Episoden-Cover "Akte: Raubkunst? Afghanistan" 49 min
Bildrechte: ARD Kultur / Good Point Podcasts
49 min

Bei einer Auktion in Paris ersteigert das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe eine Wandtafel aus Afghanistan – und stellt kurz darauf fest: Es ist Raubgut, gestohlen in den Kriegszuständen ab 1978.

ARD Audio Do 11.08.2022 00:02Uhr 49:11 min

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Akte: Raubkunst? | Episode 2

Afghanistan – Raub in Kriegszeiten

(Musik spannungsvoll)

Moshtari Hilal: Also solange ein Land kriegerischen Konflikten ausgesetzt ist, ist es sehr einfach zu stehlen. Es ist sehr einfach zu schmuggeln.

Männl. Stimme You know, I think what was distinct about this case is that it was very much a real criminal case. ( Was ich an diesem Fall besonders finde: das ist ein echter Kriminalfall )

Weibl Stimme Das ist ein Verbrechen. Das ist Hehlerei. Wer mit Raubkunst wissentlich handelt, ist Hehler und macht sich strafbar.

(Musikbett durchlaufen)

Von der sowjetischen Besatzung bis zur Machtübernahme der Taliban, die Museen Afghanistans wurden geplündert, ausgeraubt und zerstört. Mehr als zwei Drittel der Museumsbestände sind aus dem Land verschwunden - und viele davon sind auf dem illegalen Kunstmarkt gelandet. Seit 1970 gibt es eine UNESCO -Konvention, die den illegalen Handel verhindern soll und auch einen Anspruch auf Rückgabe formuliert - und in den letzten Jahren wächst ja auch bei uns das Bewusstsein dafür, wie problematisch Raubkunst ist. Da würde ich erst mal naiv denken: das kauft doch niemand mehr. Naja, falsch gedacht: Auch heute noch wird mit illegalen Raubgütern gehandelt. Und diese Deals spielen sich nicht nur auf dem illegalen Markt ab sondern auch in angesehenen Auktionshäusern und Museen. Wie kann das sein, dass noch heute gestohlene Kulturgüter aus Kriegsgebieten in europäischen  Museen landen?

MUSIK INTRO

Mein Name ist Helen Fares und ihr hört  “Akte Raubkunst?”. Den Podcast, in dem wir die Geschichte von Objekten in deutschen Museen erzählen, die eigentlich nicht hier sein sollten. Dieses Mal erzähle ich die Geschichte zusammen mit Moshtari Hilal, sie habt ihr am Anfang schon gehört. Sie ist afghanisch-deutsche Künstlerin und Kuratorin. Über sie sind wir überhaupt erst auf das Objekt gekommen, um dass es in dieser Episode gehen wird. Denn vor ein paar Jahren hat sie die Raubgeschichte des Objekts illustriert. Für diese Folge hat sie als Co-Autorin mit recherchiert und sich auf Spurensuche nach einem Paneel aus Afghanistan gemacht, das bis vor wenigen Jahren noch in einem Hamburger Museum stand.

Ein Hinweis vorab: in dieser Folge thematisieren wir Krieg und Flucht

MUSIK BREAK

Geräusche Bahnhof

Helen Fares: Ich bin jetzt hier ganz in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs beim Museum angelangt. Ja, das Wetter ist nicht so schön, so wie man das von Hamburg erwarten würde.

Es ist Mittwoch Vormittag. Auf der großen Wiese sitzen viele Menschen vor einer Drogenberatungsstelle, während die ersten Besucher:innen das Museum betreten.

Moshtari wartet beim Museumseingang auf mich - sie kennt sich hier schon ein bisschen aus.

(Geräusche Treppe steigen)

Wir sind mit Dr. Silke Reuther verabredet. Sie ist verantwortlich für die Provenienzforschung am Haus, beschäftigt sich also mit der Herkunft der Museumsobjekte.

Silke Reuther: Hallo

Helen Fares: Hallo. Guten Tag. Ich bin Helen Fares.

Moshtari Hilal: Hallo - ich bin Moshtari Hilal.

Gudrun Herz: Hallo ja. Schön, dass es klappt.

Silke Reuther: Wo wollen wir hin?

Wir wollen in die Sammlung der sogenannten islamischen Kunst. Den Bahnhofslärm hört man im ganzen Museum. Silke Reuther führt uns hoch ins erste Obergeschoss.

(Schritte im Ausstellungsraum)

Der fensterlose Raum ist dunkel. In der Mitte befindet sich eine Vitrine, sie beleuchtet ausgestellte Vasen und Gläser. Insgesamt wirkt die Umgebung kahl. Die hellen, hohen Wände sind wenig behangen: Ein paar Arbeiten aus Metall, verschiedene Raumdekorationen, antike Bildnisse.  Und auf einer Seite befinden sich Steintafeln:

Silke Reuther: Wir stehen jetzt in dem Segment, wo es auch um Schrift geht. Und hier sind mehrere Bruchstücke von Wandpaneelen, die auch aus unterschiedlichen Regionen kommen, die einfach an dieser Stelle dann auch noch mal so veranschaulichen, wie mit Schrift umgegangen wurde.

Helen Fares: Nun stehen wir hier gerade vor drei Platten und einem Foto, was ist auf diesem Foto zu sehen?

Silke Reuther: Das Foto zeigt ein Paneel aus Afghanistan, aus dem Palast des Königs Masud, dem dritten in Ghazni in Afghanistan. und es sind dort eben einzelne Zeilen zu lesen. Aber dazu kann ich Ihnen nicht sagen, was da im Einzelnen steht.

MUSIK BREAK

(Geräusche Stadt Straßen Paris)

Das 9. Arrondissement in Paris. Die Sonne scheint und die ersten Menschen tummeln schon vor dem Auktionshaus - Es gehört zu den ältesten der Welt.

(man hört Menschen, auf französisch reden)

Montagmorgen öffnen die Türen und direkt drängen sich Besucher:innen durch den gläsernen Eingang hoch in die Ausstellungs- und Verkaufsräume.

Im Saal 7 gibt es heute eine Auktion zu Kunst aus Afrika und Asien - so heißt es auf der Webseite. Der Blick in den Auktionskatalog hinterlässt einen anderen Eindruck: Neben Holzmasken und Statuen sind Postkarten und Reiseberichte aus der Kolonialzeit dargestellt. Ein komisches Gefühl überkommt mich bei vielen der Fotografien. Menschen sind darauf wie exotische Schauobjekte abgebildet. Kongo, Tschad, Kamerun - lauter afrikanische Ländernamen sind aufgelistet. Aber es wird nicht klar, wo die einzelnen Aufnahmen wirklich entstanden sind.

Mann: Alors Mesdames, Messieurs, bonjour! La vente va commencer aux conditions habituelles….

Ein Mann begrüßt das Publikum -  vor allem weiße, ältere Männer von denen sich einige zu kennen scheinen. Sie begrüßen sich, plaudern miteinander.

