Obst und Gemüse in einem Supermarkt
Jegliches Obst und Gemüse auch außerhalb der lokalen Saison - das schmeckt nicht jedem. Bildrechte: imago images/Rüdiger Wölk

Der Redakteur | 10.05.2023 Warum schmecken Supermarkt-Erdbeeren nicht nach Erdbeeren?

10. Mai 2023, 15:42 Uhr

Obst und Gemüse wie aus dem Bilderbuch, nur leider auch so geschmackvoll wie Papier. Christa Ehms aus Kaltennordheim fragt sich, woran es liegt, dass Supermarktprodukte manchmal nach nichts schmecken?

Bei der häufig vorschnell angeführten Begründung "das ist alles nur noch Chemie" geht Martin Krumbein ein bisschen aus dem Sattel. Er ist Referent Gemüsebau im Lehr- und Versuchszentrum Gartenbau Erfurt und von Hause aus nun wahrlich nicht der Interessenvertreter der Supermärkte oder Lieferanten aus aller Welt. Vielmehr plädiert er für den Kauf regionaler Produkte passend zur Erntezeit. Nur ist das Thema "Chemie" als Ursache gleich aus mehreren Gründen falsch.

Der Satz: ‚Alles nur Chemie‘, der ist eher Teil einer Stammtisch-Rede.

Martin Krumbein, Referent Gemüsebau im Lehr- und Versuchszentrum Gartenbau Erfurt
Gemüseexperte Martin Krumbein trägt eine Kiste mit Wassermelonen 31 min
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31 min

Martin Krumbein ist Referent Gemüsebau im Lehr- und Versuchszentrum Gartenbau Erfurt. Er erklärt, warum Obst und Gemüse heute anders schmeckt als früher.

MDR THÜRINGEN - Das Radio Mi 10.05.2023 16:40Uhr 30:33 min

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Zunächst ist nämlich erst einmal alles Chemie. Die Früchte, der Supermarkt und der Kunde. Von daher ist natürlich auch Chemie in der Erdbeere. Wie bei uns auch, haben wir da zunächst hauptsächlich die chemische Verbindung H2O. Den Unterschied zwischen Kunde und Erdbeere machen dann komplexe organische Moleküle aus, die bei der Erdbeere u.a. aus den chemischen Elementen Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, Kalium, Calcium, Magnesium, Phosphor und Eisen bestehen.

Letztlich sind das Mineralien, organische Säuren, Vitamine und andere Verbindungen, deren Formeln uns ängstigen würden. Wir sind aber immer noch in der Natur unterwegs. Und auch wenn es natürlich Unterschiede gibt zwischen konventioneller Landwirtschaft und Bio-Anbau und damit zwischen der Art und Weise, der Pflanze Nährstoffe und Pflege zukommen zu lassen, weist Martin Krumbein darauf hin, dass wir in Sachen Lebensmittelsicherheit ein sehr hohes Niveau erreicht haben.

Das heißt: Wir haben heute Messmethoden, die es früher schlicht noch nicht gab. Wir können heute die kleinsten Unregelmäßigkeiten erkennen, sowohl beim Anbau, aber auch später im Handel, erklärt Martin Krumbein. Und die bei Kontrollen bzw. regelmäßigen Reports gefundenen Beanstandungen liegen regelmäßig zwischen null und einem Prozent.

Wir haben mehr Restriktionen hinsichtlich des Pflanzenschutzes und der Düngung, die im gesamten EU-Raum viel strenger sind als früher.

Martin Krumbein, Referent Gemüsebau im Lehr- und Versuchszentrum Gartenbau Erfurt

Gurke
Gurken werden heute weniger mit Pestiziden gespritzt als früher. Bildrechte: Colourbox.de

Wo geht also nun der Geschmack verloren?

Eigentlich schon bei unseren Ansprüchen. Die Nachfrage nach vielen Produkten liegt in aller Regel außerhalb der Erntezeit. Das heißt: Jeder Apfel im März muss also entweder eine lange Reise oder lange Lagerzeit hinter sich haben. Das gilt auch für Tomaten und Gurken, Erdbeeren und exotische Früchte sowieso.

Das führt zu Zwängen, die sich auch auf den Geschmack auswirken. Dazu gehören die "falschen" Jahreszeiten, die Transportwege, die Reifezeit und der Reifezustand zum Erntezeitpunkt. Das bedeutet: Viele Produkte würden schon deutlich besser schmecken, wenn wir selbst nach Spanien fahren würden und diese reif von Strauch oder Baum pflücken und frisch essen.

Orangenbaum in Valencia.
Orangen vom Baum in Valencia - frischer geht's nicht. Bildrechte: MDR/HR/Dagmar Hase

Nun könnte man auf die Idee kommen, genau das zu tun, nämlich ausschließlich reif zu ernten, doch dann stellt sich die Frage, ob es die Früchte dann noch in einem präsentationsfähigen Zustand in den Supermarkt schaffen. Denn reif bedeutet oft weich und saftig und jedes Schlagloch, jedes Umladen transferiert die Tomate in Richtung Ketchup. Damit das nicht passiert, werden transportfähigere Sorten gezüchtet.

Wird vielleicht auch an den Genen manipuliert?

Begriffe wie "Genmanipulation" sind sehr unscharf und diese Technologien spielen in der Obst- und Gemüseabteilung keine Rolle. Bei gentechnisch veränderten Pflanzen, Tieren oder Mikro-Organismen werden einzelne Gene ausgeschaltet, verändert oder ersetzt. Wenn Gene von anderen Arten verwendet werden, spricht man von transgen.

