Verkehrswende Ohne Ladestationen wird's schwierig: Stromlos in die Elektromobilität

27. Juni 2022, 19:23 Uhr

Das EU-Parlament hat beschlossen, ab 2035 in Europa keine Autos mit Verbrennungsmotor mehr zuzulassen. Die Kritik unter anderem aus Deutschland ist groß. Unabhängig von dieser Debatte steht fest, dass die Elektromobilität in Zukunft eine größere Rolle als bisher spielen wird. Was in Brüssel oder Berlin beschlossen wird, muss aber vor Ort umgesetzt werden. In Magdeburg erkennt unser Autor noch viele Probleme.

Portrait-Bild von Uli Wittstock
Bildrechte: Uli Wittstock/Matthias Piekacz

Justus Jochen Lohmann arbeitet in Magdeburg als Architekt. Ein großer Teil der Kunden des kleinen Büros finden sich in der Region. Nahezu täglich ist er unterwegs zu Kunden, zu Baustellen oder auch zu Baufirmen und Handwerkern. Weil das mit dem öffentlichen Nahverkehr kaum möglich ist, ist er seit drei Jahrzehnten mit Dienstautos unterwegs.

Unlängst stand wieder einmal die Neuanschaffung eines solchen Kleinwagens an und Architekt Lohmann wäre gern auf ein Elektrofahrzeug umgestiegen. Doch es wurde erneut ein Verbrenner, denn in seiner Lebens- und Arbeitssituation war der Umstieg auf E-Mobilität schwer möglich: "Wir wohnen hier in einer Straße, in der es weit und breit keine Ladestation gibt. Das heißt, wir müssten irgendwo in der Stadt parken. Oder wir hängen ein Verlängerungskabel aus dem Fenster, was natürlich Quatsch ist."

Streit um Zuständigkeit für Ladesäulen

Den Strom in der Stadt zu verteilen, ist Aufgabe der Städtischen Werke Magdeburg (SWM). Der Sprecher der Geschäftsführung, Thomas Pietsch, kann vom neuen SWM Gebäude weit über die Innenstadt blicken. Einen gewissen Weitblick beweist Pietsch auch bei der Elektromobilität, denn er sagt, er sei seit fünf Jahren mit einem Elektromobil unterwegs.

Doch beim Thema Ladestationen zeigt sich Pietsch überraschend zurückhaltend: "Das ist nicht zwangsläufig unser Geschäft. Wir beteiligen uns ein Stück weit mit der öffentlichen Ladeinfrastruktur. Ich habe aber ganz persönlich meine Zweifel, ob das so der richtige Weg ist." Ladeinfrastruktur müsse an den ruhenden Verkehr angebunden werden, also vor Wohngebäude, wo Menschen die Nacht verbrächten oder an Parkplätze.

Stellplätze stellen Problem dar

Es gibt Straßen in Sachsen-Anhalts Städten, da sucht man zum Feierabend sehr lange nach einem Stellplatz und ist mitunter schon froh, überhaupt einen in Wohnortnähe zu finden. Sollte dann noch ein Stellplatz mit Elektroanschluss gesucht werden, gerät das Ganze zur Lotterie. Und damit stelle sich ein weiteres Problem, so SWM-Geschäftsführer Pietsch.

Also wenn man großes Glück hat, dann ist Platz an der Stromsäule. Doch stehe ich nachts um 1:30 Uhr auf, weil die Batterie voll ist, damit noch ein anderer laden kann? Nein, natürlich nicht.

Thomas Pietsch, Sprecher SWM

Diese Säule wäre dann die ganze Nacht belegt und jeden Parkplatz der Stadt perspektivisch mit einer Ladesäule auszustatten, hält Thomas Pietsch für illusorisch. Das würde nicht nur die städtische Elektrik, sondern auch den Stadtsäckel deutlich überfordern.