Über hundert Auktionslose stehen für die erste Stunde an - die darunter zu versteigernden Bücher, Bilder und Postkarten sind schon vorne im Raum aufgestapelt. Die Auktionatorin beginnt mit dem ersten Los: Manuskripte und Karten aus Kongo für 400 Euro.

Auktionatorin: .. Et 7 cartes manuscrits et une entoulée du Congo. Et pour cet ensemble, nous avons commencé à 400. Voilà. Ohlalala 600 800 900…

So ähnlich könnte es sich angehört haben, als im November 2013 das Mamorpaneel in einem Pariser Auktionshaus für 35 000 Euro an das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe geht. Eine Fotografie zeigt es ausgestellt inmitten von Kunstwerken auf einem schwarzen Podest.

Silke Reuther: Und da ist es halt die Entscheidung gewesen, hier des Hauses, dieses Paneel für die dann im Aufbau befindliche Neupräsentation der Sammlung Islamische Kunst dann zu erwerben, weil es eben auch einfach so eine schöne Ergänzung gewesen wäre. Zu den Paneelen und Marmorarbeiten ähnlichen Zuschnitts zum Thema Schrift und Dekor, die wir hier im Haus haben.

Das Objekt wird also ersteigert und landet im Hamburger Museum. Und da kommt Stefan Heidemann ins Spiel. Professor für Islamwissenschaft an der Universität Hamburg. 2014 kontaktiert ihn die damalige Kuratorin Nora von Achenbach, nachdem sie das Paneel für die islamische Kunst Sammlung erworben hat. Sie will seine Einschätzung dazu hören, denn das Paneel soll das Highlight der neuen Ausstellung werden.

Heidemann: ich schaute darauf und es sah aus wie ein Museumsstück. Genau das Richtige, um den Besucher des Museums für Kunst und Gewerbe auf die islamische Kunst einzustimmen. Von daher wirklich ein ganz vorzügliches Stück. Aber mir erschien gleich der Gedanke, dass ein Stück von so hervorragender Qualität kann nicht irgendwie auf Auktionen kommen. Da muss irgendetwas sein.

Er kontaktiert seine Kollegin Martina Rugiadi aus dem Metropolitan Museum of Art in New York.

Heidemann: Ich wusste, sie hatte ihre Dissertation  [...] über Marmor Paneele aus Ghazni aus Afghanistan geschrieben, und ich war mir sicher, sie könnte mir irgendetwas dazu sagen. [...] Sie sagte: Ja, das kennt sie. Das Kind hat auch einen Namen. Das heißt C3733.

C3733. Eine Signatur, die darauf hindeutet, dass das Paneel katalogisiert war, jemandem gehörte. Martina Rugiadi bestätigt also Professor Heidemanns Vermutung. In ihrer 2007 veröffentlichte Dissertation an der Universität “L’Orientale” in Neapel schreibt Rugiadi über eine Ausgrabung in Ghazni. Ungefähr 130 km Luftlinie von Kabul entfernt, finden dort zwischen 1957 und 1966 Afghanische und italienische Wissenschaftler*innen tausende Objekte. Darunter auch das in Paris ersteigerte Marmorpaneel. Es landet mit anderen Funden im frisch restaurierten Mausoleum in Ghazni - dem Rawza Museum of Islamic Art. Doch nicht für lange Zeit.

(Geräusche Bomben, Beschuss)

1979 marschiert die Sowjetarmee in Afghanistan ein. Auch die Provinz Ghazni ist von Gefechten und Zerstörung betroffen. Die Museumsstücke werden zum Schutz in ein Kunstlager oder in das Nationalmuseum in Kabul untergebracht. Und das Rawza Museum of Islamic Art muss schließen. Doch wie kommt das Paneel mit der Nummer C3733 außer Landes? Das fragen wir die Provenienzforscherin Silke Reuther:

Silke Reuther: Wie genau der Abtransport stattgefunden hat, das weiß man nicht. Darüber gibt es keine Informationen. Aber Tatsache ist, dass eben eine ganze Reihe von diesen Paneelen in dieser Zeitspanne verloren gegangen sind und man auch, wenn man sie vergleicht, feststellen kann, dass sie eben auch alle zusammengehören.

Zu Beginn der 2000er Jahre macht ein Team an italienischen Wissenschafter:innen eine Art Inventur in Afghanistan: Sie gleichen die vorhandenen Grabungsfunde aus dem Palast von Mas’ud III mit den alten Inventarlisten ab - das Ergebnis ist erschütternd: Rund ein Drittel fehlt. Der Verbleib von 206 Kunstgegenstände gilt als ungeklärt - darunter auch das Mamorpaneel.

Nora von Achenbach leitet die Informationen an die damalige Museumsdirektorin Sabine Schulze weiter. Bei dem Neuerwerb besteht ein dringender Verdacht. Zeit vergeht, denn gerade steht ein Großprojekt an: Die Provenienz der eigenen Bestände aufdecken und öffentlich machen. 

Heidemann: Es ist eine Ironie. Am zwölften September 2014 eröffnete dasselbe Museum für Kunst und Gewerbe die Ausstellung Raubkunst Provenienzforschung zu den Sammlungen des Museums für Kunst und Gewerbe.

Im Zentrum der Ausstellung im Museumsfoyer stehen zu dem Zeitpunkt Objekte aus jüdischem Besitz, geraubt von den Nazis. Aber auch andere Kulturgegenstände sind ausgestellt -  wie antike Gläser aus Syrien, die im 19. Jahrhundert beim Bau der Eisenbahn ausgegraben und in Deutschland verkauft wurden. In dieser Ausstellung hinterfragt das Museum den Umgang mit Kulturgut unterschiedlicher Herkunft. Welchen Wert, welche Funktion hatten diese Gegenstände, bevor sie in europäischen Museen landeten? Und in welchem Kontext wurden sie erworben?

Während sich das Museum kritisch mit Teilen der eigenen Kollektion beschäftigt, von der Presse als Vorreiter der Provenienzforschung gefeiert wird - da lagert im Museumsdepot ein frisch erworbenes neues Raubgut - das Mamorpaneel aus Ghazni.

Heidemann: Das ist ein Prestigeverlust. An der Speerspitze des Kampfes gegen Raubkunst zu sein und gleichzeitig eine Leiche im Keller zu besitzen. Das passt nicht ganz gut zusammen.

Zur erneuten Kontaktaufnahme mit Professor Heidemann und der Museumsdirektorin Sabine Schulze kommt es schließlich dann doch:

Heidemann:  Ihr war auch von Anfang an klar, dass das Objekt zurückgebracht werden muss.

Stefan Heidemann möchte das Museum beim Rückgabeprozess unterstützen. Er baut eine Verbindung zwischen dem Museum und dem damaligen Direktor des Nationalmuseums in Kabul auf. Kontaktiert einen afghanischen Vertreter der UNESCO, um diplomatisch zu vermitteln…

Heidemann: Das Museum für Kunst und Gewerbe wollte allerdings über die Ämter gehen und das zog sich eben dann hin, so dass ich auch sehr unzufrieden war. von 2014 [...] bis 2018. Das sind vier Jahre.

Erst 2018 kommt der Rückgabeprozess also richtig ins rollen.

