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Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow bei einer Bischofferode-Gedenkveranstaltung. Bildrechte: Die Linke

"Eine Grundlage meines heutigen Lebens"Bodo Ramelow: der Kämpfer für Bischofferode

24. Februar 2020, 14:01 Uhr

Im März 2014 erhält Bodo Ramelow von einem anonymen Informanten den bislang geheim gehaltenen Kalifusion-Vertrag, der 1993 zur Schließung der Grube in Bischofferode führte. Ramelow zwingt den thüringischen Landtag, den Fall noch einmal aufzurollen. Sein Engagement findet große Zustimmung bei der Opposition und den Menschen in Thüringen. Wenige Monate später wird Ramelow der erste Ministerpräsident der Linken.

Es ist eine skurrile Situation, die man am 19. März 2014 im Thüringer Landtag beobachten kann: Immer wieder trägt Bodo Ramelow, zu der Zeit Fraktionschef der Oppositionspartei "Die Linke" zwei Ordner zum Tisch der Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU). Auf den Ordnern steht in großen Buchstaben "KALI-VERTRAG". Doch Lieberknecht verweigert die Annahme und lässt ihren Staatskanzlei-Minister den Ordner wieder an Ramelows Platz stellen. Sie lässt ausrichten, an dem auf illegalem Weg eingetroffenen Exemplar des Kali-Fusionsvertrages sei sie nicht interessiert. Gelächter brandet auf im Saal, Staatskanzlei-Minister Jürgen Gnauck wirft Ramelow vor: "Es ist politscher Klamauk, der hier durchgeführt werden soll."

Aufklärung eines spektakulären Deals

Doch die CDU-Regierung unterschätzt, welche Brisanz die Papiere für die Menschen in Thüringen haben. Denn sie versprechen Aufklärung über einen der spektakulärsten Wirtschaftsdeals der Nachwendezeit. 1993 übernahm die BASF-Tochter Kali und Salz aus Kassel unter Federführung der Treuhand den gesamten ostdeutschen Kalibergbau und sicherte sich so die Marktkontrolle. Auch die Grube in Bischofferode im Eichsfeld wurde damals geschlossen. Trotz riesiger Proteste und obwohl die Grube schwarze Zahlen schrieb und internationale Abnehmer hatte. Der Fall trug dazu bei, dass der Begriff "Treuhand" für viele zum Inbegriff für Willkür und Wirtschaftskriminalität im Osten geworden ist. Als "die kalte Fratze des Kapitalismus" beschrieb selbst der damalige CDU-Ministerpräsident Bernhard Vogel die Vorgänge um den ostdeutschen Kalibergbau.

Erster Ministerpräsident der Linken

Bildrechte: Die LINKE /Thüringen

Dass sich die Ministerpräsidentin in dieser Angelegenheit am 19. März 2014 quasi "totstellt", wirft ihr nicht nur die Opposition vor. Auch in der Thüringer Bevölkerung kommt das nicht gut an. Bodo Ramelow jedoch gilt als der, der es schafft, in einem brisanten Fall die Regierungsspitze des Landes vorzuführen. Wenige Monate später kann der gebürtige Hesse die anstehende Landtagswahl für sich entscheiden. Im Dezember 2014 wird er der erste linke Ministerpräsident Thüringens und Deutschlands.

Als Aufbauhelfer in den Osten

Der Kampf um den Erhalt von Bischofferode hat Ramelows politische Laufbahn entscheidend geprägt. Dabei kommt Bodo Ramelow gar nicht aus dem Osten: Er wird 1956 in einem evangelischen Elternhaus geboren, wächst in Hessen mit drei Geschwistern auf. Nach der Schule macht er eine Kaufmannslehre in Gießen. Mit 25 Jahren wird er im Jahr 1981 Sekretär bei der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen in Hessen. Dann bricht die DDR zusammen und Bodo Ramelow geht als Aufbauhelfer in den Osten. Seine Aufgabe: In Thüringen den Landesverband seiner Gewerkschaft mit aufzubauen.

Eine Kraft, die es nur im Osten gibt

Seinen ersten Termin im Osten hat er am 28. Februar 1990 im Centrum Warenhaus Erfurt, wo zu dieser Zeit die Treuhandanstalt über die Abwicklung der 14 Centrum Warenhäuser der ehemaligen DDR entscheidet. Sie sollen unter den West-Kaufhausketten Karstadt, Kaufhof und Hertie aufgeteilt werden. Nach den Warenhäusern ist Ramelow bei vielen anderen Abwicklungen dabei: "Ich habe von Elmi bis zum Braugold in Erfurt, von HO Industriewaren bis zu HO WTB - Waren des täglichen Bedarfs, die Umwandlung später zu Rewe und alle diese Dinge im Transformationsprozess von der ersten Stunde an begleitet." Transformation heißt Anfang der Neunziger vor allem, dass Betriebe geschlossen und Millionen von Menschen in der DDR arbeitslos werden. Doch Bodo Ramelow fühlt im Osten auch eine Kraft, die er bei seiner Gewerkschaftsarbeit im Westen nicht kennengelernt hat:

Auf einmal habe ich Frauen erlebt, die unglaublich stark wurden, die Kraft ausgestrahlt haben. An Stellen, wo Männer weggelaufen sind, erlebte ich auf einmal Frauen, die den Betrieb zusammengehalten haben. Ich erlebte, dass auf einmal Menschen sich aufgemacht haben und gesagt haben, wir kämpfen. Nicht um Westgeld, sondern wir kämpfen um unseren Betrieb, wir kämpfen um unsere Existenz, wir kämpfen um unsere Perspektive. Das fand ich viel spannender und das hatte mit meiner alten Bundesrepublik gar nichts mehr zu tun.

