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Politik und KlischeesTschechien und die Slowakei: Eiszeit zwischen ziemlich besten Freunden

26. April 2024, 14:05 Uhr

Einst lebten Tschechen und Slowaken in einem gemeinsamen Staat. Nach der Auflösung der Tschechoslowakei hatten die Nachfolgestaaten ein besonderes, sehr enges Verhältnis zueinander. Ausgerechnet die unterschiedliche Haltung beider Regierungen zum Ukraine-Krieg löste nun aber nicht nur eine Krise in den Beziehungen beider Völker aus, sondern ließ überwunden geglaubte alte Stereotype wiederaufkommen, etwa jenes vom großen und vom kleinen Bruder.

Eigentlich galt die Auflösung der Tschechoslowakei im Jahr 1993 als Beispiel für eine gütliche Trennung zweier Nationen, die es aus verschiedenen Gründen nicht mehr unter dem Dach eines gemeinsamen Staates aushalten konnten. Als vorbildlich galt ebenfalls, dass die neu entstandenen selbstständigen Republiken nicht nur gute Nachbarn, sondern auch so etwas wie beste Freunde wurden: Mit regen Kontakten und Beziehungen auf zwischenmenschlicher und insbesondere auf politischer Ebene.

Gehen jetzt politisch getrennte Wege: Der slowakische Premier Robert Fico (Mitte) und Tschechiens Regierungschef Petr Fiala (rechts). Bildrechte: IMAGO/CTK Photo

Ukraine-Krieg entzweit Tschechien und die Slowakei

Vor einigen Wochen jedoch ist dieses Idealbild ins Wanken geraten. Die tschechische Regierung von Premierminister Petr Fiala ließ eine für April geplante gemeinsame Sitzung beider Regierungen platzen und setzte die regelmäßigen Regierungskonsultationen aus. Als offizieller Grund wurden unüberbrückbare Unterschiede bei der Beurteilung der Lage in der Ukraine angeführt.

Während die bürgerliche Prager Regierung die Ukraine nach Kräften unterstützt und zu Jahresbeginn mit einer vielbeachteten Initiative zur Beschaffung von Munition für Furore sorgte, vertritt die Slowakei seit dem Regierungswechsel vom Herbst vergangenen Jahres eine entgegengesetzte Linie. Der linkspopulistische slowakische Premier Robert Fico hat in der Ukraine-Politik seines Landes zu einer 180-Grad-Wende angesetzt. Er verfügte nicht nur einen Stopp sämtlicher Waffenlieferungen aus Staatsbeständen, sondern äußerte auch wiederholt öffentlich Zweifel, ob in der Ukraine überhaupt Krieg herrsche, wenn das Leben in Kiew seinen normalen Gang gehe.

Tschechiens Initiative zum Kauf der Munition für die Ukraine in Nicht-EU-Ländern kam international gut an – nur in der Slowakei nicht (Symbolbild). Bildrechte: IMAGO/ZUMA Wire

Auch wenn die gegenwärtige atmosphärische Störung im Verhältnis Tschechiens zur Slowakei ernst und unerwartet erscheinen mag, sehen einige Experten die Lage wesentlich entspannter. Zu dieser Gruppe gehört auch der tschechische Historiker Michal Pehr, der intensiv zu den Beziehungen beider Nationen geforscht hat. "Natürlich sind die tschechisch-slowakischen Beziehungen aktuell nicht in einer guten Verfassung, aber persönlich glaube ich, dass das wie ein kurzer Regenschauer ist, der früher oder später vergehen wird", sagte er dem MDR.

Alte Klischees wieder da: Slowaken als "kleine Brüder"

Ähnlich sieht das der slowakische Soziologe Michal Vašečka. Gleichzeitig stellt er aber im Gespräch mit dem MDR auch einige grundlegende Überlegungen an: "Ich denke, dass das Zerwürfnis tiefere Wurzeln hat und vielleicht jetzt erst zum Vorschein kommt, dass die Unterschiede zwischen Tschechen und Slowaken immer schon weitaus größer waren, als man bis vor kurzem wahrhaben wollte."

Erinnerung an den gemeinsamen Staat: tschechoslowakischer 50-Kronen-Schein mit der Silhouette von Bratislava. Bildrechte: IMAGO/Pond5 Images

Tatsache ist nämlich, dass trotz der fast 75 Jahre währenden Zugehörigkeit zu ein und demselben Staat, der Tschechoslowakei, es immer schon soziokulturelle Unterschiede zwischen beiden Landesteilen gab. Die Tschechen galten als weltoffener, teilweise von der protestantischen Tradition geprägt, die Slowaken hingegen waren katholisch-konservativ und ländlich verankert. Vor allem unmittelbar nach der Staatsgründung im Jahr 1918 wurde zudem die Fiktion einer einheitlichen tschechoslowakischen Nation geschaffen, die allerdings zu einem wachsenden Streben nach Autonomie und später auch nach der Unabhängigkeit des slowakischen Landesteils führte. Das gipfelte schließlich in der formellen Auflösung der Tschechoslowakei am 31. Dezember 1992.

