Ein Mitarbeiter der MIBRAG überwacht den Umzug eines Eimerkettenbaggers
Nur noch bis 2034 rollen im Tagebau Profen die Bagger. Beim anstehenden Strukturwandel sollen die Bürger vor Ort mitreden können. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Kohleausstieg So können die Menschen in Sachsen-Anhalt beim Strukturwandel mitbestimmen

06. August 2023, 17:48 Uhr

Mitte der 2030er-Jahre endet der Kohleabbau in Sachsen-Anhalt. Milliarden Euro sollen deshalb in den Süden des Landes fließen, der besonders vom Strukturwandel betroffen ist. Land und Kreise rufen schon heute die Menschen vor Ort auf, ihre Ideen für die Zukunft einzubringen – mit ganz unterschiedlichem Erfolg.

Knapp drei Kilometer Luftlinie liegen zwischen dem Rand des Tagebaus Profen, in dem sich tagtäglich gewaltige Baggerschaufeln in den Boden fräsen, und dem verschlafenen Zeitzer Ortsteil Zangenberg, in dem man die Vögel zwitschern hört und nur alle zehn Minuten ein Auto über die Dorfstraße holpert. In Zangenberg gibt es keine rauchenden Schlote, aber dafür den Elsterradweg und eine hübsche, rund 600 Jahre alte Kirche, die seit mehr als 50 Jahren dem Verfall preisgegeben ist.

Ein älterer Mann steht vor einer Kirche
Zangenbergs Ortsbürgermeister Bernd Jäger kämpft für den Erhalt und Umbau der alten Dorfkirche. Bildrechte: MDR/Lucas Riemer

Wenn ab 2035 die Bagger in Profen für immer stillstehen, soll sich diese Kirche in ein Gemeindezentrum und Umweltmuseum verwandelt haben. Viele der Radtouristen, die auf dem Elsterradweg schon heute durch das Dorf rollen, sollen dann in Zangenberg Halt machen. Und die rund 350 Zangenbergerinnen und Zangenberger sollen mit der umgebauten Kirche ein neues Dorfzentrum erhalten, das sie für verschiedene Veranstaltungen nutzen können. So jedenfalls wünscht sich das Bernd Jäger, der Zangenberger Ortsbürgermeister.

"Die Leute sind von dem Konzept begeistert", sagt Jäger, der auch Vorsitzender des Fördervereines der Kirche ist. Momentan befindet sich in Teilen des Gebäudes eine kleine Ausstellung über Vögel der Elsteraue, gestaltet vom Landschaftspflegeverein Mittleres Elstertal und finanziert mit Geld des Landes. Das Kirchenschiff selbst dürfen Besucherinnen und Besucher allerdings nicht betreten, aus Sicherheitsgründen. Teile der Decke hängen herab und drohen herunterzufallen.

Hoffen auf Mittel aus dem Strukturwandel-Topf

Um das Gebäude zu sanieren und umzubauen, hofft Jäger auf Geld aus dem Strukturwandel-Topf. Immerhin will der Bund in Sachsen-Anhalt bis zu 4,8 Milliarden Euro investieren, um die Folgen des Kohleausstieges abzufedern. Rund 650.000 Menschen im Land leben in den betroffenen Regionen und sollen mitentscheiden, wie und wo das Geld verwendet wird.

Eine kleine Kirche
Die Kirche in Zangenberg ist seit 1971 entweiht. Bildrechte: MDR/Lucas Riemer

"Die enge Beteiligung der Zivilgesellschaft ist wesentliches Erfordernis für einen sozial gerechten und innovationsgetragenen Strukturwandel", heißt es im Strukturentwicklungsprogramm der Landesregierung. Gelingen soll diese Bürgerbeteiligung durch verschiedene Projekte – eines davon ist der in diesem Jahr erstmals ausgerufene Ideenwettbewerb "Revierpionier", bei dem eine Million Euro an insgesamt 129 Projekte ausgeschüttet wurde.

Auch Bernd Jäger und seine Mitstreiter vom Landschaftspflegeverein Mittleres Elstertal dürfen sich über knapp 12.000 Euro freuen, denn die Umweltkirche Zangenberg gehört zu den ausgezeichneten Ideen in der Kategorie "Reviergestalten". "Wir sind froh, dass wir die Förderung bekommen haben", sagt Zangenbergs Ortsbürgermeister Bernd Jäger. Nur eines hat ihn gestört: "Der Antrag war doch recht bürokratisch."

