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Frauengefängnis Hoheneck

Ehemalige Häftlinge erzählen

Die Geschichte Hohenecks

Blick ins ehemalige Frauenzuchthaus Hoheneck

Gabriele Stötzer erinnert sich an "Massen von Frauen, 33 in einem Verwahrraum. Kontrollierter Bettenbau, tags durfte man nicht in den Betten liegen, Stühle gab es zu wenig. Waschräume gleich neben den Schlafräumen mit drei offen nebeneinanderstehenden WC-Becken ohne Deckel und an der Wand mehrere Waschkojen, in denen sich die Gefangenen wuschen, während sich andere ihrer Notdurft entledigten. An den leeren Wänden Regale mit kleine offenen Fächern, in denen die wenigen persönlichen Gegenstände, die man besitzen durfte, einsichtig stehen mussten: Zahnbecher, Besteck, Seife, Creme." Bildrechte: MDR/Kathrin Aehnlich
Die ehemalige Gefangene Gabriele Stötzer berichtet: "Als ich 1977 nach Hoheneck kam, lief der Haftbetrieb auf Hochtouren. Überbelegt mit bis zu 2.000 Gefangenen, arbeiteten alle in Dreischichtsystemen ihre Schuld gegenüber Gesellschaft und Staat ab." Bildrechte: MDR/Kathrin Aehnlich
In Hoheneck gab es Kübel, keine WCs; Strohsäcke, keine Matratzen; keine Waschgelegenheiten, nur eine Blechschüssel, mit der man abends an der Zellentür Wasser bekam. Bildrechte: MDR/Kathrin Aehnlich
Schon im 17. Jahrhundert wurde das Schloss als Untersuchungsgefängnis genutzt. Bildrechte: MDR/Kathrin Aehnlich
1950 wurden 1.119 Frauen eingeliefert, die in sowjetischen Militärtribunalen verurteilt worden sind. Das Zuchthaus war für maximal 600 Gefangene ausglegt. Hoheneck wurde zu einem politischen Frauengefängnis. Bildrechte: MDR/Kathrin Aehnlich
Ende April 2001 wurde das Gefängnis geschlossen. Der Freistaat Sachsen verkaufte 2002 das ehemalige Frauengefängnis an einen privaten Investor. Bildrechte: MDR/Kathrin Aehnlich

Ein Schicksal von vielen

Bärbel Große – "Zersetzung" und Haft nach Ausreiseantrag

Januar 1981. Nach fünf Jahren Observation, Schikane und "Zersetzungsarbeit" schlägt die Stasi zu: Bärbel Große wird verhaftet. Der Grund: Schon 1976 hatten sie und ihr Mann einen Ausreiseantrag gestellt. Die damals 29-Jährige hat Bevormundung und Gängelei in der DDR satt. Sie will, dass ihre Kinder freier aufwachsen als das in der DDR möglich ist. Sie selbst sieht sich nicht als Oppositionelle, sondern sie will schlicht, was viele wollen: Reisen können, wohin sie will, Lesen können, was sie will, ihre Meinung sagen, wo sie will - ohne Angst und ohne ständig an Mauern zu stoßen. Spätestens als sie ihren "Antrag auf Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR" durch Briefe an Honecker und Mielke flankiert, gerät sie unter Beobachtung der Stasi. Bildrechte: Bärbel Große
Bärbel Große, etwa 1970 Bildrechte: Bärbel Große
Als Familie Große 1976 ihren ersten Ausreiseantrag stellte, gab es bereits den Grundlagenvertrag zwischen der DDR und der BRD. Er sollte, das war ein erklärtes Ziel der Ostpolitik von Willy Brandt, die freie Wahl des Wohnortes erleichtern. Die Behörden der DDR aber versuchten mit allen Mitteln, Antragsteller von ihrem Vorhaben der Ausreise abzubringen. Bildrechte: Bärbel Große
Die DDR-Führung befürchtete zurecht, dass Ausreisegenehmigungen weitere Anträge zur Übersiedlung nach sich zogen: In einer MfS-Einschätzung heißt es "Die Erfahrungen zeigen, dass die Zahl der genehmigten Übersiedlungen und die Erweiterung von Reisemöglichkeiten nicht zur Reduzierung der Gesamtzahl der Übersiedlungsersuchenden führten. Vielmehr ist festzustellen, dass sie
Rückwirkungen auf andere Bürger haben und zu neuen Anträgen führen."
Bildrechte: Bärbel Große
Und so gehörte Familie Große nicht zu den etwa 13.000 Menschen, die 1976 die DDR verlassen durften. Schon im Folgejahr waren es nur 9.800 – in den Zahlen drückt sich auch die Verschärfung der Repression aus. Bildrechte: Bärbel Große
Bärbel Große, 1947 als Bärbel Wagner in Leipzig geboren. Dieses Foto zeigt sie mit ihrem Sohn Mathias, etwa 1972. Bärbel Große lernt den Beruf einer Studiotechnikerin. Sie arbeitet beim Rundfunk der DDR, Sender Leipzig. Nach Bekanntwerden ihres Ausreiseantrages wird sie aus dem Sendebetrieb herausgenommen. Während der Messezeiten darf die Technikerin das Funkhaus in der Springerstraße nicht betreten – so soll vermieden werden, dass sie Kontakt mit westlichen Journalisten aufnimmt. Bildrechte: Bärbel Große
Ein Spitzelbericht von vielen: Zur Messezeit hatte Bärbel Große regelmäßig Besuch eines Freundes aus Holland. Zu diesem Dokument merkt sie an: "Hierzu sei erwähnt, dass ich dann zu den Chefs, zum Parteisekretär und diversen Genossen gerufen wurde und man mir vorhielt, ich dürfte nicht mit einem Auto westlicher Herkunft zum Dienst gebracht werden. Ich erwiderte: „Ich halte mich gerne an die Gesetze der DDR, aber dieses Gesetz kenne ich nicht. Zeigt mir bitte wo das schriftlich verbrieft steht und dann lasse ich mich nicht wieder bringen. Wenn ihr mir das aber nicht zeigen könnt, wovon ich ausgehe, weil es das nicht gibt, dann werde ich heute Abend wieder abgeholt." Und so geschah es auch. Die Haltung, die sich in dieser Geradlinigkeit ausdrückt, wurde ihr später als aggressives Verhalten gegenüber dem Staat ausgelegt. Bildrechte: Bärbel Große
Ein weiters Beispiel aus der Observationstätigkeit des MfS. Insgesamt haben 17 Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit 3000 Seiten über Familie Große zusammengetragen.

