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Belarus und die Folgen von Tschernobyl

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NachrichtenSpielt die weißrussische Regierung mit der Gesundheit ihrer Bürger?

Belarus hat noch immer mit den Folgen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl zu kämpfen. Viele Flächen sind seit 1986 verstrahlt. Trotzdem gibt die Regierung kontaminierte Böden für die landwirtschaftliche Nutzung frei.

Unverantwortliche Experimente? Landwirtschaft in der Tschernobyl-Sperrzone

96 Dörfer und Siedlungen wurden 1986 in Weißrussland nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl evakuiert und 216.000 Hektar Land gesperrt. Die Reste der ehemaligen Dörfer sind noch immer zu sehen - eine gespenstische Atmosphäre. Der Zutritt ist bis heute nur mit einer Sondergenehmigung möglich. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Im ehemaligen Dorf Babtschyn befindet sich der Stützpunkt der Experimentierzone, die 1998 eingerichtet wurde. 0,57 Mikrosievert pro Stunde beträgt die durchschnittliche Strahlung hier - fast das Dreifache der durchschnittlichen Strahlungsbelastung in Deutschland. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
In der Experimentierzone, in der rund 740 Menschen arbeiten, gibt es ein Labor. Wissenschaftler und Agrarökonomen erforschen hier, wie man in radioaktiv kontaminierten Gebieten Landwirtschaft und Tierhaltung betreiben kann. Ihre Erkenntnisse helfen Weißrussland, die 1986 verstrahlten Regionen zu rekultivieren und wieder landwirtschaftlich nutzbar zu machen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
41 Wissenschaftler sind derzeit hier beschäftigt. Aufgrund der erhöhten Strahlung besteht ein Gesundheitsrisiko. Sie dürfen deshalb nur maximal zwölf Tage am Stück im Labor arbeiten. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
In der Experimentierzone lebt eine Herde halbwilder Pferde. Sie werden hier als Arbeitstiere gezüchtet, aber auch für die Fleischverarbeitungsbetriebe der Umgebung. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Obwohl die Pferde in der kontaminierten Zone weiden, entspricht ihr Fleisch den weißrussischen Cäsium-Grenzwerten. Durch spezielle Zufütterung wird die Ansammlung von Radionukliden im Pferdefleisch vermindert. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Das Blut der Pferde wird regelmäßig kontrolliert. Einige Tiere werden auch als Zuchtpferde verkauft. Sogar der Präsident von Belarus, Alexander Lukaschenko, hat Interesse und will einen Hengst und eine Stute aus dem "Tschernobyler Gestüt" kaufen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Auch mit Honig wird in der Sperrzone experimentiert. Im Gegensatz zu Pferden lassen sich Bienen nicht auf ein bestimmtes Territorium begrenzen. Umso interessanter ist für die Wissenschaftler, inwieweit die radioaktive Strahlung auf den Honig wirkt. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Die saubere Honigproduktion hängt von vielen Faktoren ab, wie Temperatur, Niederschlag und Wind. Im letzten Jahr war der Honig weit unter den erlaubten Grenzwerten und konnte sogar verkauft werden - wichtige Einnahmen für weitere Experimente. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
Die Mitarbeiter sind stolz auf ihre Arbeit in der Experimentierzone. Sie trägt maßgeblich dazu bei, dass Weißrussland heute führender Experte im Umgang mit Spätfolgen nuklearer Verstrahlung ist. Selbst Japan holt sich seit Fukushima regelmäßig Rat von Weißrussland. Solange weiter Kernenergie betrieben wird, sind solche Erkenntnisse wie aus der Experimentierzone unverzichtbar.
(Über dieses Thema berichtet MDR AKTUELL auch im TV: 27.04.2018)
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Der Liquidator von Tschernobyl

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Nachrichten"Die Beamten haben total versagt!"

Juri Woroneschtsew war nach der Reaktorkatastrophe 1986 in Tschernobyl. Er gehörte zur Kommission, die den Unfall untersuchte. Woroneschtsew über Versäumnisse von damals und heute.