In dem Jahr fängt auch Tobias Möricke als neuer Leiter der Sammlung Islam am Hamburger Museum an. Er kontaktiert Matthieu Aikins - einen New Yorker Journalisten, der seit Jahren regelmäßig nach Afghanistan reist und über das Land berichtet. Vielleicht könne er als Investigativjournalist das Rätsel um das Mamorpaneel aufdecken.

Matt Aikins: I first became aware of the panel when I received an email from a curator in Hamburg to Tobias Möricke. And he had read some of my work on Afghanistan, some of the stuff I'd written about smugglers. And he thought that maybe I could help him shed some light on the mystery of this Afghan panel, which had clearly been stolen from the Afghan government's collection. [...] So I got this email from him and thought, this is an interesting story, being an investigative journalist. So eventually I flew to Hamburg to have a look for myself.

O.V. Ich hörte zum ersten Mal von dem Paneel, als ich eine Email von Tobias Möricke, Kurator in Hamburg, bekam. Er hatte gelesen, was ich über Afghanistan und Schmuggler dort geschrieben hatte, und deshalb dachte er ich könnte vielleicht helfen Licht ins Dunkel zu bringen bei dem afghanischen Paneel, das aus einer staatlichen afghanischen Sammlung gestohlen wurde. Ich als investigativer Journalist dachte ich als diese Email kam: interessante Geschichte. Und flog nach Hamburg um mir das anzuschauen.

Matthieu Aikins stellt sich der Aufgabe - er besucht das Museum, sieht sich das Paneel an und reist nach New York zurück. Dort sucht er nach Quellen, um die Reise des Paneels nachzuvollziehen.

Matt Aikins: One of the things I wanted to do is sort of look at the patterns of how these panels were moving. And it was something that involved a lot of time spent in the library at the Metropolitan Museum of Art. And the Watson Library has this huge collection of auction catalogs going back decades. And so I spent a lot of time looking through catalogs, searching for panels, and trying to match them with this amazing database of ghaznavid artifacts that was assembled from the Italian archeological archives by a team of researchers, including Martina Rugiadi [...] So there were a lot of dots and I was just trying to connect them.

O.V. Ich wollte unter anderem herausfinden, in welchen Mustern sich diese Paneele bewegen. Ich verbrachte viel Zeit in der Bibliothek des Metropolitan Museum of Art. Und die Watson Library hat diese riesige Sammlung an alten Auktionskatalogen. Die habe ich also nach Paneelen durchsucht, und hab sie mit der fantastischen Datenbank für Ghazni Artefakte abgeglichen, die das italienischen archäologischen Archiv mit einem Team, unter anderem Martina Rugiadi, zusammengetragen hat. [...] Ich hab also versucht viele Punkte zu verbinden.

Eine Gruppe an italienischen Forschenden, darunter auch Martina Rugiadi, wollen das gefährdete Kulturerbe aus Afghanistan schützen und Informationen darüber weiterverbreiten - so heißt es auf der Webseite der Datenbank. Ein wichtiges Instrument gegen den Handel mit Raubkunst aus Afghanistan. Im Rahmen dieses Ghazni-Projekt sind über 4000 Objekte aus islamischer Zeit dokumentiert, wie zahlreiche Marmorstücke. Darunter “Dado panels”, das sind aus dem Englischen übersetzt Tafeln des Lambris, die also zum unteren Teil einer Wandverkleidung gehören.

Matt Aikins: One of the interesting things about these panels is that they're epigraphic, and so they're very easy to trace if you have photographs because the writing is unique to each of them.

O.V. Eine Sache die so interessant ist an diesen Paneelen ist, dass sie epigraphisch sind, also dass sie eine Inschrift haben. Und dadurch kann man sie leicht auffinden, weil jedes eine einzigartige Inschrift hat.

Und was da nun wirklich drauf steht, will ich unbedingt wissen, weil man uns dazu im Museum nichts sagen konnte.

Wir schauen also in der Datenbank nach und finden unser Paneel mit der Inventarnummer C3733 ganz einfach online aufrufbar. Eine schwarz-weiß Frontal-Abbildung wird angezeigt. Weitere Fotos bilden das Paneel bei der Ausgrabung ab: Eingebettet in einer Wand oder auch liegend neben anderen  Marmortafeln.

Männl Stimme: Material: Marmor. Dimensionen: Flachrelief, 69,5x43x6 cm. Datierung: Ende 11. - Anfang 12. Jahrhundert.

Es ist eins von hunderten Einzelpaneelen, die einen Schmuckfries am Hofpalast des Sultan Mas'ud III. dekorierten. Er herrschte über das indo-iranische Reich der Ghaznawiden. Die Region breitete sich weit über das heutige Afghanistan bis nach Indien aus. Damals war das Paneel noch bemalt. Heute ist nur noch der helle Stein übrig..

Auf dem Paneel steht die Zeile in kufischer Schrift - das ist einer der ersten kalligraphischen Schriftstile. Eine Übersetzung steht in der Online-Datenbank auch dabei: “und die untere Welt”. Es handelt sich um einen Ausschnitt persischer Dichtung.

MUSIKBREAK

Mit Hilfe der Online-Datenbank lassen sich die Ausgrabungsobjekte aus Ghazni heute also leicht finden und überprüfen. 2013, als das Pariser Auktionshaus das Paneel versteigerte, war die Recherche mit ein bisschen mehr Aufwand verbunden. Doch es gab auch schon damals Forschungsberichte zur Ausgrabung in Ghazni - wie die Dissertation von Martina Rugiadi. Und auch ganz konkrete Hinweise zu dem verschwundenen Objekt C3733. Bereits 2005 erschien ein Aufsatz mit einem abgedruckten Foto, das zweifelsfrei das Paneel zeigt. Die Muster, die Inschrift, selbst der signifikante Riss im Marmor sind gut zu erkennen. Auch weitere Forschungsergebnisse und die Grabungsfotos waren damals in einer Datenbank zusammengeführt. Fachinformation, die ein Pariser Experte, der für das Auktionshaus arbeitete, anscheinend übersah.

Männl Stimme: Seit über 20 Jahren begeistert für die Kunst des Orients und insbesondere für die Kunst des Islams und Indiens.

So heißt es auf seiner Webseite. Im Auktionskatalog erwähnt er jedoch in keinem Satz, dass das Objekt unrechtens nach Europa kam. Dort sind verwandte Marmortafeln aufgelistet, die auf der Welt verstreut sind: Im Brooklyn Museum in New York, im San Francisco Museum of Asian Art oder auch in Paris direkt - im Institut du Monde Arabe. Und auch ein paar Literaturhinweise sind ausgeführt.

Matthieu Aikins: If you look in the notes cited in the catalogue where the for the marble they cite the Italian archeological excavations. So that would mean that in theory they would have had all the information that they needed to know that the panel was probably stolen.

O.V. Wenn man auf die Verweise im Katalog schaut, wo zum Beispiel die italienische Forschung erwähnt wird, sollte man doch denken, dass sie alle Informationen hatten um zu wissen, dass das Panel vermutlich gestohlen wurde.