Menschen fühlen sich wenig mitgenommen

"Weniger Bürokratie bei der Bürgerbeteiligung ist wichtig, damit auch Ehrenamtliche mitmachen können, die sich mit Behördendeutsch nicht auskennen", sagt der Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen Sachsen-Anhalt (LAGFA), Uwe Lummitsch. "Nach unserer Wahrnehmung bemühen sich die Landkreise, die Leute beim Strukturwandel mitzunehmen. Die Formen der Beteiligung sind aber sehr unterschiedlich", so Lummitsch.

Ein Mann in einem blauen Hemd
Uwe Lummitsch ist Geschäftsführer der Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenagenturen Sachsen-Anhalt. Bildrechte: MDR/Lucas Riemer

Und offenbar erreichen sie die Menschen nur unzureichend: Im aktuellen, repräsentativen Mitteldeutschland-Monitor gaben lediglich 15 Prozent der befragten Menschen aus dem Mitteldeutschen Revier an, dass sie den Eindruck haben, sich aktiv an der Gestaltung der Region beteiligen zu können.

Dass die Bemühungen zur Bürgerbeteiligung bisweilen auf wenig Resonanz stoßen, zeigt ein Blick in den Burgenlandkreis. Dort machten Anfang des Jahres bei einer Online-Umfrage zum Thema "Strukturwandel bürgernah" gerade einmal 249 Menschen mit, nicht mal ein Viertel der Teilnehmenden lebte überhaupt in dem Landkreis, der mehr als 175.000 Einwohnerinnen und Einwohner zählt.

Bürgerbeteiligung bei Infotagen gering

Kaum anders sieht es an einem Donnerstagvormittag im Juli auf dem Marktplatz in Hohenmölsen aus. Der Burgenlandkreis veranstaltet dort einen seiner sogenannten "Impulsgebertage" zum Strukturwandel. Bürgerinnen und Bürger sollen sich an einem kleinen Stand informieren und gleichzeitig eigene Ideen einbringen können – soweit der Plan. Doch nur wenige, vor allem ältere Menschen verirren sich an diesem Tag an den Infostand, die meisten Passanten eilen einfach vorbei.

Immerhin: Ein älterer Mann nutzt die Gelegenheit, um mit einem Mitarbeiter des Landkreises seine Sicht auf den Kohleausstieg zu diskutieren: "Die Kraftwerke sind so gut konzipiert, da geht doch kaum noch was raus oben. Die sind doch vom Allerfeinsten. Bloß wenn die oben keine Ahnung haben, die quatschen doch dummes Zeug..."

Eine dunkelhaarige Frau
Katja Wendland kümmert sich um die Bürgerbeteiligung im Burgenlandkreis. Bildrechte: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE

Mit der Resonanz der Impulsgebertage sei man insgesamt durchaus zufrieden, sagt Katja Wendland von der Stabsstelle Strukturwandel des Burgenlandkreises. "Die Bürgerinnen und Bürger kommen mit Ideen, wie sie sich den Strukturwandel vorstellen und natürlich auch mit Kritik, und das nicht zu wenig. Aber das ist spannend, weil es ein Stimmungsbild bringt, das für unsere Arbeit wichtig ist", so Wendland.

Mitmachen statt mitreden

Uwe Lummitsch von der LAGFA wünscht sich mehr Mitmachen statt Mitreden. "Wenn man Menschen einlädt und sagt, wir wollen nicht nur reden, sondern auch Möglichkeiten bieten, mitzumachen, dann gibt es eine höhere Bereitschaft, dabei zu sein", sagt Lummitsch. Der Revierpionier-Wettbewerb, bei dem unter anderem die Kirche in Zangenberg prämiert wurde, sei daher ein gutes Beispiel für gelungene Bürgerbeteiligung. Tatsächlich wurden bei dem Wettbewerb, der 2024 und 2025 erneut stattfinden soll, nach Angaben der Landesregierung in diesem Jahr mehr als 300 Projektideen eingereicht.