Öffentliche Ladestationen sind zu teuer

Eine normale Ladestation kostet 600 Euro – ist also keine Großinvestition. Doch das Bild ändert sich, sobald diese Ladestation eine öffentliche wird. Denn dann explodieren die Kosten, weil nämlich politisch entschieden wurde, welchen Service solche Stationen vorhalten müssen. Und das mache die Säulen teuer und unrentabel, so Thomas Pietsch.

Mittlerweile muss jede neue Säule ein EC-Terminal haben, das verlangt der Gesetzgeber. Aber das ist eine unangenehme Erfahrung, denn EC-Terminals haben eine unglaubliche Anziehungskraft auf sehr viele verspielte Kinder. Vandalismus ist also ein großes Problem.

Thomas Pietsch, Sprecher SWM

EC-System zu kompliziert

Hinzu kommt, dass die Abrechnung über das EC-System weitere Kosten verursacht und zwar ganz unabhängig, wie viel Strom überhaupt geladen wird: "Das kann sich kaum jemand vorstellen. Wenn ein Wagen zwei Stunden vor einem Einkaufszentrum steht, dann lädt der dort 20 Kilowattstunden, das sind 10 Euro. Es sind also Kleinstbeträge, und die Daten werden dann mit Riesenaufwand durch diese Republik gewälzt."

Deshalb hätten die SWM ihren Strom lange Zeit an öffentlichen Ladesäulen verschenkt, aber das ist nun nicht mehr erlaubt. Eine App würde vieles einfacher machen, so Pietsch. Allerdings ist Deutschland beim Bezahlen über App oder Handy noch immer ein Entwicklungsland, stellt unser Autor fest.

Arbeitgeber könnten Ladeinfrastrukturen schaffen

Wenn es um den ruhenden Verkehr geht, dann kommen ganz selbstverständlich auch Firmen, Verwaltungen oder Handwerksbetriebe ins Spiel. Denn die halten ja für ihre Belegschaft Parkplätze vor, die nicht unter die Auflagen für öffentliche Ladestationen fallen. Die Autos könnten parallel zur Arbeitszeit geladen werden, so Pietsch.

Aber auch die großen Vermieter wie die städtischen Wohnungsbaugesellschaften oder die Genossenschaften könnten bei der Elektromobilität eine wichtige Rolle spielen, durch die Investitionen in die Ladeinfrastruktur.

Allerdings warnt Thomas Pietsch vor strategischen Schnellschüssen, und das meint er ganz wörtlich: "Schnelllader erfordern gewaltige Investitionen. Zudem wird das Netz extrem belastet. Wenn wir das ungezügelt ausbauen, dann entstehen enorme Kosten. Am Ende landen die dann bei den Verbrauchern. Ich weiß nicht, ob wir das wollen."

Kommentar: Digitalisierung als schlechtes Vorbild?

Unser Autor meint: Bei der Versorgung mit schnellem Internet war Deutschland über viele Jahre ein Entwicklungsland und noch immer gibt es Regionen mit weißen Flecken, wo selbst der Handyempfang eingeschränkt ist. Bei der Verkehrswende könnten sich ähnliche Probleme einstellen.

Gibt man nämlich den Ausbau der Ladeinfrastruktur in private Hände, dann wird sich das zeigen, was auch schon bei der Glasfaser ein Problem war: dass nämlich die gewinnträchtigen Metropolen und Regionen zuerst versorgt werden, während der Rest des Landes dann mühsam und allmählich erschlossen wird.

Dass allerdings den Arbeitgebern in Zukunft eine wichtige Rolle bei der Elektromobilität zufällt, scheint man auch in Sachsen-Anhalts ehemaligen Verkehrsministerium begriffen zu haben, das nunmehr sich zum Ministerium für Infrastruktur und Digitales gewandelt hat.

Auf dem Hof der Behörde steht immerhin eine Ladesäule für zwei Fahrzeuge. Das würde also für die Ministerin und einen der beiden Staatssekretäre reichen. Ob dies jedoch als schwungvoller Start in die Verkehrswende gelten darf, ist zumindest fraglich.

