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Bestatter-Azubi Franziska Ritscher ist durch den Tod ihres Opas auf die Idee gekommen, andere Trauernde durch diese schwere Zeit zu begleiten. Bildrechte: MDR/Isabelle Fleck

Berufsalltag einer angehenden BestatterinVom Totengräber zum "Eventmanager mit traurigen Gästen"

25. Mai 2024, 05:00 Uhr

Die Bestatter-Branche boomt? Während andere Handwerksberufe um Nachwuchs kämpfen, gibt es hier genug Auszubildende. Doch warum? Eine angehende Bestatterin, der Ausbildungsbeauftragte für Thüringen und die Handwerkskammern geben Einblicke. Erfahren Sie, warum dieser Beruf polarisiert und dennoch so beliebt scheint.

von Isabelle Fleck, MDR THÜRINGEN

Bis 2019 hatte Franziska Ritscher mit dem Thema Tod nichts zu tun. Dann starb ihr Opa. Um sich von ihm zu verabschieden, hatte die Familie eine Aufbahrung organisieren lassen. Der Raum war schön hergerichtet, der Opa sah aus, als würde er friedlich schlafen. Und Franziska Ritscher war "unfassbar beeindruckt", wie einfühlsam die Bestatter mit der trauernden Familie umgingen. "Es hat mich so fasziniert, dass ich gedacht habe: Das ist es, was ich machen möchte."

Von der Kauffrau zur Bestatterin

Franziska Ritscher ist 28 Jahre alt. Sie hat bereits eine Berufsausbildung zur Kauffrau für audiovisuelle Medien abgeschlossen, als sie den Entschluss fasst, Bestatterin zu werden. Ohne Praktikum. Rein ins "kalte Wasser". Sie erinnert sich daran, wie es "im ersten Moment schon Überwindung gekostet" hat, einen Verstorbenen zu waschen, frisieren, die Nägel zu schneiden und anzuziehen. "Aber es ist trotzdem noch ein Mensch. Natürlich ist es ein verstorbener Mensch, der jetzt nicht mehr reagieren kann - aber es ist immer noch ein Mensch".

Es ist immer noch ein Mensch.

Franziska Ritscher, Azubi zur Bestatterin

Hat gerade ihre Zwischenprüfung zur Bestatterin bestanden: Franziska Ritscher. Dabei ging es unter anderem um Materialkunde. Die Urne hinter ihr ist aus Maisstärke hergestellt. Bildrechte: MDR/Isabelle Fleck

Zwischen Mitgefühl und professioneller Distanz

Inzwischen ist der Umgang mit den Verstorbenen für sie Alltag, es ist normal geworden. Und auch nur ein Teil des Berufes. Sie berät im Bestattungsinstitut Gotha Angehörige bei allem, was zu bedenken und zu organisieren ist. Sie ist im Kundendienst eingesetzt, im Bereitschaftsdienst eingeteilt, bei den Trauerfeiern dabei. Sie fühle mit, aber sie leide nicht mit, erzählt sie. Das sei in der Berufsschule so besprochen worden.

Für Franziska Ritscher ist Bestatterin ein sehr erfüllender und verantwortungsvoller Beruf. Sie kann Menschen "in den schwersten Situationen unterstützen, die man im Leben erlebt." Ihren Schritt in die Ausbildung bereut sie nicht und kann ihren Beruf auch empfehlen. Wichtig sei aber, dass man charakterstark sei und Beruf und Alltag trennen könne. "Wir erleben so viele Schicksale tagtäglich. Also es ist nicht immer nur die Omi, die eingeschlafen ist. Man hat auch Kinder dabei. Verkehrsunfälle, junge Menschen, die vielleicht krank waren. Man darf sich das nicht zu sehr zu Herzen nehmen. In der Berufsschule haben wir festgestellt: Man muss mitfühlen, aber nicht mitleiden."

Man muss mitfühlen, aber nicht mitleiden.

Franziska Ritscher, Azubi zur Bestatterin

Erzählt sie davon, dass sie die Ausbildung zur Bestattungsfachkraft absolviert, gebe es nur zwei Reaktionen: "Entweder 'oh cool' - oder 'Ich könnte das nicht.' Es gibt nichts dazwischen".

Bestatter laut Handwerkskammer einzige Branche ohne Nachwuchsprobleme?

Wie kommt es also, dass zum Beispiel die Handwerkskammer Erfurt anlässlich eines Ausbildungstages auf dem Domplatz vor zwei Wochen erklärt, dass in "nahezu jedem Gewerk Ausbildungsstellen offen" seien, "einzig in der Bestatter-Branche" gebe es "genug Nachwuchs"?

Bestatter-Meister Ronald Häring aus Gotha. Bildrechte: MDR/Isabelle Fleck

Bestatter-Meister Ronald Häring aus Gotha hat einige Antworten darauf. Er ist der Chef von Franziska Ritscher, Ausbildungsbeauftragter des Landes Thüringen für den Bestatter-Beruf und er sitzt im Bildungsausschuss des Bundesverbandes der Bestatter. Er nennt mehrere Gründe:

Es sei ein Beruf, bei dem man Menschen unterstützen und der Gesellschaft etwas zurückgeben könnte. Das Berufsbild habe sich gewandelt: Vom Totengräber zum "Eventmanager mit traurigen Gästen". Der Eindruck, dass "alle Bestatter werden wollen", sei aber nicht richtig.

Eine Handvoll Bestatter-Azubis in Thüringen

Das hat sowohl damit zu tun, dass es laut Häring in Thüringen nur rund 150 Bestatter-Betriebe gibt. Dazu komme auch, dass viele von ihnen gar nicht ausbilden, weil sie der Meinung sind, sie würden dann ihre eigenen Wettbewerber "ranzüchten".

