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Hörspiel- und TV-Serie"Neumann, 2x klingeln"

04. März 2021, 09:12 Uhr

"Neumann, 2x klingeln" war in der DDR so etwas, wie die "Lindenstraße" in Westdeutschland - allerdings als Hörspiel. Über 13 Jahre hinweg wurde das Leben der Neumanns verfolgt. Es war die Geschichte einer ganz normalen Familie, gesendet für ganz normale Hörer. 1984 wurde das Hörspiel vom Fernsehen der DDR sogar verfilmt.

von Kathrin Aehnlich

Fast jeden Sonnabend, um 20 Uhr, schrillte bei uns die Türklingel, genau zweimal. Doch es kam niemand zu Besuch. Es war genau andersherum, wir besuchten heimlich "Familie Neumann". Unsichtbare Wellen trugen die Stimmen zu uns ins Wohnzimmer und ließen uns an ihrem Alltag teilhaben. Mit dem Radio war alles erreichbar, Frankfurt, Hamburg, Köln. Niemals hätte mein Vater die Nachrichten von Radio DDR gehört. Nur bei dieser einen Sendung wurde eine Ausnahme gemacht.

Eine ganz normale Familie

Familie Neumann. Das waren der Vater Hans, Meister in der Abteilung Endmontage im Chemieanlagenbau, die Mutter Marianne, eine Lehrerin, die allerdings - infolge einer schweren Lungenentzündung - zu Beginn der Serie Hausfrau war. Und dann waren da noch die Kinder: der 11-jährige, etwas vorlaute Jan und seine pubertierende 15-jährige Schwester Brigitte, genannt "Biggi". Komplettiert wurde die Familie durch die Oma und Schwiegermutter Naumann (nicht zu verwechseln mit Neumann), Verkaufsstellenleiterin in einem Gemüseladen. Auf den ersten Blick eine ganz normale sozialistische Familie. Und wie sagte Herr Neumann zu Beginn der Serie zu einem Radioreporter, der sich in die Wohnung eingeschlichen hatte: "Etwas Besonderes können Sie von uns nicht erwarten.“ Und genau das war von den "Machern" der Serie geplant: Jeder sollte sich in der Serie wiedererkennen. Es war die Geschichte einer ganz normalen Familie gesendet für ganz normale Hörer.

Buhlen um Hörergunst

Der Rundfunk war in der DDR direkt dem ZK der SED unterstellt und schon nach dem Deutschlandtreffen 1964 wurde mit dem neuen Sender DT 64 (also "Deutschlandtreffen 1964") um die Gunst der Hörer gebuhlt. Die Konkurrenz aus dem Westen war groß. Der Rundfunk der DDR hatte also Nachholbedarf in Sachen Hörergunst. Im Jahr 1968 wurden gleich zwei Serien in den Äther geschickt: "Neumann, 2x klingeln" auf Radio DDR I und "Was ist denn heut‘ bei Findigs los?" auf dem Berliner Rundfunk. Wobei die Findigs in meiner Familie "schlechte Karten" hatten, da sie genau vor den 7-Uhr-Nachrichten kamen und mein Vater rechtzeitig umschalten und den Deutschlandfunk suchen musste.  

Warum 2x klingeln?

Bei "Neumanns" war das anders, da waren die politischen Ereignisse des Tages meist abgearbeitet und wir gingen zum "gemütlichen Teil" über. Ich saß auf dem mit rotem Plüsch gepolsterten Hocker, meine Eltern hatten es sich in den beiden Sessel bequem gemacht. Essen, trinken oder gar Salzstangen knabbern war nicht erlaubt, denn im Gegensatz zum Fernsehen, bei dem das Bild Unterstützung bot, durften wir keinen Ton verpassen. Also Füße still halten, Luft anhalten und auf das Klingeln warten.

Das folgte sogleich. Und jeder fragte sich, warum bei Neumanns zweimal geklingelt werden musste, obwohl sie allein in der Wohnung lebten? Ganz einfach: In der ersten Folge zog Familie Neumann aus einer "Doppelhaushälfte vom Land nach Arnsrode in eine 2-2 ½ -Zimmer-Wohnung (das heißt aus dem "DDR –Deutsch" übersetzt: Wohnzimmer, Schlafzimmer und zwei winzige Kinderzimmer). Vater Neumann schraubte das alte Klingelschild an die Tür, und fortan mussten alle zweimal klingeln.

"Wir wollen Ihr Urteil hören!"

Schon am Einzugstag klingelte es ununterbrochen. Zuerst erschien der Nachbar, Herr Scholz, ein Briefträger, und bot ungefragt und ungewollt seine Hilfe an, die im Bier holen mündete. Es wurde übrigens ausreichend getrunken in dieser Serie, was die Neumanns von meiner Familie unterschied, aber nicht von vielen anderen Familien.