Und was mich noch mehr wundert: Beim Punkt Provenienz, also Herkunft, ist eine französische Privatsammlung angegeben. Dazu wollten wir mehr wissen und haben dem Kunstexperten geschrieben:

Weibl Stimme: Woher hatten Sie die Information, dass das Marmorpaneel aus einer französischen Privatsammlung stammt?

Die Anfrage blieb unbeantwortet - auch nachdem wir in seinem Büro angerufen haben - keine Rückmeldung.  Ganz ähnlich verlief das beim Auktionshaus, das wir mit der selben Fragen schriftlich konfrontiert haben.

Fassen wir also nochmal kurz zusammen: November 2013 - das Pariser Auktionshaus plant eine Auktion mit dem Namen “Archélogie - Arts D’Orients” also “Archäologie” und Kunstobjekte aus dem sogenannten “Orient”. Wieder einmal einen super passenden Oberbegriff gefunden, um Objekte aus verschiedensten Kulturen undifferenziert über einen Kamm zu scheren: Eine Statuette aus Ägypten, Bronzen aus Iran, Porzellan aus China und vieles mehr. Und inmitten der Katalogseiten - das Marmorpaneel aus Ghazni. Aikins sagt,  Martina Rugiadi sei genau auf diese Seite aufmerksam geworden.

Matthieu Aikins: So Martina sent an email saying that they have a panel for sale on this auction. It matches this one in the catalog. Therefore it must be stolen.

O.V. Martina hat also eine Mail geschickt, in der stand, dass sie ein Panel zur Auktion anbieten, dass mit einem aus ihrem Katalog übereinstimmt, und das deshalb gestohlen sein muss.

Sie habe das Auktionshaus gewarnt, dass es sich bei dem Paneel vermutlich um Raubgut handele.

Matthieu Aikins: The auction house was in receipt of this email that, you know, would have been a huge red flag to anyone.

O.V. Das Auktionshaus hat die Mail erhalten - da hätten doch bei jedem die Alarmglocken läuten müssen.

Nicht beim Auktionshaus…

Matthieu Aikins: The auction house, one of the founders of whom was convicted in a criminal case involving art.

O.V. Das Auktionshaus, dessen einer Gründer für eine Straftat verurteilt wurde, wo es um Kunst ging.

2009 erschüttert ein Skandal das Auktionshaus, in dem das Paneel versteigert wurde. Die sogenannten „col rouge“ – die Lagerarbeiter:innen mit roten Kragen - haben jahrelang Tonnen an geraubten Gegenständen beiseite geschafft und mit dem Verkauf, der Hehlerei, Millionen verdient. Einige Jahre später stehen viele vor Gericht, auch Auktionatoren sind angeklagt. Haftstrafen fallen, für manche Akteure fällt es milder aus mit Bewährungs- und Geldstrafe.

Der Auktionator des afghanischen Paneels steigt 2012 in das vorbelastete Familienunternehmen ein. Nach Matthieu Aikins Recherchen kommt die Warnung von Martina Rugiadi zum gestohlenen Paneel bei ihm an, er habe ihr sogar geantwortet.

Weibl Stimme: Obwohl Sie Martina Rugiadi nach weiteren Informationen gebeten haben, schickten Sie die Tafel nach Hamburg, ohne dem Museum mitzuteilen, dass sie gestohlen worden war. Wie rechtfertigen Sie diese Entscheidung?

Unsere Mailanfrage bleibt bis zum Ende der Produktion dieses Podcasts unbeantwortet.

Silke Reuther: Ich habe mit denen dann auch noch mal korrespondiert und habe auch nur ausweichende Antworten bekommen. Das wäre alles unbedenklich und alles sicher und es würde auch einen Art Loss Register Eintrag geben oder ein Zertifikat..

Diese Überprüfung gleicht nur aktuelle Fahndungslisten ab:  Ist das   Objekt aktuell als gestohlen gemeldet, wird es gesucht? Doch eine gründliche Recherche ist das natürlich nicht.

Auch Stefan Heidemann äußert Bedenken, doch er sieht nicht nur das Auktionshaus in der Verantwortung:

Heidemann: Man dachte im Museum, man hätte die Do Diligence geleistet, dadurch, indem man im Lost Art Register nachgeschaut habe. Aber bei einem Land im Kriegszustand, wo eben auch viele Spezialisten, Wissenschaftler geflohen sind und wo das Land bemüht ist, die Strukturen und Institutionen aufrecht und funktionabel zu halten, ist es nicht zu erwarten, dass jedes Kunstwerk, was aus einem Provinz-Museum entwendet wurde, seit der russischen Okkupation auch da registriert wird. Diese Manpower hat Afghanistan auch gar nicht.

Mittlerweile erscheint es mir immer absurder, gar dreister, dass es überhaupt zu einem Verkauf kommen konnte. Es gab so viele Hinweise, dennoch setzte das Auktionshaus die Versteigerung fort. Einige Abläufe lassen sich rekonstruieren, über andere müssen wir  spekulieren. Unser Verdacht: Profit spielt eine größere Rolle als kunsthistorische Integrität in dem Pariser Auktionshaus. Dieser Verdacht erhärtet sich. Silke Reuther vermutet nämlich bewusste Dokumentenfälschung:

Silke Reuther: im Auktionshauskatalog, in dem unser Paneel oder unser ehemaliges Paneel abgebildet war, war das Foto so retuschiert, dass die Nummer nicht zu sehen gewesen ist, aber wir hier dann im Haus diese Grabungsnummer sehr wohl gesehen haben und das ist etwas, das jedes Museum für sich feststellen kann .

Für sie wirkt es als sei hier mit Vorsatz gehandelt worden

Silke Reuther: Das ist ein Verbrechen. Das ist Hehlerei. Wer mit Raubkunst wissentlich handelt, ist Hehler und macht sich strafbar. Das ist so!

MUSIKBREAK

Aber kein Angebot ohne Nachfrage - welche Verantwortung trägt das Museum, das den Kauf getätigt hat? In unseren Gesprächen will keiner so recht eine oder einen Hauptverantwortlichen nennen, obwohl laut Fakten die damalige Leiterin der Islamischen Sammlung Dr. Nora von Achenbach den Kauf tätigte. War das einfach Versagen einer Einzelperson oder ist das ein institutionelles Problem?

Silke Reuther: Also wenn wir hier Ankäufe haben, dann gibt es eine Ankaufsrunde und da kann man Vorschläge machen. Und das Museum hat gesamtheitlich gesagt, wir kaufen das Stück und das ist nicht ihre persönliche Verantwortung, sondern das war eine Entscheidung des Hauses.

Silke Reuther hätte aber beauftragt werden sollen, die Herkunft des Objekts zu überprüfen. Hätte man so den Einkauf von Raubgut verhindern können? So einfach ist das dann doch nicht meint Silke Reuther - vor allem bei Auktionen:

Silke Reuther: weil es meist nur eine ganz kurze Zeitspanne gibt. Manchmal sind es nur eine Woche, zehn Tage, wenn die Kataloge online gehen oder hier postalisch eintreffen, die man dann Zeit hat, wirklich was zu prüfen, dann kriegen sie oft keine Antworten. Manchmal wartet man jahrelang monatelang auf Antworten.

