Russland Warum der ukrainische Präsident eine russische TV-Show moderiert

03. Mai 2019, 08:00 Uhr

Wolodymyr Selenskij ist auch in Russland ein beliebter TV-Star. Ab heute will der russische Fernsehsender NTW Quote mit ihm machen. Dafür zaubert NTW eine alte, nie ausgestrahlte Magie-Show aus dem Hut. Will Russland so an der Autorität des neuen ukrainischen Präsidenten kratzen?

Selenskij TV-Show
"Selenskij wird eine Sendung auf NTW moderieren", heißt es in einem Trailer auf der Webseite des russischen TV-Senders NTW. Bildrechte: NTW

Der russische Privatsender NTW hat schon so manchen vermeintlichen Coup gelandet. Mal hat der Sender einen angeblichen Umsturzversuch der Opposition gegen Wladimir Putin aufgedeckt, dann wiederum wollen seine Reporter eine Porno-Sekte ausfindig gemacht haben, die alleinerziehende Mütter in Moskau jagt. Doch eine Sendung mit dem gewählten Präsidenten des zweitgrößten europäischen Landes - das ist selbst für die Sensationsprofis von NTW ein ganz großer Fisch.

Niemand geringerer als der frisch gewählte Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskij, werde schon ab Freitag eine Sendung auf dem russischen Kanal moderieren: Vor wenigen Tagen sorgte diese rätselhafte Ankündigung für Wirbel im russischen Medienbetrieb. Es geht um Magie, erfährt man in einem Trailer. "Der kürzlich gewählte Präsident der Ukraine wusste gute Tricks schon immer zu schätzen", erklärt die tiefe Männerstimme auf dem Off. Dann ist tatsächlich der 41-jährige Politiker auf dem Bildschirm zu sehen, der mit einem Dollarschein hantiert, als wolle er ihn verschwinden lassen.

Selenskij TV-Show
Ausgestrahlt wird die Show "Magie" ab 3. Mai. Bildrechte: NTW

Alter Wein in neuen Schläuchen

Tatsächlich handelt es sich natürlich nicht um eine neue Produktion, auch wenn sich die Fernsehmacher von NTW alle Mühe geben, es auf den ersten Blick so aussehen zu lassen. Schon das Gesicht des jugendlich wirkenden Selenskij verrät es. In Wirklichkeit geht es um eine Sendung, die bereits vor acht Jahren produziert, jedoch nie ausgestrahlt wurde, heißt es aus der Zentrale des Moskauer Senders. Die Produktionsfirma YT Media hatte die Show damals für den Staatssender Rossija 1 gedreht. Der Plot ist denkbar unpolitisch: bekannte Stars lernen das Handwerk eines Illusionisten und zeigen die Tricks anschließend einer Jury, die Noten vergibt.

Selenskij TV-Show
Als Selenskij vor acht Jahren Zaubertricks vorführte, ahnte er sicher noch nicht, dass er einst Präsident der Ukraine sein würde. Bildrechte: NTW

Virtueller Schlagabtausch

Heute, gut sieben Jahre später, bekommt die Sendung plötzlich eine politische Dimension. Die Ausstrahlung sei ein Versuch, den neuen Präsidenten der Ukraine zu ärgern, sind sich die  politischen Analysten der russischen Hauptstadt sicher. Zumal Putin und Selenskij sich bereits seit Tagen einen virtuellen Schlagabtausch liefern. Während Putin nur wenige Tage nach Selenskijs Wahl die Einbürgerung von Ukrainern aus den umkämpften Gebieten im Osten des Nachbarlandes radikal vereinfacht hatte, holte Selenskij zum Konter aus. Auf Facebook schrieb der Politik-Newcomer, er halte es nicht für wahrscheinlich, dass viele Ukrainer Putins Angebot annehmen würden. Vielmehr wolle die Ukraine jenen Russen, die  unter dem "korrupten und autoritären Regime" zu leiden hätten, den ukrainischen Pass anbieten.