Häufig seien Bestattungsinstitute auch Familienbetriebe mit viel Geschichte. Trotzdem würden die eigenen Kinder später nicht immer im Betrieb mitarbeiten oder übernehmen - er kenne also auch Fälle, wo es durchaus Nachfolgeprobleme gäbe.

Häring selbst hat in seinem Betrieb fast 30 Menschen zum Bestatter ausgebildet. Er erzählt aber, dass einige Betriebe auch gar nicht ausbilden könnten oder dürften, weil nicht alle von Meistern geführt würden. Er kämpft mit seinem Bundesverband dafür, dass der Beruf in die "Meisterrolle A" aufgenommen wird - und eine Meisterpflicht notwendig wird, um ein Bestattungsinstitut zu eröffnen. Derzeit reichten 20 Euro, um beim Gewerbeamt ein Geschäft anzumelden.

Zu Roland Härings Bestattungsinstitut Gotha GmbH gehören auch das Krematorium in Gotha, ein Steinmetzbetrieb und ein Betrieb für Grabpflege. Er hat 38 Mitarbeiter. Bildrechte: MDR/Isabelle Fleck

Thüringenweit gebe es rund zwei Handvoll Bestatter-Azubis, schätzt Häring. Wer einen guten Realschulabschluss hat, kann ihn erlernen. Wer schon Auto fahren kann, hat einen Vorteil. Wer schon eine Berufsausbildung abgeschlossen hat, ist laut Häring gefestigter. Es gebe aber auch angehende Bestatter, die direkt mit 16 ihre Ausbildung beginnen. Auch das könne funktionieren, so Häring.

Keine neuen Bestatter-Azubis in Ostthüringen

Im Kammerbezirk Nord- und Mittelthüringen seien es Ende 2023 zwei Bestatter-Azubis gewesen, so die Handwerkskammer Erfurt. Im Portal der offenen Ausbildungsstellen ist derzeit keine freie Stelle gemeldet. Betriebe können laut einer Sprecherin ihre offenen Ausbildungsplätze freiwillig eintragen - aber nicht alle Branchen machten das auch.

Die Handwerkskammer Südthüringen führt aktuell zwei Bestattungsfachkräfte-Azubis - zum neuen Ausbildungsjahr kommen vier neue Auszubildende hinzu. Auch in der Südthüringer Lehrstellenbörse sind keine freien Ausbildungsstellen für diesen Beruf eingetragen. Vielen potenziellen Azubis sei aber auch gar nicht klar, dass Bestatter ein Handwerk sei und ein Ausbildungsberuf, erklärte eine Mitarbeiterin.

In Ostthüringen werden gerade fünf Auszubildende zu Bestattungsfachkräften ausgebildet. Laut Handwerkskammer Ostthüringen hat sich für das kommende Ausbildungsjahr jedoch keine Person für eine Bestatter-Ausbildung in Ostthüringen entschieden. Ein Sprecher erklärte, freie Ausbildungsplätze in dem Bereich seien auch hier nicht erfasst. Wie in den anderen Teilen Thüringens ist das Melden in der Lehrstellenbörse für Ostthüringen freiwillig.

Was macht ein Bestatter? - Antwort der Handwerkskammer Erfurt

Im Laufe der Zeit sind für die Bestatter immer mehr Dienstleistungen hinzugekommen. Den Angehörigen werden heute viele Aufgaben abgenommen, vom Trauerdruck bis zu Behördengängen. Bestatter sorgen für den reibungslosen Ablauf der Trauerfeier, geschmackvolle Dekoration mit Blumen und Gestaltung von Zeitungsannoncen.

Die Mitarbeiter sind Seelentröster und Vermittler. Der Beruf des Bestatters ist ein sehr anspruchsvoller Ausbildungsberuf, für den eine besondere Persönlichkeit und viel Einfühlungsvermögen erforderlich sind, sagt die Handwerkskammer. Sterben und Tod werden in der Gesellschaft als Tabuthemen angesehen, weshalb dieses Gewerk häufig als dunkel und verstaubt wahrgenommen wird.

Doch auch Bestatter haben sich mit der Zeit gewandelt und neue Wege eingeschlagen. Sie unterstützen Familien in einer sehr schwierigen Phase ihres Lebens, um ihnen beim Abschiednehmen und Trauern zu helfen. Bestatter werden zum Anker in der Zeit des Abschieds.

In und um Gotha werden etwa 98 Prozent der Verstorbenen eingeäschert, schätzt Bestatter Häring. Bildrechte: MDR/Isabelle Fleck

Bestatter 2.0: Social Media und Podcasts

Franziska Ritscher wird neben der Arbeit in Gotha im Aus- und Weiterbildungszentrum im unterfränkischen Münnerstadt ausgebildet. Hier gibt es Europas einzigen Lehrfriedhof. Angehende Bestatter aus ganz Deutschland lernen hier zum Beispiel, wie eine Gruft ausgehoben wird. In ihrem Lehrjahr gibt es acht Klassen mit 20 Schülern. Franziska Ritscher glaubt, "das ist tatsächlich auch ein Beruf, der im Kommen ist - zum Beispiel durch die sozialen Medien". Bestatter wie Luis Bauer präsentieren den Beruf auf TikTok und erreichen teilweise ein Millionenpublikum. Auch der MDR-Podcast "Radieschen von unten" geht das schwere Thema leicht an. Jeder ist möglicher Kunde. Gestorben wird immer.

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MDR (ifl)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Der Morgen | 26. Mai 2024 | 05:00 Uhr

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