Gerade ein Museum, dass sich einen Namen in Sachen Provenienzforschung gemacht hat - will doch einen solchen Skandal vermeiden. 

Silke Reuther: Wir hätten auch als Museum rechtliche Möglichkeiten gehabt, dagegen vorzugehen. Das wäre aber eine sehr aufwendige und sehr kostspielige Angelegenheit gewesen.

Konsequenzen am Auktionshaus gibt es offenbar nicht, denn es versteigert weiterhin am selben Ort in Paris. Der Experte taucht bei einer aktuellen Auktion wieder im Katalog auf.

Das Museum konzentriert sich auf etwas anderes: Das Paneel muss zurück - das nimmt sich ja schon früh die Museumsdirektorin Sabine Schulze vor. Tulga Beyerle löst sie 2018 als neue Direktorin ab - da schläft das Mamorpaneel noch im Depot. Es kommt zu Verhandlungen zwischen dem Museum, deutschen Behörden und den Vertreter:innen der afghanischen Botschaft in Berlin. Dort lagert es dann auch noch eine ganze Weile. Bevor es 2019 nach Afghanistan zurückkehrt - ins Nationalmuseum in Kabul.

Bis dahin verbleibt genügend Zeit, um die Tafel in die damals aktuelle Ausstellung “Raubkunst?” einzubinden. Ausgestellt in einer Transportkiste. Dazu publizierte das Museum einen begleitenden Katalog. An dem wirkte auch Moshtari Hilal mit:

Moshtari: Ich glaube, ich wurde kontaktiert, weil ich aus Afghanistan bin.

Moshtaris Familie flüchtet nach Hamburg, als sie zwei Jahre alt ist. Heute lebt und arbeitet sie hier als visuelle Künstlerin und gründet 2019 das Kollektiv AVAH mit. Das steht für Afghan Visual Arts and History.

Moshtari: Weil ich im Laufe meiner Karriere gesehen habe, dass hier ein Bedarf besteht, das immer wieder an mich Institutionen, Journalistinnen herantreten, die interessiert sind an Afghanistan und [...] weil auch wir insgesamt uns auch mehr einsetzen möchten für die Netzwerkarbeit zwischen Künstlerinnen und für die Sichtbarkeit von afghanischer Kunst.

Moshtari Hilal und ihr Kollektiv sehen die afghanische materielle und visuelle Kultur in Gefahr. Das Land ist seit mehreren Jahrzehnten von Krieg und Zerstörung betroffen. Darunter leiden in allererster Linie natürlich die Menschen, aber auch die Archive, Museen und Künstler*innen und das damit verbundene kollektive Wissen leiden.

Moshtari: Und für dieses Projekt ist es natürlich noch mal interessant, auch eine afghanische diasporische Stimme einzubinden.

Helen: Woraus bestand denn deine Arbeit zu dem Paneel?

Moshtari: Silke Reuther hat mich damals bewusst auch mit diesem künstlerischen Beitrag Lücken füllen lassen, die die Forschung nicht füllen kann, weil man nicht rekonstruieren kann, was zwischen 1980 und dem Auftauchen des Paneels 2013, also was da eigentlich stattgefunden hat, was da  passiert ist. Und der künstlerische Beitrag kann diese Spekulation natürlich visualisieren und sich diese Freiheiten nehmen. Und das habe ich auch so gemacht, indem ich Spekulation visuell in Karikaturen, überspitzte Zeichnungen übersetzt habe.

Geräusch Blättern durch den Katalog

Moshtari und ich haben uns in einen ruhigen Raum im Museum zurückgezogen. Wir blättern uns durch die ersten Seiten des Katalogs und stoßen auf die schwarz-weiß Zeichnungen:

Moshtari: Ja, man sieht zwei Männer, die im Anzug sind wie Geheimagenten. Sie sind anonymisiert, weil da so ein schwarzer Balken über den Augen ist. Dann steht da Who did this. [...] Und dann sieht man einen Sammler, weil es hieß ja, das es in einer Privatsammlung ist. Ein Sammler, der eigentlich auch ein abgedunkeltes Gesicht hat mit einem großen Fragezeichen. Ein wenig sieht es ja auch aus, als hätte der wie so ein Räuber so einen, so ein Strumpf auf dem Kopf.

Der Sammler sitzt im Sessel auf einem  Bärenfell-Teppich mit Krallen. Ein Glas Whiskey zur Hand, ein Jaguar an seiner Seite. Rund um das gezeichnete Paneel sind die historischen Ereignisse illustriert - wie auf einer Mindmap

Atmo Blättern

Helen: Warum war es dir denn wichtig, auch den Krieg zu visualisieren?

Moshtari Hilal: Also bei Raubkunst hat man diese großen Kategorien Kolonialismus oder Nationalsozialismus, in dem man so konkret sagen kann, da sind Kunstwerke, Objekte abhanden gekommen, aber im Fall von Afghanistan ist es ja eigentlich sehr zeitgenössisch auch.  Also solange ein Land kriegerischen Konflikten ausgesetzt ist, ist es sehr einfach zu stehlen. Es ist sehr einfach zu schmuggeln.

An der Verletzlichkeit der einen, bereichern sich die anderen… Mit dramatischen Folgen für die afghanische Kultur. Das zeigt auch die Geschichte des Nationalmuseums in Kabul. 2012 war Moshtari Hilal dort zu Besuch und hat viele Fotos gemacht, eins zeigt sie mir:

Moshtari: Auf dem einen Foto ist ein schwarzes Plakat mit roten Warnsignalen. Da sieht man Illustrationen von Münzen und Buddha Köpfen, also Objekte die für das Museum sehr typisch sind, in so Warndreiecken. Daneben steht auf Farsi “Schützt euer Kulturelles Erbe” und unten steht ganz groß in Englisch “Afghan Culture is in Danger”.

Das Museum steht gleich neben dem Darul-Aman Palast. Er wurde 1926 vom König Amanullah Khan erbaut. Im Namen des Palastes und des Königs steckt Aman, das heißt “Sicherheit”. Ein klassizistisches Gebäude, dem Berliner Reichstagsgebäude nachempfunden. Eine Anweisung des Deutschland-affinen Königs. Auch das Nationalmuseum entstand im Zuge dieser Modernisierungskampagnen. Ein Museum, wie in Europa. Mit über 100.000 Exponaten  besaß es eine der bedeutendsten Sammlungen Zentralasiens. Bis das Museum sowie der Palast dem jahrzehntelangen Kriegen zum Opfer fielen.

Der Palast wurde beschädigt, in Brand gesetzt, von Raketen getroffen, von verschiedenen kriegerischen Parteien besetzt, vom Militär umfunktioniert. Dem Nationalmuseum erging es in den 40 Jahren Krieg ging es nicht viel besser. 