Schon am Wahlabend hatte Selenskij die Menschen in anderen Ländern der ehemaligen Sowjetunion dazu aufgefordert, sich ein Beispiel an der Demokratie in der Ukraine zu nehmen. Später bekräftigte er seine Worte noch einmal. Genau das dürfte jedoch in Moskau mit Nervosität registriert werden. "Die Menschen in Russland glauben nicht daran, dass ein Staatsoberhaupt einfach so ausgetauscht werden kann. Die Ukraine beweist nun das Gegenteil", meint etwa der russische Politologe Abbas Gallyamov. Das Beispiel der Ukraine sei dabei bei weitem nicht so fern und abstrakt, wie das der westlichen Demokratien.

Wolodymyr Selenskyj
Wenn Russlands Präsident Putin stänkert, stänkert Selenskij gekonnt zurück. Bildrechte: imago images / ZUMA Press


Selenskij bei Russen beliebt

Vor allem in den kremlkritischen Kreisen sind Selenskijs Äußerungen gegenüber Putin teils mit Begeisterung aufgenommen worden. Hinzu kommt, dass Selenskij auch in Russland ein bekannter, und bei den einfachen Russen durchaus beliebter TV-Star ist. In einer Umfrage des staatlichen russischen Markt- und Meinungsforschungsinstituts WZIOM haben sich mehr als 30 Prozent der Russen für Selenskij als neuen Präsidenten ausgesprochen, in der Hoffnung auf ein Tauwetter zwischen beiden Ländern. Besonders aus dem Showgeschäft, wo Selenskij noch viele Verbindungen aus alten Tagen hat, als er noch russische TV-Shows moderierte und in zahlreichen Komödie spielte, kamen viele Glückwünsche und Vorschusslorbeeren. Der bekannte russische Rocksänger Andrej Makarewitsch schrieb in seinem Facebook-Account, dass Selenskij von den Machthabern in Russland und der Ukraine gehasst werde, weil er gezeigt habe, dass "jeder beliebige Spaßvogel aus dem Nichts heraus 70 Prozent holen kann".

NTW – "Kettenhund des Kremls"

Nun, so scheint es, versucht der Kreml die frisch gewonnene Autorität des neuen ukrainischen Präsidenten und die Tauwetter-Hoffnungen zu begraben. Den Präsidenten wieder zum einfachen TV-Moderator zu machen, kommt dem Kreml gerade recht. Zwar gibt es keine Hinweise darauf, dass der Kreml die Entscheidung des Senders mitbestimmt hat. Dennoch ist NTW nicht gerade für seine Unabhängigkeit bekannt. Der Kanal ist Teil des staatlichen Gazprom-Imperiums. Einen erheblichen Anteil der Aktien kontrolliert russischen Medienberichten zufolge der kremlnahe Oligarch Juri Kowaltschuk. Immer wieder fällt der Sender als "politischer Kettenhund" des Kremls auf: So belauern Journalisten des Senders gerne russische Oppositionelle in der Nähe der US-Botschaft. 2010 strahlte NTW einen kurzfristig produzierten Schmähfilm auf den weißrussischen Diktator Aleksander Lukaschenko aus, als sich eine neuerliche Krise zwischen Minsk und Moskau anbahnte.

Die Co-Moderatorin war in Ungnade gefallen

Zu den Gründen, warum die ursprünglich für den staatlichen Fernsehkanal Rossija produzierte TV- Show mit Selenskij nicht schon früher ausgestrahlt wurde, macht NTW keine Angaben. In der Medienbranche hält sich hartnäckig das Gerücht, dass die Co-Moderatorin von Selenskij, Tatjana Lazarewa, der Grund gewesen sei, warum die Show auf Eis gelegt wurde. Während des Protestwinters nach der Dumawahl im Dezember 2011, als Zehntausende Russen gegen die von vielen als fingiert empfundenen Ergebnisse der Parlamentswahlen auf die Straße gegangen waren, hatten Lazarewa und ihr Mann Michail Schaz, ebenfalls ein bekannter TV-Star, zu den bekanntesten Gesichtern der Opposition gehört. 2012 waren sie Mitglieder im sogenannten Koordinationsrat der russischen Opposition. Seit dieser Zeit hatte Lazarewa keine größeren TV-Auftritte mehr. Später erklärte sie, ihr politisches Engagement habe sie den Job beim Fernsehen gekostet. 


Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im TV: 21.04.2019 | 19:30 Uhr

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