"Was lange nachhallte, war auf tschechischer Seite der Vorwurf, dass die Slowaken den gemeinsamen Staat zerstört hätten. Da gab es durchaus eine starke Emotion, und zwar auch zwischenmenschlich", erinnert sich der Historiker Pehr. Auch in den späteren Jahren zeigten sich seiner Meinung nach durchaus Neidgefühle auf tschechischer Seite, zum Beispiel als die Slowakei den Euro einführte und somit in einem wichtigen Bereich einen objektiven Vorsprung im Vergleich zu Tschechien erlangte – und das, obwohl die Tschechen seit Jahren mehrheitlich gegen die Euro-Einführung sind.

Wahlkampfeingriffe tschechicher Politiker

Eine einigermaßen unerwartet starke Rolle spielte das Verhältnis zwischen den beiden Brudernationen auch im vergangenen Präsidentschaftswahlkampf in der Slowakei. Das regierungsnahe Lager in Bratislava sah sich wegen der Ukraine von Seiten Prags in die Ecke getrieben. Das Aufkündigen der gemeinsamen Regierungssitzung wurde nicht nur als Affront gegen die außerordentlich guten Beziehungen verstanden, sondern auch als indirekte Wahlkampfhilfe für den prowestlichen Oppositionskandidaten Ivan Korčok. Selbst der bis dahin relativ moderat auftretende Präsidentschaftsbewerber der Regierungskoalition, Peter Pellegrini, verstieg sich zu Äußerungen, dass man sich von den "kriegslüsternen Tschechen" nichts vorschreiben lassen werde.

Historiker Michal Pehr haben solche Aussagen stark an ein Bild aus früheren Tagen erinnert: nämlich jenes vom erfahreneren und somit um gute Ratschläge nicht verlegenen großen Bruder auf tschechischer und dem kleinen Bruder auf slowakischer Seite. Dieses Bild wurde vor allem in der Endzeit der Föderation von den Slowaken oft als Grund für die Trennung angeführt, weil man die Möglichkeit sah, über die eigenen Angelegenheiten selbst zu entscheiden.

"Dieses Stereotyp ist immer noch lebendig, vor allem bei der älteren Generation. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass selbst nach der Auflösung der Tschechoslowakei der Einfluss der tschechischen Kultur in der Slowakei wesentlich größer blieb, als umgekehrt. Tschechien blieb auch in anderen Belangen ein wichtiger Referenzrahmen für die Slowakei", so Pehr. Das sei logisch, denn den zehn Millionen Tschechen stehen nach wie vor rund fünf Millionen Slowaken gegenüber, und das erzeuge eine eigene Dynamik, meint der Historiker.

Junge Slowaken reisen vom tschechischen Brno in die Heimat, um ihre Stimmen bei der Präsidentschaftswahl 2024 abzugeben. Rund 117.000 Slowaken lebten 2022 in der Tschechischen Republik. Bildrechte: IMAGO/CTK Photo

Wie lange dauert die Eiszeit?

"Ok, die tschechische Regierung hat jetzt einen Gang heruntergeschaltet und die Beziehungen auf eine etwas niedrigere Ebene herabgestuft. Das bedeutet allerdings immer noch, dass sie hervorragend sind", legt der slowakische Soziologe Michal Vašečka seine Sicht der Dinge dar. In anderen Bereichen bleibt doch seiner Meinung nach alles wie bisher.

Dennoch sieht er aber auf der politischen Ebene die Beziehungen bis auf Weiteres vergiftet. Auch deshalb, weil in beiden Ländern die jeweilige politische Opposition ihre eigenen innenpolitischen Motive ins Nachbarland getragen hat. Dem slowakischen Regierungslager sprangen nämlich in der entscheidenden Phase des Präsidentschaftswahlkampfs namhafte tschechische Kritiker der Regierung Fiala zur Seite. Die beiden Ex-Präsidenten Václav Klaus und Miloš Zeman gaben offene Empfehlungen zu Gunsten Peter Pellegrinis ab, und auch Tschechiens Oppositionsführer, Ex-Premier Andrej Babiš, hat Pellegrini mittels eines gemeinsamen Auftritts kurz vor dem Wahltag offen unterstützt.

Wahlkampfunterstützung: Tschechiens Ex-Präsident Miloš Zeman trifft sich mit dem Präsidentschaftkandidaten und inzwischen Wahlsieger Peter Pellegrini. Bildrechte: IMAGO / CTK Photo

Nach Einschätzung des Soziologen Vašečka wird das Konsequenzen nach sich ziehen: "Ich denke, die Beziehungen der beiden Regierungen werden sich etwas abkühlen, aber im Prinzip weiterlaufen. Und ja, in Bratislava wird man jetzt anderthalb Jahre warten, ob es in Prag bei den nächsten Wahlen nicht zu einem Regierungswechsel kommt. Von Seiten der slowakischen Regierung ist da in den kommenden Monaten jedenfalls kein Entgegenkommen zu erwarten."

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Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Heute im Osten | 27. April 2024 | 07:21 Uhr

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