12. März 1990: Letzte Sitzung des "Runden Tisches"Aufbruch zur Demokratie: "Runde Tische" in der DDR
Rückblick: 7. Dezember 1989. An diesem Tag passiert es was bis dahin vollkommen Undenkbares: Es treffen sich Abgeordnete der DDR-Regierung und von den Oppositionsgruppen zu ihren ersten "Runden Tisch". Die Stimmung war angespannt. Denn es sollte über eine Machtteilung und die Durchführung von Wahlen verhandelt werden. Es war eine kurze Blüte der demokratischen Teilhabe. Die 16. (und letzte) Sitzung des "Runden Tisches" fand nämlich am 12. März 1990 statt.
Die "Runden Tische" sicherten den friedlichen Übergang von einer Diktatur in eine Demokratie. Sie setzten einen demokratischen Prozess in Gang. In Güstrow, Dessau und Wismar waren bereits im November 1989 Oppositionelle mit Kadern der SED an "Runden Tischen" zusammengekommen. Am 7. Dezember 1989 etablierte sich der "Zentrale Runde Tisch" der DDR in Ost-Berlin und kam bis zum 12. März 1990 mehrfach zusammen. Sie halfen dabei, dass Anarchie und Gewalt in den Wirren der letzten Monate der DDR verhindert werden konnten. Andererseits schafften die Verhandlungen und Ergebnisse der Sitzungen an den "Runden Tischen" auch die Grundlage für eine freiheitlich-demokratische Entwicklung.
Bürgerrechtsbewegung und SED trafen erstmals zusammen
Die Etablierung eines "Zentralen Runden Tisches" in Ost-Berlin war ein wesentliches Puzzleteil des demokratischen Prozesses auf dem Weg in die Wiedervereinigung. Und das in einer Zeit, die rückblickend als eine extrem dynamische und hochpolitische Phase deutscher Geschichte gelten muss. Erstmals trafen damals Opposition und SED offen und im Dialog aufeinander. Erstmals war der politische Gegner für den SED-Apparat wahrnehmbar und der Dialog sollte schließlich zur ersten freien Wahl in der DDR führen. Doch nicht nur in Berlin erblühte die Demokratie in diesem letzten Abschnitt der DDR – auch überall sonst waren sie plötzlich zu finden: "Runde Tische" – die Gremien der Friedlichen Revolution.
Die Runden Tische waren ein Glücksfall für unsere Geschichte. Sie haben uns davor bewahrt, in Chaos zu versinken.
Lothar de Maiziére | Letzter Ministerpräsidenten der DDR
Eckiger "Runder Tisch" in Ost-Berlin
"Wir wollten die Ecken der Tische zu unserem heutigen Gespräch auch nicht absägen. Das wäre nicht nur die Schädigung fremden Eigentums gewesen, es wäre auch der Sache nicht angemessen. Denn die Probleme, mit denen wir uns heute zu befassen haben, sind kantig", sagte Martin Ziegler am 7. Dezember 1989 in Ost-Berlin am "Zentralen Runden Tisch", der eigentlich eckig war, in seiner Funktion als Moderator.
Die Teilnehmer des Runden Tisches treffen sich aus tiefer Sorge um unser in eine Krise geratenes Land, seine Eigenständigkeit und seine dauerhafte Entwicklung. Sie fordern die Offenlegung der ökologischen, wirtschaftlichen und finanziellen Situation in unserem Land.
Mitglieder der Opposition
Die Oppositionsspitzen hatten die "Runden Tische" nach dem Vorbild des "Runden Tischs" in Polen konzipiert und etabliert, der in Warschau zwischen dem 6. Februar und dem 5. April 1989 in der Übergangsphase vom kommunistischen Regime zur demokratischen Republik tagte. Seine Wirkung auf den Wandel des Landes hatte überall tiefen Eindruck hinterlassen, nicht nur bei den Oppositionsführern der DDR.
Öffentliche Kontrolle ausüben
Die Bürgerrechtler verstanden die "Runden Tische" als übergreifende Instanz zur Konfliktlösung. Sie wollten kein Vakuum ausnutzen und nicht ohne politische Legitimation Macht ausüben. "Das war unsere Auffassung von Demokratie. Und deshalb erschien uns dieses Gremium als sinnvoller", sagt Ulrike Poppe, die für "Demokratie Jetzt" am "Runden Tisch" saß.
