GeorgienSkandal um Stalin-Bild in der Kirche – russische Propaganda?
Über zwei Jahre hing in der Sameba-Kathedrale in der georgischen Hauptstadt Tbilisi unbemerkt eine Ikone, auf der auch der sowjetische Diktator Josef Stalin zu sehen war. Erst als ein Priester Fotos davon in den sozialen Medien postete, brach der Skandal los. Doch es geht um mehr als nur ein Bild in einer Kirche.
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Die heilige Matrona ist eine recht junge Heilige: Der Legende zufolge hatte Matrona Nikonowa einen großen Anteil daran, dass Moskau im Zweiten Weltkrieg nicht von der deutschen Wehrmacht erobert und der Stadtbevölkerung damit viel Leid erspart wurde. Die blinde russische Wahrsagerin hatte dem damaligen Machthaber Stalin einige Ratschläge gegeben, wie er Moskau gegen die vorrückende Wehrmacht verteidigen kann. In den 1990er Jahren wurde sie von der russisch-orthodoxen Kirche heiliggesprochen.
Und so ist auf dem umstrittenen Bildnis der heiligen Matrona auch Josef Stalin zu sehen: ein etwas arrogant dreinblickender Staatsmann, der gelassen die linke Hand in der Tasche seines berühmten grauen Militärmantels versenkt. Lange Zeit hing diese Ikone von der breiten Öffentlichkeit unbemerkt in einer Seitenkapelle der Hauptkathedrale der georgischen Hauptstadt herum. Dann, am 6. Januar, dem orthodoxen Heiligabend, veröffentlichte der Priester Ilia Tchigladze Fotos des Heiligenbildes auf seinem Facebook-Account, und pünktlich zum Weihnachtsfest nahm der Skandal seinen Lauf.
Farbattacke auf die "Stalin-Ikone"
Die bekannte Aktivistin Nata Peradze fand den Anblick unerträglich – und vermutet hinter der Ikone den Versuch politischer Einflussnahme: "Stalin in der Kirche zu sehen, war für mich ein Zeichen dafür, dass Russland über das georgische Patriarchat versucht, die Massen zu beeinflussen und Stalins Kult zu verbreiten." Deshalb ging sie kurzerhand in die Kathedrale und beschmierte die Ikone aus Protest mit blauer Farbe.
Die Ikone nahm bei der Aktion allerdings keinen ernsthaften Schaden, da sie verglast ist. Für Peradze dagegen hatte die Aktion einige Konsequenzen: Zunächst versammelten sich hunderte Mitglieder der radikalen, Russland-orientierten Bewegung "Alt-Info" und umzingelten ihren Wohnblock. Die Polizei nahm sie wegen Randalierens fest, und das Stadtgericht verurteilte sie zu fünf Tagen Arrest, die sie mittlerweile im Polizeipräsidium Tbilisi abgesessen hat. Trotzdem sagt sie: "Ich bin [mit der Aktion] sehr zufrieden. Ich bin Atheistin und möchte, dass das Konkordat gekündigt wird." Das Konkordat ist ein Vertrag zwischen dem Staat und der georgisch-orthodoxen Kirche, der ihr unter anderem Steuerfreiheit garantiert.
Abstruse Erklärungen der georgisch-orthodoxen Kirche
Die Kirchenleitung hat das Parlament inzwischen aufgefordert, die gesetzlichen Regelungen gegen solche "Beleidigungen von Heiligtümern" zu verschärfen. Das georgische Patriachat änderte mehrmals seine Aussagen zu der Angelegenheit. Erst gab man sich überrascht und wollte keine Ahnung haben, wie Stalin auf der Ikone erscheinen konnte. Etwas später behaupteten hochrangige Kirchendiener dann, dass auch die Bösen ihren Platz in der kirchlichen Ikonographie hätten, wenn der Kontext stimme.
Und wieder später, nach Peradzes Farbschmiererei, gaben die Kirchenoberen eine weitere Erklärung heraus, in der zu lesen ist, dass es nicht nachgewiesen sei, ob Stalin jemals Matrona getroffen hat. Daher habe das Patriarchat den Stifter der Ikone gebeten, den Diktator zu entfernen oder diese Änderung dem Patriarchat zu überlassen. Und noch ein paar Tage später war die Ikone plötzlich aus der Kirche verschwunden.
Pikant ist in diesem Zusammenhang auch die Tatsache, dass die Ikone der heiligen Matrona von der prorussischen Partei "Allianz der Patrioten" gestiftet wurde. Ihr Mitbegründer, David Tarkhan-Mouravi, hat auf Facebook betont, dass er mit dem Zeichnung der Stalin-Szene nichts zu tun habe, er habe aber auch nichts dagegen, dass Stalin auf der Ikone im entsprechenden Kontext erscheint, wo selbst der Böse von Gott besiegt werde.
