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Ukraine-Russland-KonfliktGefangenenaustausch: "Die Ukrainer sind kriegsmüde"

09. September 2019, 15:32 Uhr

Am Wochenende haben Russland und die Ukraine 35 gegen 35 Gefangene ausgetauscht. Darunter ist auch der zu 20 Jahren Haft verurteilte Filmregisseur Oleg Senzow. Russland dagegen bekam einen wichtigen Zeugen und möglichen Mittäter des MH17-Abschusses. Ist das ein Lichtblick im russisch-ukrainischen Konflikt? Unser Ostblogger Denis Trubetskoy beantwortet die wichtigsten Fragen aus ukrainischer Sicht.

von Denis Trubetskoy

Wie haben die Ukrainer den Gefangenenaustausch wahrgenommen?

In der Ukraine werden viele emotional, wenn es um die Freilassung der Inhaftierten geht. Die meisten im Land sind kriegsmüde, da kommt eine solch positive Nachricht sehr gut an. Zumal Selenskyj vor kurzem mit der Aufhebung der strafrechtlichen Immunität der Abgeordneten ein großes Versprechen erfüllte, eine gewisse Selenskyj-Euphorie bleibt also bestehen. Nicht nur seine Kritiker fragen sich jedoch, was denn der eigentliche Preis des Austausches ist. Die Abgabe des wichtigen Zeugen des Abschusses des Fluges MH17, Wolodymyr Zemach, an Russland ist ohnehin ein hoher Preis, die leise Kritik der niederländischen Ermittler kommt noch hinzu. "Ist das jedoch alles oder ist hinter verschlossenen Türen mehr vereinbart worden?" Das sind die Fragen, die sich auch einfache Ukrainer stellen.

Ist das eine Neuauflage der ukrainisch-russischen Beziehungen? Sind weitere Austausche geplant?

Von einem Neuanfang kann keine Rede sein. Es ist trotzdem ein Meilenstein. Der letzte Gefangenenaustausch, damals zwischen Kiew und den Separatisten, fand noch Ende 2017 statt. Nun gibt es endlich zumindest berechtigte Hoffnungen, dass im Donbass mittel- oder langfristig ein stabiler Waffenstillstand erreicht werden kann. Diese Hoffnung stützt sich nicht nur auf den Austausch vom Wochenende. In diesem Sommer hat die Ukraine etwa damit begonnen, auf eigene Initiative eine Vereinbarung von 2016 zu erfüllen und die Truppen in der Kleinsiedlung Stanyzja Luhanska an der Frontlinie abzuziehen. Dieses Abkommen sieht den Truppenabzug an zwei weiteren Orten im Regierungsbezirk Luhansk, in Petriwske und Solote, vor. Ein weiterer Austausch nach der Formel "alle gegen alle" und der Truppenabzug auf der ganzen Frontlinie sind möglich.

Wie viele Gefangene gibt es nach diesem großen Austausch noch auf beiden Seiten?

"Wir haben noch keine endgültige Zahl, aber es geht um mehrere Hundert Ukrainer", erklärt Andrij Jermak, der für den Gefangenenaustausch verantwortliche Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Nach Angaben der ukrainischen Menschenrechtsbeauftragten Ljudmyla Denissowa sind derzeit mehr als 110 ukrainische Bürger in Russland inhaftiert, die annektierte Krim inklusive. Dazu kommen noch Gefangene, die von den pro-russischen Separatisten in den beiden selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk festgehalten werden.

Ist also eine Lösung des Donbass-Krieges wahrscheinlicher geworden?

Ein tatsächlicher Waffenstillstand ist realistischer geworden. Dass es dafür einen konkreten Fahrplan gibt, ist bereits eine Errungenschaft und auch sehr wichtig: An der Frontlinie wird nach wie vor jeden Tag gekämpft, allein im August sind zehn ukrainische Soldaten ums Leben gekommen. Doch die grundsätzliche Lösung des Konflikts ist sehr unwahrscheinlich, weil Kiew und Moskau unterschiedliche Interessen haben.

Welche Interessen verfolgen Russland und die Ukraine?

Moskau will, dass so schnell wie möglich Wahlen in den besetzten Gebieten stattfinden. So wie im Minsker Friedensabkommen vorgeschrieben. Russland hätte dann noch die Kontrolle an der ukrainisch-russischen Grenze.

Kiew will die Wahlen aber nicht im noch von den Separatisten kontrollierten Gebiet ausgetragen, denn das würde den Erfolg der pro-russischen Kräfte wahrscheinlicher machen.

Grundsätzlich hat Russland nichts dagegen, dass der Donbass wieder ukrainisch kontrolliert wird. Allerdings würde Moskau der Rückkehr der besetzten Gebiete in die Ukraine nur zustimmen, wenn das Gebiet autonom mit eigenem Parlament und eigener Regierung wäre. Russland verspricht sich so, seinen Einfluss in der Region zu festigen, ohne die selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk finanzieren zu müssen. Die Ukraine möchte das natürlich verhindern.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL FERNSEHEN | 29. August 2019 | 10:55 Uhr

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