt wird und man einfach mal stolz ist: "Stolz darauf, was hier geleistet wurde".
Ich liebe Thüringen. Was hier innerhalb der vergangenen 30 Jahre gelaufen ist, ist genial.
Michael Petry | Geschäftsführer GB Neuhaus
Sein Unternehmen ist sehr abhängig von Energiepreisen. Seit die Preise in Folge des Ukrainekriegs gestiegen sind, bezieht die GB Neuhaus seinen Strom am Spotmarkt - ein Ort für den kurzfristigen Handel von Energie. Das sei mit einem größeren unternehmerischen Risiko verbunden, so Petry. Habe der GB Neuhaus aber das Geschäft gerettet: "Und gleichzeitig muss man auch sagen: den befürchteten Blackout gab es nie".
Geschäftsführer beschreiben Weltoffenheit als Standortvorteil
Sowohl GB Neuhaus Chef Petry als auch Viba-Geschäftsführerin Wartenberg nennen aber auch geschäftliche Argumente für ihr Engagement. Rund zehn bis 15 Prozent der insgesamt etwa 450 Viba-Mitarbeiter haben einen Migrationshintergrund. Das Unternehmen profitiere von einer offenen Gesellschaft, so die Geschäftsführerin.
Und Vibas zukünftiger Erfolg sei auch davon abhängig, wie attraktiv die Region für ausländische Fachkräfte ist. Berichte darüber, dass Menschen mit anderer Herkunft Thüringen wegen der Erfahrung von Alltagsrassismus wieder verlassen, gibt es schon heute. Viba stellt gerade einen "Integrationsmanager" ein, um Integration und Akteptanz noch zu verbessern.
Für Petry war für sein Engagement auch die Aussage des Thüringer AfD-Chefs Björn Höcke ausschlaggebend, Inklusion sei Unsinn, den er, wenn er regieren würde, beenden wolle. Bei GB Neuhaus arbeiten auch zwei Mitarbeiter aus einem Behindertenwerk: "Das sind zwei ganz klasse Typen, auf die ich nicht verzichten will."
Auf die Suggestion mancher rechtsextremer Politiker, das Land brauche eine Generalüberholung, antwortet Petry: "Es braucht kein neues System. Sind wir doch mal ehrlich: Ging es uns jemals besser?". Als Beispiel nennt er die, angetrieben durch eine stetige Mindestlohnerhöhung, positive Gehaltsentwicklung für alle Lohngruppen. Zu Beginn des Jahres hat Petry in seinem Unternehmen auch die Vier-Tage-Woche eingeführt.
Auch IHK sieht wachsenden Rechtsradikalismus als Risiko
Die Südthüringer Wirtschaft braucht ausländische Arbeitskräfte, um die Lücken, die demografiebedingt am Arbeitsmarkt entstehen, zu schließen, sagt auch die Industrie- und Handelskammer Südthüringen. In den wachsenden rechtsradikalen Kräften sieht die Kammer daher Risiken für die Region: "Von einzelnen Leistungsträgern aus dem Gastgewerbe wissen wir, dass die Reisebereitschaft von Großstädtern aufgrund des Images abnimmt."
Und es gebe auch Unternehmer aus anderen Branchen, die sich unter dem Gesichtspunkt der Fachkräfte-Akquise Sorgen aufgrund des Images der Region machten. Gleichzeitig beklagt die IHK, dass über die vielen positiven Beispiele für Integration durch die Wirtschaft nicht ausreichend berichtet werde.
Anteil ausländischer Fachkräfte in den vergangenen Jahren gestiegen
Schon heute arbeiten knapp 70.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Ausländer in Thüringen, wie der Verband der Wirtschaft Thüringens angibt. In Südthüringen gibt es rund 13.000 Beschäftigte mit ausländischen Wurzeln, was einem Anteil von etwa zehn Prozent entspricht.
Für die IHK zeigt das auch, dass Weltoffenheit in vielen Südthüringer Betrieben schon gelebt wird. Dort begegneten sich jeden Tag Menschen unterschiedlicher Herkunft, was Verbindungen schaffe und Ängste abbaue. Die Zahlen zeigen einen zunehmenden Trend. Für Unternehmen, die über alle Branchen hinweg händeringend nach Mitarbeitern suchen, eine gute Nachricht.
IHK Südthüringen möchte positive Beispiele sichtbarer machen
Die IHK selbst bemühe sich darum, an der Basis für die Attraktivität von Weltoffenheit zu werben. "Wir arbeiten dafür, dass die gelebte Willkommenskultur und das gemeinsame Arbeiten sichtbar werden". Das beste Beispiel dafür sei das Vietnam-Projekt, das bisher 250 junge Vietnamesen nach Südthüringen gebracht hat.
Die nächste Staffel vietnamesischer Azubis reist im April ein. Für die kommenden Monate sei vorgesehen, so die IHK, positive Beispiele von gelungener Integration ausländischer Mitarbeiter in die regionalen Unternehmen in Mitglieder-Medien vorzustellen.
Wirtschaftsverbände mit klarer Haltung
Auch Thüringer Unternehmer- und Wirtschaftsverbände beschreiben die Sorge, dass Wahlumfragen nach der Landtagswahl im September zur Realität und Thüringen überregional und international als "Nazi-Land" wahrgenommen werden könnte. Und Vertreter der Wirtschaft haben auch eigene Kampagnen gestartet, die sensibilisieren sollen. Eine davon heißt "Wirtschaft mit Zukunft”. Sie setzt sich im Sinne des Wirtschaftswachstums gegen Fremdenfeindlichkeit ein.
Wenn ein fremdenfeindliches Klima weiter Einzug erhalte, gebe es zukünftig in Thüringen keinen "Jamal" mehr, der Pakete austrägt; und auch keinen "Dr. Nowak" mehr, der operiert, heißt es in der Kampagne. Noch nie sei eine Wahl so entscheidend und richtungsweisend gewesen.
Unterstützer sind unter anderem der Unternehmerverband Thüringen und die IHK Erfurt. Gespräche mit einzelnen Unternehmen zeigen aber auch, dass nicht alle namentlich mit ihren Sorgen zitiert werden wollen.
Was kann Engagement bringen?
Viba-Geschäftsführerin Wartenberg hat das Gefühl, dass ihr Engagement schon etwas gebracht hat. Mit einem Zugpferd, das voran geht, fühlten sich andere bestärkt, auch Haltung zu zeigen. "So wird die große Mehrheit, die ja für ein respektvolles Miteinander steht, auch sichtbar".
Für die Zukunft wünscht sie sich: "Dass es nicht mehr als mutig gilt, Haltung zu zeigen, sondern als selbstverständlich. Und dass wir gemeinsam zeigen, wie gut es schon funktioniert in Südthüringen - und wie viel demzufolge auch auf dem Spiel steht."
Mehr zu Unternehmen aus Südthüringen
MDR (cfr/med)
Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Regionalnachrichten | 08. März 2024 | 15:30 Uhr
Kommentare
{{text}}