Moshtari: Als das Museum mit Raketen beschossen wurde, hat es im obersten Stockwerk gebrannt. Und selbst was dann noch nicht zerstört war, wurde oft geplündert. Die Münzsammlung des Museums oder die Überreste der islamischen Galerie wurden zum Beispiel gestohlen. Viele landeten jenseits der Grenze in Pakistan zum  Verkauf. 2004, also 3 Jahre nach der US-Invasion hat das Museum wieder eröffnet. Teile der ursprünglichen Sammlungen wurden am internationalen Schwarzmarkt zurückgekauft. Weil das traurigerweise schneller geht als zu beweisen, dass es sich um Raubgut handelt und sie formal rückerstattet zu bekommen. Aber was ich so berührend finde: das Museumspersonal hat eigenständig tausende Objekte an verschiedenen Orten versteckt, um sie zu schützen.

Ich finde es ehrlich bewegend, dass diese Menschen ihr Leben für den Erhalt des afghanischen Kulturerbes riskiert haben. Doch eben nicht alle Objekte konnten versteckt, und somit beschützt werden. Sie fehlen in Afghanistans Kulturlandschaft. Im Katalog zur Hamburger Ausstellung des Paneels schreibt der aktuelle Direktor des Nationalmuseums in Kabul Mohammad Fahim Rahimi in einem Grußwort:

Eingelesen: Ich appelliere an andere Museen und Privatsammlungen, uns bei der Rückholung weiterer geraubter Kunstgegenstände aus Afghanistan behilflich zu sein.

MUSIKBREAK

Im Laufe der Recherche waren wir  mit dem Museum in Kontakt, aber niemand konnte uns ein Interview geben. Wir können aus der Entfernung schwer einschätzen, wie die Lage vor Ort nach der Machtübernahme der Taliban ist. Aber wir vermuten, dass sich Mitarbeitende durch ein Interview in Gefahr bringen. Einen anderen wichtigen Akteur kann Moshtari in einem Videocall interviewen:

(man hört Moshtari auf farsi im Videocall sprechen)

Sie kann den ehemaligen stellvertretenden Minister für Information und Kultur in Afghanistan, Abdul Manan Shiway-e-Sharq, ausfindig machen. Der lebt inzwischen in einer Geflüchtetenunterkunft in Süddeutschland. Und ist von dort aus sehr aktiv: nur zwei Monate nach seiner Ankunft in Deutschland fordert er in der Jerusalem Post die Rückgabe von Raubgut aus Afghanistan. Er muss in das nahegelegene Jobcenter fahren, um mit stabilem Internetempfang zu sprechen.

Shiway-e Sharq (Übersetzung): Der Staat, die UNESCO, die internationalen Abkommen, eine Reihe an internationalen Regelungen zum kulturellen Erbe - sie geben uns alle das Recht verlorene und geraubte Schätze einzufordern und sie aus den Händen der anderen zurück zu holen nach Afghanistan, zurück in ihren Ursprungs Kontext, sodass die Schätze wieder im Besitz der Menschen in Afghanistan sind. 

Shiway-e Sharq ist noch nicht im Amt, als die Rückgabe des Ghazni Paneels beschlossen wird. Er beobachtet und diskutiert den Fall mit befreundeten Kunsthistoriker:innen. Sie sind sich einig: Mit der Restitution des Paneels ist noch lange nicht alles getan:

Shiway-e Sharq (Übersetzung): Wir müssen uns einsetzen für die Restitution vieler weiterer Artefakte, wie etwa aus der Türkei, aus Russland, wo sich tatsächlich noch sehr viele Artefakte befinden, ebenso aus Europa, wo viel Raubgut gesichtet wurde, aus Pakistan, Indien, Kopenhagen  und auch den USA. Der Schmuggel und Raubhandel unserer Kulturgüter hat sowohl innerhalb der offiziellen Strukturen der Amerikaner  stattgefunden als auch auf dem klassischen Schwarzmarkt.

Auch die Regierung seiner Zeit sieht er in der Mitschuld. Shiway-e Sharq sagt, Afghan:innen haben das Recht, ihre Kulturgüter zurückzufordern. Das Recht besteht seiner Meinung nach auch, wenn das Land in einer Krise steckt, auch wenn Afghan:innen flüchten müssen.

Nachrichtensprecherin: Taliban übernehmen Kontrolle über Kabul, Chaos am Flughafen Kabul

August 2021: Bei der plötzlichen Machtübernahme der Taliban postet das Museum auf seinem offiziellen Facebook Account einen Hilferuf auf Englisch:

Eingelesen:  "Leider wurde die Stadt Kabul heute Zeuge eines noch nie dagewesenen Chaos; Plünderer und Schmuggler haben die Gelegenheit genutzt und in verschiedenen Teilen der Stadt privates und öffentliches Eigentum geplündert. Das Museumspersonal, die Artefakte und die Güter sind noch in Sicherheit, aber die Fortsetzung dieser chaotischen Situation gibt Anlass zu großer Sorge um die Sicherheit der Museumsgegenstände und der Museumsmitarbeiter. Das Nationalmuseum von Afghanistan bittet daher die Sicherheitskräfte, die internationale Gemeinschaft, die Taliban und andere einflussreiche Parteien, auf die Sicherheit der Objekte zu achten und nicht zuzulassen, dass Opportunisten diese Situation ausnutzen und die Objekte und Güter dieser Institution beschädigen und schmuggeln. Kabul, 15 August, 2021 #Save_the_National_Museum_of_Afghanistan_#Cultural_Heritage#National_Identity”

Ende November 2021: Das Nationalmuseum in Kabul eröffnet mit Unterstützung der Taliban wieder.  Zwar schützen Wachmänner das Museum. Aber mit einem Publikum ist kaum zu rechnen. Viele der ehemaligen Besucher*innen sind längst geflohen oder meiden zur Sicherheit öffentliche Räume.

Wir haben uns mit dem Museum in Verbindung gesetzt. Doch leider ohne Erfolg. Kontakte, die zugesagt haben oder sich bereits im Ausland befinden, haben kurzfristig abgesagt und auch anonymisierte Zitate abgelehnt. Wir vermuten, dass die Lage vor Ort noch leider immer zu unsicher ist, um offen, kritisch oder überhaupt mit einem westlichen Medium zu sprechen. Matthieu Aikins war gerade für seine Arbeit in Afghanistan. Als wir ihn interviewen, sagt er das Museum in Kabul sei aktuell sicher.

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Februar 2022: Die Taliban veröffentlichen eine Erklärung. Ein Versprechen das kulturelle Erbe zu schützen und Plünderungen zu verhindern.

Eingelesen: "Da Afghanistan ein Land voller antiker Artefakte und Altertümer ist und diese Relikte Teil der Geschichte, der Identität und der reichen Kultur unseres Landes sind, sind alle verpflichtet, diese Artefakte konsequent zu schützen, zu überwachen und zu bewahren"

Weiter heißt es: Die Mudschaheddin-Kämpfer müssten Ausgrabungen von Altertümern verhindern. Alle historischen Stätte wie alte Festungen, Minarette, Türme sind  zu bewahren.