Auch der Ethnologe Felix Schiedlowski von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, der zu Bürgerbeteiligungsprozessen im Mitteldeutschen Revier forscht, plädiert dafür, Menschen vor Ort in konkrete Projekte einzubinden, statt ihnen abstrakte Fragen zu stellen. "Meine Erfahrung ist, dass dort, wo Bürgerbeteiligung ganz konkret werden kann, sich die beteiligten Bürgerinnen und Bürger am ehesten in die Politik involviert fühlen", sagt Schiedlowski.

Ein junger Mann mit Brille und buntem Hemd
Felix Schiedlowski ist Ethnologe an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Bildrechte: Stefan Schwendtner

Grundsätzlich sei man hierzulande in Sachen Bürgerbeteiligung auf einem guten Weg, hat der Wissenschaftler beobachtet. "Das Thema Bürgerbeteiligung wurde im Mitteldeutschen Revier, vor allem auf sachsen-anhaltinischer Seite, ganz aktiv und ganz frühzeitig in den Prozess eingebracht. Anderswo und selbst international ist man erstaunt darüber, wie viele partizipative Elemente es in diesem Strukturwandelprozess hier von Anfang an gab", so Schiedlowski.

Blick in die Zukunft: Ideen sammeln und junge Leute begeistern

In Zangenberg warten Bernd Jäger und seine Mitstreiter jetzt auf die Auszahlung des Preisgeldes aus dem Revierpionier-Wettbewerb. Den dafür notwendigen Antrag haben sie bereits gestellt. "Ich wünsche mir, dass wir dieses Gebäude mit den Mitteln des Strukturwandels in Glanz versetzen – als Mittelpunkt des Ortes und als Anlaufpunkt für Besucher und Fahrradtouristen", sagt Jäger.

Die 12.000 Euro werden dafür nicht ausreichen. Sie sollen genutzt werden, um im kommenden Frühjahr drei Workshops zu finanzieren, in denen Experten und Bürger gemeinsam an der Ausarbeitung des Konzeptes für die neue Dorfmitte arbeiten. Mit diesem Konzept sollen dann die nötigen Fördermittel eingeworben werden.

Ortsbürgermeister Bernd Jäger hofft aber neben neuen Ideen für die Nutzung der alten Kirche auch auf einen weiteren Effekt der Workshops: Sie sollen jüngere Menschen dafür begeistern, sich für den Erhalt und die sinnvolle Nutzung des Gebäudes einzusetzen – damit sie auch dann noch gerne in Zangenberg und Umgebung leben, wenn die Kohle längst Geschichte ist.

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MDR (Lucas Riemer, Astrid Pawassar)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 06. August 2023 | 19:00 Uhr

5 Kommentare

Feldmaus vor 39 Wochen

Wäre ja schön,wenn man die Menschen mir einbinden würde.Aber wenn ich so höre, dass eine Kirche ausgebaut werden soll, na ja das ist ja ganz nett, aber ändert nichts an den wirklichen Problemen . Um die Unzufriedenheit abzuschwächen werden solche "Projekte" als super gelungene Politik hingestellt .

pwsksk vor 39 Wochen

Der "Strukturwandel" ist für mich leider (nur) ein Schlagwort. Es wird wahrscheinlich auf Jahre Renaturierungsmaßnahmen geben, das ist auch gut so. Aber das produzierende Handwerk (Industrie) wird sich an betreffenden Orten kaum ansiedeln. Deutschland hat gegenwärtig und in den nächsten Jahren ganz andere Probleme.

Erna vor 39 Wochen

Dieses Beispiel zeigt für mich das man es nicht versteht oder einfach naiv ist. Ein solches Umweltmuseum was schon durch die Größe der Kirche sehr begrenzt ist wird weder Besucher noch Fahrradtouristen in irgendeiner nennenswerten Zahl hinlocken. Was soll man da zeigen damit man hinfährt und ggf. sogar Eintritt zahlt? Da ist ein vernünftiger Imbiss mit Biergarten viel interessanter. Und eine Landschaft ohne Windkraftmonster mit tollen Seen und ausgebauten Radwegen würde wahrlich so manchen begeistern. Aber nach den Tagebaumonstern muss man ja neue Monster hinbauen.

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