Unterwegs im weißrussischen Fallout-Gebiet Gomel

Gomel, eine 500.000-Einwohner-Metropole am Fluss Sosch, ist die Gebietshauptstadt der gleichnamigen weißrussischen Oblast. Sie ist etwa so groß wie die Schweiz und war vom radioaktiven Fallout von Tschernobyl am schlimmsten betroffen. Bis heute erkranken dort sechs Mal mehr Menschen an Schilddrüsenkrebs als vor der Atomkatastrophe. Bildrechte: Katrin Molnár / MDR
Wir treffen Juri Woroneschtsew bei einem kleinen Stadtfest. Der 63-Jährige hat die Katastrophe von Tschernobyl im weißrussischen Gomel miterlebt. Er wirkt ausgelassen, doch man bemerkt schnell, wie erschöpft er ist, denn auch er leidet an einer Krebserkrankung. Woroneschtsew findet aber, dass sich Gomel nicht von anderen Städten unterscheidet. Bildrechte: Katrin Molnár / MDR
"Die verstrahlte Stadt" - das ist das Image von Gomel in Belarus. Doch es wird gesungen und getanzt, als ob nichts passiert wäre. Eine Überlebensstrategie: Wer kann sich schon tagtäglich mit der Katastrophe, mit Tod und Krankheit befassen? Die Stadt sehnt sich nach Normalität, nach einer Perspektive NACH Tschernobyl.   Bildrechte: Katrin Molnár / MDR
Juri Woroneschtsew zu Hause vor seinem Computer. Der pensionierte Physiker ist eine Berühmtheit: Er war der leitende Sekretär der sowjetischen Kommission, die die Ursachen des Unfalls von Tschernobyl untersucht und das Handeln der Behörden nach der Katastrophe beurteilt und ausgewertet hat. Bildrechte: Katrin Molnár / MDR
Woroneschtsew war maßgeblich am Programm zur Überwindung der Folgen der Tschernobyl-Katastrophe beteiligt und Verfasser des einschlägigen Gesetzesentwurfs für die "Umweltsicherheit der Bürger". Und er zählt zu den sogenannten "Liquidatoren". Bildrechte: Katrin Molnár / MDR
Dieses Foto zeit ihn damals am Ort der Katastrophe. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) waren bis zu 800.000 Liquidatoren bei den Aufräumarbeiten in Tschernobyl tätig - zumeist junge Männer: Soldaten, Feuerwehrleute und Hubschrauberpiloten. Sie waren zum Teil extrem hohen Strahlungsdosen ausgesetzt. Nach Schätzungen der Liquidatoren-Verbände sind inzwischen etwa 100.000 von ihnen tot. Bildrechte: Katrin Molnár / MDR
Juri Woroneschtsew zeigt uns die nördlichste Sperrzone Weißrusslands, 15 km nördlich von Gomel, etwa 140 km Luftlinie vom Unglücksreaktor entfernt. Obwohl es die Sperrzone Weißrusslands mit der größten Distanz zu Tschernobyl ist, mussten selbst dort die Bewohner  in saubere Gebiete umgesiedelt werden. Bildrechte: Katrin Molnár / MDR
Plötzlich warnt ein Schild am Straßenrand vor der hohen Strahlung. Woroneschtsew erklärt uns: "Im Prinzip dürfen wir hier nicht einmal stehen. Auf dem Schild steht, dass es verboten ist, auf die umliegenden Waldwege zu fahren, Pilze oder Beeren zu sammeln." Bildrechte: Katrin Molnár / MDR
Wir fahren an einigen Wäldern vorbei, die mit Radioaktivitäts-Schildern ausgewiesen sind. An einem halten wir an und wollen mit unserem Dosimeter selber messen, wie hoch die Strahlung ist. Bildrechte: Katrin Molnár / MDR
Unser Dosimeter zeigt 0,88 Mikrosievert pro Stunde an, mehr als das Vierfache der natürlichen durchschnittlichen Strahlung in Deutschland. Bildrechte: Katrin Molnár / MDR
Man könne hier zwar spazieren gehen, meint Woroneschtsew, hinlegen würde er sich aber nicht. Und Früchte würde er hier auf gar keinen Fall anbauen. Das Gerät zeige nur die oberflächliche Gamma-Strahlung, über die Alpha- und Beta-Strahlung verrate es nichts. Bildrechte: Katrin Molnár / MDR
Nur 20 Meter vom gesperrten Wald treffen wir auf ein Feld, das landwirtschaftlich genutzt  wird. Im Radius von 50 Metern könne man sehr unterschiedliche Verschmutzungen finden, erklärt Woroneschtsew. Während eine Parzelle sauber sei, könne der Boden auf einem anderen Feld nur zehn Meter weiter kontaminiert sein. Bildrechte: Katrin Molnár / MDR
Bis 0,40 Mikrosievert pro Stunde sei alles im Normalbereich, sagt Woroneschtsew. Unser Dosimeter zeigt nur 0,31 Mikrosievert pro Stunde an. Weniger als im Wald, aber doppelt so hoch wie in Gomel, so der Physiker. Dennoch wird hier Landwirtschaft betrieben - gefördert von der weißrussischen Regierung. Bildrechte: Katrin Molnár / MDR
Mit gesundem Menschenverstand sei die Landwirtschaft hier nicht zu erklären, meint Woroneschtsew. Die Nutzung dieser Böden werfe letztlich viel weniger Gewinn ab als die Investition in saubere Böden, von denen es in Belarus mehr als genug gebe. Und auch wenn mit Hilfe spezieller Düngemittel und anderer Stoffe, die Radionuklide binden, Landwirtschaft betrieben werde, … Bildrechte: Katrin Molnár / MDR
…dürfe man den Traktoristen nicht vergessen, der dieses schmutzige Feld beackert und den Staub einatmet. Ob sich der Traktorist, der hier gerade arbeitet, über die Gefahr, der er sich aussetzt, bewusst ist, weiß auch Juri Woroneschtsew nicht. Bildrechte: Katrin Molnár / MDR
Eines weiß er jedoch ganz genau: Das Programm, das er in der Tschernobylkommission der UdSSR entwickelt hat und das selbst das geringste Risiko für die Bevölkerung ausschließen wollte, hat Landwirtschaft in der kontaminierten Region Weißrusslands niemals auch nur in Betracht gezogen.
(Über dieses Thema berichtet MDR AKTUELL auch im TV: 27.04.2018)
Bildrechte: Katrin Molnár / MDR