Es gibt aber auch Berichte, die uns an den Ankündigungen zweifeln lassen: Die Taliban zerstörten Skulpturen an der Universität Kabul und auch andere öffentliche Denkmäler von politischen, historischen Personen. Ist also auch das von Hamburg zurückgegebene Paneel in Gefahr?

Silke Reuther: Also inwieweit die aktuellen Ereignisse in Afghanistan jetzt auf die Museen Zugriff nehmen, das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich habe aber grundsätzlich eher weniger Bedenken, weil es sich ja auch um muslimische Kunst handelt.

Silke Reuther und der Direktor des Nationalmuseums in Kabul, Rahimi, stehen in Kontakt. Er hat das Land nicht verlassen und ist weiterhin Museumsdirektor. Auch unter den aktuellen Umständen.

Silke Reuther: Ich weiß auch inzwischen, dass das Paneel nach anfänglichen Schwierigkeiten eben auch nach Afghanistan gebracht worden ist. [...] Und er hat mir dann [...] bestätigt per Mail, dass das Paneel bei ihm ist und dass es auch diese ganzen Verwerfungen jetzt der jüngsten Zeit unbeschadet überstanden hat

Abdul Manan Shiway-e Sharq ist sich aber nicht so sicher, dass das Paneel außer Gefahr ist. Die Auslegung des Islams der Taliban hat kaum etwas mit dem Verständnis von Islam des Ghaznawiden Reichs gemeinsam. Und genau aus dieser Zeit stammt das Paneel:

Shiway-e Sharq (Übersetzung):Das Islam Narrativ bei den Taliban ist nochmal ein ganz anderes. Sie akzeptieren viele Themen und Schätze des islamischen Reiches nicht.

MUSIKBREAK

Das Paneel ist restituiert, steht endlich wieder in seinem Herkunftsland. Aber bis heute sind zahlreiche afghanische Objekte auf der ganzen Welt verteilt - verloren, gebunkert - und ausgestellt, wie Matthieu Aikins herausgefunden hat:

Matthieu Aikins: in the course of my research, I found lots of other panels that were in other museums that had come originally from Ghazni in Afghanistan, some of which had clearly been stolen. And others, you know, the province was a little bit less clear, but they hadn't been legally exported.

//  Bei meiner Recherche fand ich viele weitere Paneele in anderen Museen, die auch aus Ghazni kamen, einige davon klar gestohlen. Bei anderen war die Provenienz weniger eindeutig, aber sie wurden nicht legal exportiert.

Er kontaktiert die Museen: In den USA, in Europa, im Mittleren Osten, in Südostasien.

Aikins: And some of their responses were, you know, very noncommittal. Some didn't get back to me at all.

//  Und manche Antworten waren, naja, sehr unverbindlich. Manche haben gar nicht geantwortet.

Eine Restitution steht nicht zur Debatte. Mit einer Ausnahme. Das Islamic Museum of Malaysia reagiert überraschend anders:

Aikins: The message I got back from them was like, oh, my gosh, we're sorry. And we're going to give it back immediately. And then the next week I think I got a photo from them of others handing the artifact to the Afghan ambassador in Malaysia.

// Die Nachricht war so: Oh Gott, das tut uns leid, wir geben das sofort zurück. Und dann, ich glaube eine Woche später, habe ich ein Foto bekommen, das zeigt, wie das Objekt dem afghanischen Botschafter in Malaysia übergeben wird.

So in etwa stelle ich mir das in einer idealen Welt vor.  Es braucht nicht 5 Jahre schleppende Aushandlungen, nicht einmal die mediale Aufmerksamkeit, damit eine Restitution zustande kommt.

Matthieu Aikins kontaktiert auch das Institut du Monde Arabe in Paris. Er informiert den Museumskonservator Eric Delpont, dass ihr Ausstellungsobjekt aus Ghazni vermutlich Raubgut ist. Wir besuchen ihn in Paris.

Delpont begrüßt uns in seinem Büro, entschuldigt sich für die kalte Raumtemperatur.

Delpont: Mon bureau est le premier de la chaîne. On dit que le froid, ça conserve, mais quand même.

//  Mein Büro ist das allererste in der Reihe. Man sagt zwar: Kälte konserviert, aber naja... ( ironisch)

Kaum ein Sonnenstrahl dringt in den Raum, denn die Glasfassade des Gebäudes ist mit tausenden Blenden reguliert. Die Bürowände sind behangen mit Plakaten vergangener Ausstellungen. Seit über 30 Jahren arbeitet Eric Delpont schon am Institut. Ein älterer Herr mit grauem Haar, Brille und Anzug. 2003 erwirbt das Institut du Monde Arabe das afghanische Paneel, auch im gleichen Auktionshaus in Paris.  Doch erst Jahre später kommen Zweifel auf. Nach dem Anruf von Journalist Matthieu Aikins.

Delpont: L'échange que j'ai eu avec lui, évidemment a réveillé de la curiosité. //  Nach unserem Austausch wuchs natürlich meine Neugier.

Wir begleiten Eric Delpont in den Ausstellungssaal. Das Paneel hängt hinter einer Glasvitrine.

Delpont: Donc moi, j'ai regardé quand même par acquit de conscience et la note ne porte pas de numéro à son dos.

// Aus Gewissensgründen schaute ich nach. Doch das Paneel trägt keine Nummer auf der Rückseite.

Beim Erwerb wurde die Platte einem Denkmal aus Ghazni zugeschrieben, vielleicht einem Grabmal. Denn die kufische Inschrift ist ein Teil der Basmala - das ist die wichtigste Anrufungsformel im islamischen Glauben: “Bismi Llahi Rahmani R-Rahim”, also “Im Namen des barmherzigen und gnädigen Gottes”. Die Größe, der Stil und die Struktur stimmen mit dem Marmorpaneel C3733, also unserem, überein - das sieht auch Eric Delpont so:

Delpont: Quand on la met en regard des autres plaques qui sont aujourd'hui connues et publiées et reproduites, on voit bien qu'elle appartient à la même série.

//  Im Vergleich zu den anderen Tafeln sieht man, dass es zur selben Serie gehört.

Musikbreak

Zurück an seinem Büroplatz erzählt Eric Delpont, dass er in seiner Arbeit schon oft mit Raubkunst aus Kriegsregionen konfrontiert war.

Delpont: On incrimine toujours les trafiquants et les passeurs, mais on peut se poser la question sur ce qu'est à l'origine l'archéologie. [...] Partir à la recherche des traces du passé pour essayer de se comprendre soi, et du coup, ça entraîne forcément une curiosité que j'appellerais peut être malsaine à essayer de trouver toujours la pièce qui sera extraordinaire, qui sera inédite, qui sera inconnue et non pas simplement pour sa valeur de connaissance, mais surtout pour sa valeur marchande.

// Immer werden die Schmuggler und Schlepper beschuldigt. Aber was ist mit der Archäologie? Auf Spurensuche durch die Vergangenheit, der Versuch des Menschens sich selbst zu verstehen. Das führt zwangsläufig zu einer Neugier, die ich als ungesund bezeichne. Etwas Außergewöhnliches, Neues, Unbekanntes zu finden. Da ist das Motiv nicht nur der Erkenntnisgewinn, sondern vor allem der Marktwert.