Verbunden mit solchen Technologien ist oft der Wunsch, schädlingsresistente Sorten zu züchten, um zum Beispiel den Pestizideinsatz zu reduzieren. Das gelingt mitunter nicht wirklich überzeugend, hat die Heinrich-Boll-Stiftung zusammengetragen:

Bei Obst und Gemüse begegnen uns aber keine wie beschrieben gentechnisch veränderten oder transgenen Sorten, sondern Züchtungen. Hier macht man nichts anderes, als die Natur. Man sorgt für Nachwuchs. Nur ersetzt man das natürliche Zufallsprinzip durch gezieltes "Verkuppeln".

Das heißt: Man sucht Pflanzen heraus, die bestimmte Eigenschaften haben und versucht, diese zu verstärken oder zu schwächen. Aus zwei Apfelsorten, die eine mit festem Fruchtfleisch, die andere mit roten Bäckchen, kann zu einem festen Apfel mit roten Bäckchen führen. Muss aber nicht. Es kann auch anders kommen. Dann muss man neu ansetzen.

Es geht aber oft um unterschiedliche Züchtungsziele, sagt Martin Krumbein, der selbst kein Züchter ist, aber viel mit Züchtern zusammenarbeitet. Ertragserhöhung, Qualitätsverbesserungen, Inhaltsstoffe, Resistenzen, Farben, Formen und auch die Vielfalt.

Vor 30 Jahren gab es im Supermarkt vielleicht eine Sorte Tomaten, große rote Runde, heute haben wie eine Vielfalt von Formen und Größen und Angebotsformen.

Martin Krumbein, Referent Gemüsebau im Lehr- und Versuchszentrum Gartenbau Erfurt

Die Sache mit der harten Schale

Die "alte" Tomatensorte aus dem eigenen Garten, der alte Apfel, die alten Erdbeeren, sie haben oder hatten noch das gewisse Etwas. Aber sie hatten oft auch eine weiche Hülle, saftiges Fruchtfleisch und einen hohen Reifegrad. Wenn sie unschöne Stellen haben, die in wenigen Tagen ins Verderben führen würden, werden die halt rausgeschnitten, fertig sind die Apfelstückchen.

Nur das geht natürlich in der Lieferkette eines Supermarktes nicht. Also war und ist ein Züchtungsziel: Die Frucht muss möglichst keine solchen Stellen haben und ein festeres Fruchtfleisch und eine widerstandfähige Schale. Niemand wird absichtlich den Geschmack "rauszüchten", aber das passiert eben nun einmal, alles andere wäre die eierlegende Wollmilchsau mit Erdbeergeschmack.    

Alte Tomatensorten, die aufplatzen beim Anfassen, die kann man nicht anbieten, die würden schon auf dem Transportweg verderben.

Martin Krumbein, Referent Gemüsebau im Lehr- und Versuchszentrum Gartenbau Erfurt

Natürlich ist die "Schönheit" auch ein Zuchtziel, weil wir alle ästhetisch veranlagt sind und uns über schöne Äpfel freuen, aber ganz vorn steht die Transportfähigkeit und die Haltbarkeit bei Lagerware.

Tipps für die Haltbarkeit

Mit den richtigen Lagertemperaturen kann man schon sehr viel erreichen. Nun ist es aber so, dass in geernteten Früchten noch natürliche Prozesse ablaufen. Denn diese sind ja nicht klinisch tot. Oft wird Zucker gebildet - man will ja lecker sein, damit die Samen mitgegessen und anderswo abgelegt werden - aber häufig sind es auch Verfallsprozesse. Alleine schon, weil das Wasser flöten geht.

Gemüsefach in einem Kühlschrank
Gemüse verliert im Kühlschrank an Frische. Bildrechte: IMAGO/Lobeca

Je mehr frische Luft die Früchte umschmeichelt, umso schneller "altern" sie und Schuld hat der Sauerstoff. Deshalb werden viele Früchte in einer sauerstoffarmen Umgebung gelagert, das heißt: das Mischungsverhältnis unserer Atemluft wird zuungunsten des Sauerstoffs und zugunsten des CO2-Gehalts verschoben.

Wenn man eine extreme Lagerzeitlagerung bei manchen Produkten machen will, muss man die Atmosphäre verändern. Das macht man, indem man den Sauerstoffgehalt absenkt.

Martin Krumbein, Referent Gemüsebau im Lehr- und Versuchszentrum Gartenbau Erfurt

Das ist zwar auch wieder "Chemie", aber da wird nichts "draufgesprüht". Solche Veränderungen der Luftzusammensetzung führen wir mit jedem Atemzug durch. Auch die Früchte arbeiten selbst mit und geben CO2 ab, was auch erklärt, warum das Gemüsefach im Kühlschrank quasi einen Deckel hat. Die "schlechte" sauerstoffarme Luft soll möglichst drin bleiben. Und das ständige "Lüften" durch das Öffnen des Kühlschranks beschleunigt auch die Verfallsprozesse im Gemüsefach.

Und noch etwas: Je voller der Kühlschrank und das Gemüsefach sind, umso frischer bleiben Obst und Gemüse. Vor allem das, was Blätter hat, ist anfällig.

Das kann man in jeder Kühlzelle testen, wenn man nur eine Kiste Gemüse reinstellt, und einen großen Luftraum hat und wenig Produkt, funktioniert das nicht, weil das Produkt nur wenig CO2 abgibt. Und wenn dann ständig die Tür geöffnet wird, kann das Lagerergebnis nicht gut werden.

Martin Krumbein, Referent Gemüsebau im Lehr- und Versuchszentrum Gartenbau Erfurt

MDR (dvs)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Ramm am Nachmittag | 10. Mai 2023 | 16:40 Uhr

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