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Leben auf dem LandAus für einzige Bankfiliale: Hunderte Mechterstädter kämpfen für Erhalt

15. Februar 2023, 10:02 Uhr

Wieder schließt eine Bank eine Filiale: Ab 1. März 2023 hat die "VR Bank - Ihre Heimatbank" keine Außenstelle mehr in Mechterstädt (Landkreis Gotha). Auf einer Bürgerversammlung machten 220 Einwohner deutlich: Mindestens ein Geldautomat muss vor unserer Haustür bleiben. Die Bank ist zu Gesprächen bereit, sieht aber auch Schwierigkeiten: Strengere Anforderungen an die Sicherheit und 30.000 Euro Kosten im Jahr.

von Loréne Gensel, MDR THÜRINGEN

Im Rückblick ist es bemerkenswert, dass an diesem Abend niemand laut geworden ist. Niemand Verschwörungstheorien in den Raum gestellt hat. Niemand Menschen beleidigt hat, die über den nächsten Einschnitt in die Lebensqualität in einer ländlichen Region in Thüringen entschieden haben. Bei Bürgerprotesten in Thüringen ist das in den letzten Jahren in Thüringen nicht immer selbstverständlich gewesen.

Aber das Lauteste, was am Montagabend im Gemeindesaal von Mechterstädt zu hören war, war der Beifall für die Redner. Die örtliche Volksbank will am 28. Februar 2023 ihre Filiale im Ort schließen. 220 Einwohner - auch aus Laucha, Teutleben, Burla, Sondra, Sättelstädt, Metebach und anderen Dörfern hatten sich zusammengefunden, um dagegen zu protestieren.

Bank verweigert Gespräch mit Bürgern

Schon vorab war bekannt geworden: Die Bank wird die Einladung zum Gespräch mit den Bürgern nicht annehmen. Auf Anfrage von MDR THÜRINGEN sagte eine Mitarbeiterin, die Gründe für die Schließung der Filiale habe man in Briefen an die Kunden dargelegt. Und noch einmal wiederholt in einer Antwort auf ein Schreiben des Ortschaftsbürgermeisters. Und mehr gebe es dazu auch nicht zu sagen.

Dabei hat die Bank selbst die Messlatte gelegt für die Erwartungen an die Kommunikation mit den Kunden. Als Raiffeisenbank Gotha hatte sie im Sommer 2022 mit der Volksbank Eisenach-Ronshausen fusioniert. Der neue Name: "VR Bank - Ihre Heimatbank". "Nähe bedeutet für uns vor allem, nahe bei den Menschen zu sein. Bei uns als Genossenschaftsbank stehen Sie als Mitglied und Kunde mit Ihren Wünschen und Zielen im Mittelpunkt", schreibt das Kreditinstitut auf seiner Webseite.

Fast 120 Jahre Tradition mit Bank im Dorf

Wie das zu verstehen ist - davon haben die Verantwortlichen in der Bank und die Menschen in Mechterstädt und Umgebung sehr unterschiedliche Vorstellungen. Die am Montagabend versammelten Bürger hatten zumindest die Erwartung, dass man sich in einer persönlichen Begegnung darüber austauschen kann. Ohne einen Vertreter der Bank auf dem Podium versicherten sich die Anwesenden dann gegenseitig ihrer Enttäuschung und dessen, was sie mit der Bankfiliale im Ort verlieren werden.

Gerhardt Schlothauer (68) als gebürtiger Mechterstädter hatte recherchiert, dass 1904 der Mechterstädter Spar- und Darlehnskassenverein gegründet worden war. Seitdem seien ohne Unterbrechung bis heute durchgehend Geld- und Bankgeschäfte im Ort abgewickelt worden. Diese Tradition soll Ende Februar zu Ende gehen.

Viele Gründe für Vor-Ort-Service

Viele weitere Argumente aus den Redebeiträgen des Abends waren vorab schon aufgetaucht: Bei Gesprächen im Vorraum der Bankfiliale oder an der Kasse im Einkaufsmarkt, bei einem Treffen von Gewerbetreibenden im Gasthof und in einem Brief von Ortschaftsbürgermeister Tobias Wolf (CDU) an die Bank. So kam die Rede auf die 87-jährige Mutter, die ohne Bankschalter im Ort nicht einfach zum Online-Banking wechseln könne. Und die den Hinweis, sie möge Kinder und Enkel um Unterstützung bitten, als schleichende Entmündigung erlebe.

Eine junge Frau berichtete von ihren Kindern, die ihr Taschengeld wöchentlich mit der EC-Karte abheben und so den Umgang mit Geld lernen würden. Nicht virtuell, sondern physisch. Gewerbetreibende beklagten weite und damit weniger sichere Wege zu entfernten Filialen, wenn sie die Bareinnahmen des Tages einzahlen wollen. Ein älterer Herr verwies auf den Klimawandel, der sicher nicht zu stoppen sei, wenn man nun auch noch 15 Kilometer bis zur Bank mit dem Auto fahren müsse.