Anmerkung von Bärbel Große: "Durch Telefonabhörung wurde bekannt dass ich die Texte der Gruppe 'Trend', mit der wir im Rundfunkstudio Aufnahmen gemacht hatten, gut fand. Das ging natürlich nicht! Die Aufnahmen wurden mit neuen Texten wiederholt. Man kann Texte, die die Große gut findet, nicht senden - so das Argument innerbetrieblich."
Bildrechte: Bärbel Große
Bärbel Große mit ihrem Mann Wolfgang, etwa 1970 Bildrechte: Bärbel Große
Um ihrem Ausreiseantrag Nachdruck zu geben, besucht Bärbel Große die Ständige Vertretung der BRD in Berlin und die Botschaft in Prag – ein üblicher Weg, der sich unter Ausreiseantragstellern herumsprach. Die Registrierung bei den westlichen Behörden konnte tatsächlich die Ausreise beschleunigen – war aber mit erheblicher Gefahr verbunden. Denn die DDR wertete solche Besuche als Straftat. Auch Bärbel Große brachten diese "unerlaubten Westkontakte" eine Haftstrafe ein: Sie wurde zu zweieinhalb Jahren Frauengefängnis Hoheneck verurteilt. Bildrechte: Bärbel Große
Im März 1984 wurde Bärbel Große aus der Haft heraus freigekauft und durfte in den Westen. Ihr Ehemann und die Kinder folgten im April.

Bärbel Große sagt heute über die Zeit in Hoheneck: "Alte, große, kalte Burg. Ein Verlies mit hunderten von gefangenen Frauen, die meisten Kindermörder. Die Bediensteten voller Hass auf die politischen Gefangenen. Man ist nur eine Nummer, kämpfend ums Überleben bei klarem Kopf. Die ersten zwei Wochen waren absolute Qual, ich konnte damit nicht gut umgehen. Schnell merkte ich, dass das Leben in Hoheneck die pure Hölle war und die Mörderinnen, alle lebenslänglich verurteilt, eine gerechte Strafe hatten. Jeder Tag war purer Überlebenskampf. Es war eiskalt, man war ständigen Demütigungen ausgesetzt, nachts Alpträume, Angst die Nerven zu verlieren, krank zu werden, die Angst um die Kinder und den Ehemann draußen, Angst vor Folter, die es auf Hoheneck gab, das Wachpersonal hatte ständig den Knüppel einsatzbereit, Angst nach Verbüßung eventuell doch wieder in die DDR entlassen zu werden, dem Durchdrehen rund um die Uhr nahe. Alles auf Hoheneck war menschenverachtend. Die Zeit der Haft war verlorenes Glück - es fehlt einem ein Stück Leben und die Erinnerung will nicht verblassen. Doch die Freiheit bekommt einen anderen Stellenwert und eine andere Wertschätzung. Das Schlimmste in meinem Leben habe ich hinter mir, vor der Zukunft habe ich keine Angst, alles was nach Hoheneck kommt, kann nur besser sein."
Bildrechte: Bärbel Große
Bärbel und Wolfgang Große 1985 in Westberlin Bildrechte: Bärbel Große

Die Opfer organisieren sich

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