7. Oktober 1989Demonstration in Plauen: Blut, Gewalt oder Hoffnung?
Eine Stadt im Osten zeigt am 40. Republikgeburtstag, dem 7. Oktober 1989, besonders ihren Unmut über die Zustände in der DDR. Friedlich, aber bestimmt, gehen im sächsischen Plauen 15.000 Menschen auf die Straße. Sie wollen Reise- und Meinungsfreiheit. Doch der Tag verläuft anders, als geplant.
7. Oktober 1989. Auf Wunsch von Erich Honecker soll der 40. Geburtstag der DDR groß gefeiert werden. Gäste aus aller Welt reisen an. Ost-Berlin wird zu einem Potemkinschen Dorf. Triumphal entfaltet sich die Choreographie der Macht: Zehntausende FDJler inszenieren einen beeindruckenden Fackelzug. Eine Militärparade soll die Schlagkraft des Landes beweisen. Eines Landes, das kurz vor dem Kollaps steht. Denn die Gesellschaft ist im Aufbruch, die Menschen wollen Freiheit.
Plauen: Keiner wusste, was der Tag bringt
Eine Stadt im Osten zeigt an diesem 7. Oktober besonders ihren Unmut. Statt zum zentralen Volksfest gehen die Plauener geschlossen auf die Straße. Friedlich, aber bestimmt demonstrieren 15.000 Menschen für Reise- und Meinungsfreiheit. Doch der Tag verläuft anders, als geplant.
Der Anfang der Demonstration verläuft friedlich. Die Menschen reden miteinander, laufen durch Plauen. Doch man merkt auch eine Anspannung. Die Frage "Was passiert heute?" ist förmlich greifbar. Der Tag vergeht, es wird Nachmittag. Es beginnt zu regnen. Die Demonstranten spannen bunte Regenschirme auf. Ein Kind ruft "Gorbi! Gorbi!" (Anm. d. Redaktion: Gemeint ist Michail Gorbatschow) - die Menge lacht und stimmt im Sprechchor mit ein.
Armee und Polizei mit "martialischer Ausrüstung"
Dann setzen sich die Massen in Bewegung Richtung Rathaus. Ihren Weg säumt Bereitschaftspolizei. Auch Armee war dabei mit einer, wie es später von Zeitzeugen im Film "Palast der Gespenster" geschildert wird, "martialischen Ausrüstung, die im Leben vorher noch nie gesehen" wurde. Die Stimmung wird angespannter.
Derweil stoßen in Berlin Honecker und Konsorten mit Sektgläsern auf den Geburtstag der Republik an. Die dreistöckige Festtagstorte ziert eine 40. Aber auch draußen vor dem "Palast der Republik" versammeln sich immer mehr Demonstranten und skandieren: "Jetzt oder nie. Jetzt oder nie." Die Polizei versucht die Massen zurück zu drängen.
Unerwartete Wendung als zwei Tore aufgingen
In Plauen stehen sich Staatsmacht und Volk immer noch gegenüber. Doch dann passiert etwas, was die Lage kippen lässt. Die Tore der Feuerwehr gehen auf. Zwei Löschfahrzeug fahren mit Blaulicht in Richtung Menge. Ein Feuerwehrmann klettert aus der Luke des fahrenden W 50, richtet den Wasserwerfer in die Masse - und beschießt die ohnehin regennasse Menge mit einem harten Wasserstrahl. Die Demonstranten werden von Wasserwerfern auseinander getrieben.
Kehrtwende in Plauen
Plauen, so erinnern sich Zeitzeugen, ist in diesem Moment totenstill. Dann geht ein Ruck durch die Menge, ein Geschrei, ein Getöse. Hinzu kommt ein Einsatzhubschrauber, der über den Köpfen kreist. Die Masse bekommt Angst und lässt ihrer Wut freien Lauf. Sie stürmen Richtung Rathaus. Doch die Staatsmacht stellt sich ihnen entgegen. Die Plauener laufen Gefahr, niedergeknüppelt zu werden. Einige schmeißen mit Flaschen und Pflastersteinen. Doch der Großteil kehrt um und läuft den Ring der Innenstadt ab.
Die Plauener sorgten durch ihre 180-Grad-Kehrtwende nicht nur für einen friedlichen Ausgang der Demonstration. Sie machten auch Mut, den Herbst 1989 weiter zu dem zu machen, was er bis heute in den Köpfen ist: zur Friedlichen Revolution.
(Der Artikel wurde zuerst 2019 veröffentlicht und 2022 ergänzt.)
Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Palast der Gespenster - Der letzte Jahrestag der DDR | 02. Oktober 2022 | 23:05 Uhr