Kein Wunder, dass die vielen Museen oft zögerlich auf Matthieu Aikins Presseanfragen reagieren. Von einer Restitution ist gar nicht die Rede. Zu hoch ist vermutlich der eigene Verlust. Eric Delpont stellt noch ein weiteres Argument an:

Delpont: Le contexte politique ferait un peu renâcler de restituer à des autorités talibans en Afghanistan qui on le sait très bien et c'est vraiment le dernier de leurs soucis, les questions du patrimoine.

// Der politische Kontext in Afghanistan: Man sträubt sich vor Rückgaben an die Taliban. Schließlich wissen wir, dass die Fragen rund um das Kulturerbe sie wenig interessieren.

Vielleicht nicht die Taliban, dafür aber andere Menschen aus dem Herkunftsland - wie Shiway-e Sharq. Die Objekte stammen nun Mal aus Afghanistan und das Land muss in die Debatten zu Raubkunst einbezogen werden. Anstatt nur über Restitution zu sprechen, setzt er einen anderen Impuls: Der Vorschlag von Shiway-e Sharq sieht vor, dass ausländische Museen weiterhin die Objekte ausstellen. Im Gegenzug müssten sie jedoch eine Leihgebühr an eine Stiftung für das afghanische kulturelle Erbe zahlen. Eine Stiftung stellvertretend für das afghanische Volk, denn das wäre rechtmäßig im Besitz der Objekte.

Shiway-e Sharq (Übersetzung): Es liegt in der Verantwortung der UNESCO die Artefakte, die Afghanistan gehören, vorübergehend zusammenzutragen, zu verwalten und daraus Einnahmen für die afghanische Bevölkerung zu generieren. Und zu einem angemessenen Zeitpunkt können sie sie dann auch der zuständigen Regierung und dem afghanischen Volk übergeben. Denn diese Artefakte sind wertvoll für die Menschen.

 (man hört Schritte im Museum)

Mir gibt das ein gutes Gefühl, zu wissen, dass das Objekt zurückgegeben wurde. Auch Moshtari wirkt erleichtert in unserem Nachgespräch:  

Moshtari: Die Tatsache, dass wir uns heute in diesem Museum befinden und das Paneel im Original abwesend ist, ist ein Erfolg. und auch eine Erfolgsgeschichte für alle, die sich für Restitution von Raubkunst einsetzen.

Doch sie betont nochmal:

Moshtari: Es gibt immer andere Prioritäten: Menschenleben, Hunger, Krieg. Und auch jetzt ist es natürlich so, dass man die Bedenken um die Kunstwerke hinten anstellen muss. Aber dann natürlich habe ich auch gehört, wie der Leiter des Nationalmuseums in Kabul geblieben ist. Und er hat das Überleben oder die Sicherheit der Werke priorisiert über vielleicht sogar seine eigene Sicherheit. Und das finde ich irgendwie auch sehr inspirierend, dass so viele Menschen nicht aufgeben wollen und bleiben, um diese Werke auch persönlich zu schützen, selbst wenn die Infrastruktur des Landes das erst mal nicht gewährleisten kann.

Beim Verlassen des Museums machen wir einen kleinen Umweg zum Steindamm - der befindet sich gleich gegenüber vom Museum für Kunst und Gewerbe. Menschen schlendern an Geschäften vorbei, eine Gruppe Männer diskutiert am Straßenrand und aus einem Lebensmittelgeschäft hört man Musik.

(Man hört Straßengeräusche, Menschen vor Geschäften)

Moshtari Hilal: Hamburg hat tatsächlich die größte afghanische Diaspora Community in ganz Europa.

(Straßengeräusche)

Moshtari Hilal: Hier geht die afghanische Diaspora tagtäglich einkaufen. Supermärkte, die Textilien, Trockenfrüchte, Musik unter anderem aus Afghanistan importieren. Und naja, es ist schon befremdlich, dass die Menschen, die wir hier auf dieser Straße sehen, dass die sich nicht im Museum befinden, also die haben wir nicht im Museum gesehen. Und ich frage mich, ob Sie von dieser Debatte mitbekommen haben, ob Sie mitbekommen haben, dass es ein Paneel aus Ghazni in diesem Museum gab, dass es zurückgegeben wurde und dass diese Restitution so eine große Rolle auch spielt für Afghanistan und für Deutschland.

MUSIK BREAK

In der Debatte um Rückgabe kommt immer wieder diese Frage auf: Sind die Objekte denn wirklich in Sicherheit in ihrem Herkunftsland? Das habe ich schon oft gehört - aber das finde ich bevormundend. Das haben die Menschen in den Herkunftsländer am Ende selbst zu entscheiden und zu verantworten. Wenn die Sicherheit der Objekte den westlichen Museen wirklich so wichtig ist, dann sollten sie die Museen in den Herkunftsländern auch unterstützen wenn Gefahr droht, so wie aktuell in Afghanistan. Aber dass das wirklich passiert, daran hab ich meine Zweifel. Wir haben im letzten Jahr erlebt, wie die mediale Aufmerksamkeit auf die Situation in Afghanistan nach wenigen Wochen schon wieder fast abgeebbt war, obwohl noch immer abertausende Menschen auf Evakuierung gewartet haben und auch heute noch warten. Es wirkt gerade so als ob es wieder den Menschen vor Ort überlassen bleibt, sich selbst und ihr Kulturerbe alleine zu schützen. Und ganz ehrlich, es kommt mir so komisch vor, über die Rückgabe von Objekten zu sprechen aus einem Land, in dem nach wie vor so viele Menschen um ihr Leben fürchten und buchstäblich vor dem Hungertod stehen. In erster Linie muss den Menschen geholfen werden, darauf sollte unser gesellschaftlicher und politischer Fokus liegen.

MUSIK OUTRO

Das war “Akte: Raubkunst?” über den Raub des Marmorpaneels aus Afghanistan und seine Restitution. In der nächsten Folge sprechen wir über die Objekte, die in der Debatte um Rückgaben in Europa und weltweit besonders im Fokus stehen, weil ihr Geschichte besonders gut belegt, und besonders blutig ist: Tausende Objekte, die in der Kolonialzeit bei einem brutalen Überfall von britischen Truppen aus dem Königreich Benin im heutigen Nigeria geraubt wurden. Ich bin Helen Fares und wenn euch dieser Podcast gefällt, klickt auf jeden Fall auf abonnieren und erzählt es weiter!

Akte: Raubkunst? ist eine Produktion von Good Point Podcasts im Auftrag von ARD Kultur. Die Autorinnen dieser Folge sind Moshtari Hilal und Luna Ragheb. Executive Producer und Redaktion: Eva Morlang, Head of Content ARD Kultur: Kristian Costa-Zahn, Produktionsleitung ARD Kultur: Reimar Schmidtke, Schnitt: Tina Küchenmeister, Sounddesign: Josi Miller.

Rechte: ARD Kultur

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