Bodo Ramelow, Ministerpräsident Thüringen

Die Widerstandsbewegung koordinieren

Im Verlauf des Jahres 1991 werden auch die ersten Kali-Gruben im Osten geschlossen. Für Bodo Ramelow markiert diese Zeit eine Zensur in der bisherigen Treuhandpolitik, so sagt er heute. Nach der Ermordung Detlev Karsten Rohwedders am 1. April 1991 wird die Behörde von Birgit Breuel geführt, die eine andere Strategie verfolgt: "Ich habe das hautnah erlebt in den Betrieben, für die ich zuständig war. Auf einmal wurden diese Betriebe entweder abgeschaltet oder abgewickelt. Das führte dazu, dass wir einen Schulterschluss zwischen den Gewerkschaften hergestellt haben und die Widerstandsbewegung koordinierten." Aus diesem Grund kommt Bodo Ramelow im Sommer 1993 nach Bischofferode.

Verhandlungsführer für die Kumpel in Bischofferode

Seitdem die Kali-Kumpel im April 1993 erfahren haben, dass die Grube von der Kali und Salz in Kassel übernommen und geschlossen werden soll, halten sie das Werk besetzt. Sie sind sogar bereit, ihr Leben für den Erhalt der Grube einzusetzen: Weil die Treuhand trotz der Proteste an den Fusionsplänen festhält, treten die Kumpel in den Hungerstreik. Als Verhandlungsführer seiner Gewerkschaft unterstützt Bodo Ramelow die Bergleute in Bischofferode.

Die eigentlich zuständige Gewerkschaft, die IG Bergbau und Energie, hat vor allem die Interessen der westdeutschen Bergleute im Blick und ist dafür, die Grube in Bischofferode zu schließen. Für Bodo Ramelow ist das ein Schock: "In diesem Kampf gegen die Schließung, da hatte die IG Bergbau und Energie gesagt: Akzeptiert es doch! Da gab es sogar eine Demonstration in Kassel, da haben Bergleute im Westen gegen die Bischofferöder demonstriert! Das ging mir ziemliche nahe, weil ich mir das in meinem gewerkschaftlichen Verständnis niemals vorstellen konnte, dass eine Gewerkschaft dazu aufruft, gegen einen anderen Teil der eigenen Gewerkschaft zu demonstrieren."

"Man wollte Bischofferode vergessen"

Es sind vor allem die Ereignisse dieses Sommers 1993, die Bodo Ramelow fest an Thüringen binden. Trotz aller Verhandlungen, trotz des Kampfeswillens der Kumpel, trotz weltweiter Aufmerksamkeit für die Causa Bischofferode haben die Bergleute gegen die Entschlossenheit von Wirtschaft und Politik keine Chance. Im Dezember 1993 wird die Grube geschlossen. Als feststeht, dass die Schließung nicht aufzuhalten ist, geht es für Ramelow darum, die besten Bedingungen für die Arbeiter auszuhandeln. Er fährt manchmal zwei Mal pro Tag nach Berlin zur Treuhand, schläft einmal sogar vier Tage nicht, erinnert er sich heute. Die anstrengenden Verhandlungen bringen den Gewerkschaftler ans Ende seiner Kräfte. Am 31. Dezember 1993, dem letzten Arbeitstag in Bischofferode, will Ramelow mit den Bergleuten Silvester feiern. Doch er bricht zusammen, hat sich verausgabt für sein Ziel: eine Lösung zu finden, die für die Bergleute akzeptabel ist.

Es war für uns eine Niederlage, weil wir den Betrieb erhalten wollten, aber es war die teuerste Niederlage, die die Treuhand je erlebt hat.

Bodo Ramelow, Ministerpräsident Thüringen

Der Sozialplan, den Ramelow am Ende aushandelt, beinhaltet drei weitere Jahre Beschäftigung für die Bergleute und eine Abfindung. Später wird allerdings auch dieser Plan gekippt: "Das ist am Ende von Franz Schuster (damals Wirtschaftsminister in Thüringen, Anm. der Red.) alles kaputt gemacht worden. Ich habe den Eindruck, es sollten keine emotionalen Spuren weiter erkennbar bleiben. Ich hatte das Gefühl, dass da Gras darüber wachsen sollte. Man wollte Bischofferode vergessen." sagt Ramelow.

Noch lange nicht alles aufgeklärt

Doch Ramelow sorgt dafür, dass das nicht passiert. 1999 tritt er in die PDS ein und wird Landtagsabgeordneter. Am 17. März 2014 bekommt er anonym eine Kopie des Kali-Fusionsvertrages zugeschickt. Es ist diese Kopie, die er zwei Tage später der Ministerpräsidentin auf den Tisch stellt. Doch der Fall Bischofferode ist damit noch lange nicht aufgeklärt – die Akten der Treuhand sind bis heute unter Verschluss. Und noch immer zahlt das Land Thüringen monatlich 1,5 Millionen Euro an die Kali und Salz AG Kassel für die Sanierung der Kaligruben. Der Fall Bischofferode wird Bodo Ramelow also auch weiterhin begleiten. In seinem Dienstzimmer in der Thüringer Staatskanzlei hängt eine alte Grubenlampe und Salz aus dem Kaliwerk.

Diese Erinnerungen sind für mich ein Teil meines Lebens, es ist eine Grundlage meines heutigen Lebens. Da steckt die Kraft drin, auf die ich vertraue: die Kraft der Menschen.

Bodo Ramelow, Ministerpräsident Thüringen

(ubi)

Über dieses Thema berichtete der MDR auch im Fernsehen:"Bischofferode - Das Treuhand-Trauma" | 05.07.2018 | 20:15 Uhr