Portrait-Bild von Uli Wittstock
Bildrechte: Uli Wittstock/Matthias Piekacz

Über den Autor Geboren ist Uli Wittstock 1962 in Lutherstadt Wittenberg, aufgewachsen in Magdeburg. Nach dem Abitur hat er einen dreijährigen Ausflug ins Herz des Proletariats unternommen: Arbeit als Stahlschmelzer im VEB Schwermaschinenbaukombinat Ernst Thälmann. Anschließend studierte er evangelische Theologie.

Nach der Wende hat er sich dem Journalismus zugewendet und ist seit 1992 beim MDR. Er schreibt regelmäßig Kolumnen und Kommentare.

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Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 27. Juni 2022 | 15:00 Uhr

45 Kommentare

Humantom am 29.06.2022

Sehr geehrter hinter dem Regenbogen ich muss hier mal widersprechen. in den 90 Jahren wurde die Infrastruktur gerade im " Osten" komplett erneuert. Wasser ,Gas, Abwasser und Strom wurden auf den stand der Technik gebracht. Aber Ihre Argumente sind es welche die Leute zweifeln lassen. Und es ist nicht die Aufgabe der Kommunen, sondern Aufgabe der Versorger.
Ich habe mir ende vorigen Jahres einen Hybrid zugelegt und die Infrastruktur auf meinem Grundstück geschaffen. Im Februar war ich das letzte mal an der Tankstelle und erst ende Juli werde ich wieder hinfahren.
Ich kenne ein kleines Dorf in Hessen (600 Einwohner) dort sind 2 öffentliche Ladesäulen des örtlichen Stromanbieters . der Ladestrom kostet genauso viel wie die Grundversorgung 36Cent/kw. Ich wohne in einer Stadt mit 30 tausend Einwohnern und 3 Ladesäulen. Jetzt beschäftigt man sich mit dem Ausbau, langsam redet man drüber. Bei der Einführung der Eisenbahn wurden Frauen gewarnt, die schnelle Luft ist tödlich.

hinter-dem-Regenbogen am 29.06.2022

Nicht der Gesetzgeber, sondern die Kommunen sind an der Reihe zu handeln. Zunächst müssen ganze Städte in Deutschland mit neuen Erdkabel umgerüstet werden.

Wir haben in der Physik gelernt - Wenn der Strom infolge einer ansteigenden Last in einem elektrischen Kreislauf anschwillt, dann muß der Querschnitt des Leitungsmaterial auch angepasst werden.

Ich glaube, im Osten sind noch sehr viele Kommunen mit Aluminiumleitungen ausgestattet - insbesondere die Neubaugebiete, welche inzwischen schon zur Altbausubstanz hinzugerechnet werden können.

Bislang machen schon in den Gebäuden die 18KW/h Durchlauferhitzer Probleme. Deshalb müssen diese auch bei der Erstinstallation beim örtlichen Energieversorger angemeldet werden.

hinter-dem-Regenbogen am 29.06.2022

@Humantom ___""einfach machen" . . .

Wenn die Dinge so einfach wären, dann wären sie auch bereits gemacht.
Das Problim sind nämlich weniger das Geld und die Säule mit der Steckdose.

Vielmehr ist es das dicke Erdkabel aus Kupfer, welches in seinem Querschnitt bislang auf die realen Bedürfnisse der Kommunen ausgelegt wurden .
Nun soll der Stromverbrauch verdreichfacht, in den Ballungszentrem noch um ein Weiteres erhöht werden. was gleichwohl bedeutet, dass sämtliche Erdkabel in den Städten und Gemeinden vorab angepasst werden müssen. Und das ist nun mal die Aufgabe der Kommunen, welche dann die millionenteueren Kupferkabel ersteinmal in die Erde bringen müssen.
Man bedenke, was GRün wohl nicht wissen kann, weil Freitags die Schule geschwänzt,
dass wenn man die allgemeine Mobilitätät elektrifizieren will, dass dann auch der Bedarf an elektrischer Energie , der Strombedarf ansteigt und folglich also auch der Bedarf an Leitungskapazität und der Bedarf an millionen Tonnen Kupfer.

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