Kundenbesuche waren weniger geworden

Die Gründe der Bank für die Entscheidung, die Geschäftsstelle in Mechterstädt zu schließen, waren in der Diskussion auch immer wieder Thema. Eine Filiale vor Ort und Mitarbeiter, die dort auf ihre Kunden warten - das sei ein traditionelles Geschäftsmodell, das gerade abgelöst werde, hatte der Bankvorstand geschrieben.

Selbst in Mechterstädt seien die Kundenbesuche seltener, die Abhebungen am Geldautomaten weniger geworden. Vor allem rund um die Pandemie. Die anvertrauten Gelder wirtschaftlich zu verwahren bedeute auch, das Netz der Geschäftsstellen immer wieder auf Kosten und Nutzen zu überprüfen. Auch wenn der Abschied für die Kunden mehr Aufwand bedeute: Der Trend zum Abbau von Filialen sei im Zuge der Digitalisierung in Deutschland unumkehrbar - der zu Online-Bankgeschäften nicht aufzuhalten.

Abschied sehr spät angekündigt

Trotzdem fühlt sich das für die Bürger des Ortes nicht so an, als wolle man es kampflos hinnehmen. Für Frust hatte vor allem gesorgt, dass der geplante Abschied aus dem Ort nicht mal sechs Wochen vor dem letzten Öffnungstag der Filiale angekündigt wurde. Hat die Bank absichtlich so agiert, um die Zeit für Proteste und Gespräche über Lösungen möglichst kurz zu halten? Ein Einwohner fragte das ganz offen.

Von der Bank war niemand da, der das als Unterstellung hätte zurückweisen können. Noch größer war der Ärger, als der Ortschaftsbürgermeister die Zusage bekam, man suche nach einer Lösung für einen Geldautomaten im Ort - in den Briefen an die Kunden dann aber kein Wort davon zu lesen war.

Bank kehrt belebtem Ort den Rücken

Annette Rommel, die seit Jahrzehnten eine Arztpraxis im Ort betreibt und seit vielen Jahren den Vorsitz der Kassenärztlichen Vereinigung in Thüringen innehat, erinnerte an das vielfach bekräftigte Ziel der Politik: Der ländliche Raum in Thüringen muss gestärkt werden.

In Mechterstädt gebe es eine gut funktionierende ländliche Infrastruktur: Arztpraxis, Zahnarztpraxis, Apotheke, drei Einkaufsmöglichkeiten, Physiotherapie, Friseur und viele andere Gewerbetreibende, die eine hervorragende Arbeit machen. Das sei Grund für viele Menschen, ins Dorf zu kommen. "Und die Heimatbank geht. Das ist wirklich ein Skandal", so Rommel.

Geldautomat als Minimallösung

Am Ende des Abends war 220 Menschen - darunter sehr viele im Alter zwischen 60 und 90 - klar: Eine Ära geht jetzt zu Ende. Auch wenn es niemand laut aussprach, im Stillen wussten die meisten: Die Zeit, in der Bankgeschäfte so abgewickelt werden, wie sie es gewohnt sind, ist vorbei.

Die in Jahrzehnten erworbenen Erfahrungen taugen nicht mehr für die digitalen Bankgeschäfte der Zukunft. Wer sich nicht anpassen, nicht dazulernen kann oder will, wird ein Stück Eigenständigkeit oder Freiheit einbüßen. Und weil das so viele eigentlich wissen, fiel in fast allen Redebeiträgen der Satz: Wenigstens ein Geldautomat muss bleiben. Vielleicht zusammen mit einem Bankterminal.

Bank weist auf Möglichkeiten und Hürden hin

Ortschaftsbürgermeister Tobias Wolf (CDU) hat jetzt den Auftrag, die Einladung der Bank zu einem Gespräch anzunehmen. Und dort Punkt für Punkt alles vorzulegen, was am Montagabend gesagt und gefordert wurde. Die Bank hatte ihm geschrieben, man prüfe die Möglichkeit mit dem Geldautomaten und führe dazu Gespräche. Sollte die Gemeinde oder wer auch immer einen kostengünstigen Standort dafür anbieten können, erbitte man eine Information.

Allerdings gebe es an so einen Standort sicherheitstechnische Anforderungen und der Betrieb koste etwa 30.000 Euro im Jahr. Torsten Kühn als Vertreter des Bürgermeisters hat dafür jede Unterstützung zugesagt, die die Gemeinde Hörsel geben könne.

Mechterstädter fordern schnelle Zusage

Der Ortschaftsbürgermeister hat von den Bürgern mit auf den Weg bekommen, er möge der Bank eine Frist setzen. Man erwarte, dass die Entscheidung für einen Geldautomaten bis zum 1. April fällt. Es ist das Minimum, was man in Mechterstädt und Umgebung hofft, erreichen zu können.

Ansonsten, das wurde ganz klar ausgesprochen, hätten sich einige der Kunden und Mitglieder schon verabredet zum gemeinsamen Wechsel. Zu einer anderen Bank. Die auch nicht vor Ort ist, aber preiswerter. Mit vielsprechenden Sätzen von Webseiten und aus Kundenbriefen will sich jedenfalls keiner der 220 abspeisen lassen, die am Montagabend gekommen waren.

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MDR (log/sar)

Dieses Thema im Programm:MDR THÜRINGEN - Das Radio | Regionalnachrichten | 14. Februar 2023 | 17:30 Uhr

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