Lebhafte Debatte um "Stalin-Ikone"
In Georgien hat sich nun eine lebhafte Debatte um die Ikone und den Umgang mit ihr entsponnen. Vater Giorgi Tserodze, ein ehemaliger Kaplan der georgischen Armee, kritisiert vor allem den Umgang der Kirchenleitung mit der Ikone: "Wenn sie dieses Problem rechtzeitig erkannt und reagiert hätte, hätte die Ikone keinen so großen Wirbel ausgelöst." Wenn man aber in einer solchen Situation keinen Lösungsvorschlag anbiete, gebe man der Gegenseite einen Grund zu denken, dass sie ohne radikale Schritte kaum etwas erreichen könne.
Priester Shalva Kekelia, der meist den Positionen des Patriarchats folgt, ist da ganz anderer Ansicht: "Irgendwer beschmiert die Ikone mit Farbe – so etwas hat es früher nicht gegeben! Wenn jemand den Boden, die Kirchenbänke oder irgendeinen anderen Gegenstand in der Kirche beschmiert, sollte es allein deshalb im ganzen Land heftige Reaktionen geben! Die Frage, ob Stalin auf der Ikone zu sehen war oder nicht, ist absolut zweitrangig." Auch er hält es, wie die Kirchenoberen, für zulässig, Stalin auf einer Ikone abzubilden, solange er nicht positiv dargestellt werde. Schließlich wüsste ja jeder, "wie viele gruselige Dinge in seiner Amtszeit passiert sind". Ob die Darstellung Stalins in entspannter Pose und mit der Hand in der Manteltasche allerdings ausreicht, um ihn als Schurken darzustellen, ist durchaus umstritten.
Geschichtsklitterung im Interese Russlands?
Das "Labor für die Erforschung der sowjetischen Vergangenheit", abgekürzt SovLab, ist eine NGO, die sich bemüht, die georgische Gesellschaft über die negativen Seiten der sowjetischen Vergangenheit aufzuklären. Mitglieder des SovLab waren auch die ersten, die die Ikone öffentlich kritisierten. Sie streamten sogar live aus der Kathedrale, um auf die Angelegenheit aufmerksam zu machen und Video-Beweise zu liefern. Der geschäftsführende Direktor, Irakli Khvadagiani, ist wie auch die Aktivistin Peradze fest davon überzeugt, dass die Ikone Teil eines großen Informationskrieges ist, der von Russland geführt wird.
Es gehe Moskau darum, das historische Gedächtnis der Menschen zu beeinflussen, damit diese eine Dominanz Russlands in der Region akzeptieren, so Khvadagiani: "Wenn sie die Menschen überzeugen können, dass einer der bekanntesten Tyrannen und Massenmörder der Weltgeschichte eine gute Persönlichkeit war, auf die wir stolz sein sollen, ist klar, dass von kritischem Denken und historischem Gedächtnis nicht mehr die Rede sein kann." Eine Gesellschaft, die dies ohne Protest akzeptiere, werde in Zukunft noch größere Manipulationen sehr leicht hinnehmen und damit für jeden ein sehr leichtes Ziel werden.
Tatsächlich genießt die georgisch-orthodoxe Kirche ein großes Vertrauen unter Georgiern. Patriarch Ilia II. gilt sogar satten 91 Prozent der Georgier als glaubwürdig. Kritiker meinen deshalb, dass es sehr gefährlich sei, den Kult um Stalin über diesen Umweg zu etablieren und den sowjetischen Diktator so zu rehabilitieren.
Auch der Theologe Shota Kintsurashvili, der derzeit in München promoviert, hat keinen Zweifel daran, dass die Ikone der Heiligen Matrona ein Zeichen dafür ist, dass offen pro-russische politische Kräfte versuchen, in der orthodoxen Kirche eine Heimstatt für imperialistische Positionen zu finden. Erst nachdem die Zivilgesellschaft, Theologen und Teile der Gemeinde Kritik geäußert hätten, habe des Patriachat reagiert und sich von "ultra-radikalen Gruppen" distanziert, die "immer wieder versuchen, die Menschen mit Hilfe des Glaubens zu manipulieren oder für ihre politischen Ziele zu instrumentalisieren", so Kintsurashvili.
Im Fall der umstrittenen Ikone hat sich nun die Zivilgesellschaft durchgesetzt, doch viele Gläubige und Kirchenleute haben dies als Affront gegen die Kirche und den Glauben selbst gewertet. Und auch der Kampf gegen den Stalin-Kult ist noch lange nicht gewonnen: In Stalins Geburtsstadt Gori erinnert ein Museum an den berüchtigtsten Sohn der Stadt. Die blutigen Seiten seiner Herrschaft werden dort allerdings nicht erzählt.
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Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | Heute im Osten – Der Osteuropa-Podcast | 17. Februar 2024 | 07:24 Uhr