Zwischen Niedergang und Neuanfang
"Neues Forum", "Demokratie Jetzt", "Vereinigte Linke", "Demokratischer Aufbruch", "Initiative für Frieden und Menschenrechte", "Grüne" und "Sozialdemokratische Partei" – das waren die Teilnehmer der Bürgerrechtsbewegung der DDR am "Zentralen Runden Tisch" in Ost-Berlin und an den "Runden Tischen" im gesamten Land. In einem Land, das sich in einem rapiden Niedergang befand.
Die Ungewissheit war für viele DDR-Bürger in den Umbruchsmonaten zwischen 1989 und 1990 eine prägende Erfahrung. Der zu erahnende Neuanfang, das plötzliche Ende der vermeintlichen politischen Lethargie, die erstarkenden Bürgerrechtsbewegungen, die Gründungsideen und Aufrufe – all dies fand plötzlich auch auf oberster politischer Ebene seine Berechtigung, indem die Gruppen der Opposition gemeinsam auftreten konnten und die politische Spitze des SED-Staates an einen Tisch bekamen.
Denn genau darin bestand eben die Besonderheit und gleichzeitig auch die Dramatik dieser Zusammenkünfte sowohl am "Zentralen Runden Tisch" als auch in seinen Pendants in den Bezirken und Kreisen: Es war ein erstaunliches Maß an Überwindung, Mut und Zuversicht nötig, um sich mit den Vertretern der "staatlichen Organe" zusammenzufinden, die nur wenige Wochen zuvor zu den intimsten Feinden eines jeden Bürgerrechtlers gehört hatten.
Das Misstrauen blieb
Und genau das blieb immer auch spürbar – Freundschaften schlossen sich zwischen diesen Lagern nicht. Stattdessen herrschte auf Seiten der Bürgerrechtler oft eine Mischung aus Aufbruchsstimmung, Hemmnis, aber auch Misstrauen gegenüber den Verhandlungspartnern. Gerade als es um brisante Themen wie die Auflösung der Staatssicherheit oder Umweltskandale ging, kam es zu heiklen Gesprächssituationen. Aber auch zwischen den Gruppen der Opposition und innerhalb der Bündnisse selbst waren Konflikte an der Tagesordnung. Die Hinwendung der DDR-Bürger zu den etablierten Parteien und die allgemein spürbare Welle der Sympathie für eine schnelle Wiedervereinigung erleichterten die Arbeit der "Runden Tische" durchaus nicht. Im Vorfeld der Wahlen im März 1990 wurden diese Entwicklungen überdeutlich und die Gegenwart etablierter Politiker wie Helmut Kohl definierte die Anwendung von Macht für alle Anwesenden neu. Allein, die große Eskalation blieb aus.
Instanz der Konfliktlösung
Die "Runden Tische" waren eine übergreifende Instanz der Konfliktlösung. Eine ihrer größten Leistungen dürfte das Zustandekommen der ersten freien Wahlen im Frühjahr 1990 gewesen sein. Die Verständigung darauf führte dazu, dass in der Folge neben dem "Zentralen Runden Tisch" in Ost-Berlin auch die zum Teil schon vor diesem einberufenen regionalen und lokalen "Runden Tische" ihren festen Platz innerhalb des Reformprozesses und des Dialogs mit den jeweiligen Verantwortlichen fanden. Ihnen kommt der Verdienst zu, auf regionaler und lokaler Ebene neben den großen und wichtigen Themen vor allem solche Probleme zu verhandeln, die im weiteren Geschehen eher wenig Beachtung fanden.
Kurze Blüte demokratischer Teilhabe
Natürlich muss man auch das relativ schnelle Ende der "Runden Tische" und das Scheitern einiger ihrer Akteure betrachten. Durch das Fehlen einer demokratischen Legitimation und die Ablehnung hierarchischer Machtstrukturen schafften es die "Runden Tische" letztlich nicht, einen dauerhaften institutionellen Rahmen im wiedervereinigten Deutschland zu erlangen. Mit den ersten und einzigen freien Wahlen endete ihre kurze Blüte der demokratischen Teilhabe.
Über dieses Thema berichtet der MDR im TV in "Aufbruch zur Demokratie. Runde Tische in der DDR"24.11.2019 | 22:50 Uhr