Die Serie war ein Seismograph für die Befindlichkeit im Land und am Ende jeder Folge wurde die Bitte an alle Hörer gerichtet: "Wir wollen Ihr Urteil hören! Postkarte genügt!"

Die erste Folge der Hörspielserie "Neumann, 2x klingeln" wurde am 3. Februar 1968 ausgestrahlt, die letzte am 30. Mai 1981 - insgesamt waren es 678 Folgen. Die erste Folge hieß  "Der Umzug" und die letzte "Warten auf Hans". Produziert wurde "Neumann, 2x klingeln" in den Studios des Rundfunks der DDR in der Berliner Nalepastraße.

Kritik zwischen den Zeilen

Bei den Neumanns ging es zu wie im Taubenschlag: Nachbarn, Kollegen kamen oder gingen und die ganze Straße wurde einbezogen. Die Probleme waren vielfältig, ob Probleme am Arbeitsplatz, in der Schule, beim Einkaufen oder in der Ehe, es blieb immer im Privaten und bildete gewollt oder ungewollt die Kleinbürgerlichkeit des DDR-Alltags ab.  Und es bot sich, wie in der DDR üblich, zwischen den Zeilen die Möglichkeit, Kritik zu üben.

Oma Neumann beschwert sich bei der NVA

Helga Göring gab die Oma Neumann Bildrechte: MDR/Heinrich

In der Folge "Der Jammerbrief" schickte der inzwischen groß gewordene und zum Wehrdienst eingezogene Enkel Jan einen Brief an seine Oma, in dem er beschrieb, wie er mit 35 Kilo Gepäck 25 Kilometer laufen musste und davon sieben Kilometer mit "Gasmaske". Und er schrieb, dass er gezwungen war, die Stiefel für seine Kameraden zu putzen und beim Spiel "Jukebox" im Schrank gesperrt nach Einwurf eines Groschens ein Lied singen musste. Kurz entschlossen fuhr die Oma zur Kaserne, um ihren Enkel zu retten. "Zufällig" begegnete sie dem Stabschef, den sie für den Koch hielt, und ihm von dem Brief ihres Enkels erzählte. Und selbstverständlich versuchte er, die Dinge zu relativieren und referierte der Oma, dass ihr Enkel nicht "zur Armee gekommen sei, um spazieren zu gehen".

Das Leben der Neumanns begleitete uns über Jahre

Das Leben der Familie Neumann begleitete uns über Jahre. Später, als ich mir von dem Geld, das ich zu meiner Jugendweihe geschenkt bekam, ein Kofferradio kaufte, wechselte ich zu den Hitparaden auf Radio Luxemburg und vergaß die Neumanns. Erst als ich vor zwei Jahren Herbert Köfer interviewte, erinnerte ich mich wieder daran. Als er den ersten Satz sprach, war es, als hätte mir Hans Neumann soeben die Tür geöffnet.

Herbert Köfer spielte noch einmal Hans Neumann

Szenenfoto aus "Familie Neumann": Herbert Köfer als Hans Neumann und Manfred Richter als dessen Kumpel Heli Helinghaus. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Herbert Köfer schlüpfte nur wenige Jahre später noch einmal in die Rolle des Familienvaters Hans Neumann. Der Erfolg des Hörspiels "Neumann, 2x klingeln" war den Leuten vom Fernsehen der DDR natürlich nicht verborgen geblieben. Und so beschlossen sie, eine Fernsehserie, basierend auf dem Hörstück, zu drehen. Herbert Köfer sollte als Identifikationsfigur unbedingt dabei sein. Im Frühjahr 1984, drei Jahre nach der Einstellung des Hörspiels, begannen die Dreharbeiten. Im August 1984 wurde schließlich die erste Folge ausgestrahlt. Die Serie hieß ganz schnörkellos: "Familie Neumann".

Beliebt, aber ohne Kultstatus

Ansonsten aber unterschieden sich die Geschichten um die Neumanns nicht wesentlich von denen im Hörspiel. Vater Hans war Brigadier in einem VEB, Mutter Brigitte Lehrerin und Tochter "Biggy" Studentin an der Karl-Marx-Universität Leipzig. Nur die Darsteller, von Herbert Köfer abgesehen, waren andere. Die Mutter wurde von Irma Münch gegeben, "Biggy" von Mariam Agischewa und Steffi Spira war Oma Neumann. Die insgesamt 31 Episoden der Serie liefen stets zur besten Sendezeit, um 20 Uhr, gleich nach der "Aktuellen Kamera". 1986 wurde die letzte Folge ausgestrahlt.

"Familie Neumann" war beim Fernsehpublikum der DDR durchaus beliebt. Einen Kultstatus wie ihr Vorläufer, das Hörspiel "Neumann, 2x klingeln", dass das Leben der Neumanns immerhin 13 Jahre lang verfolgt hatte, erreichte "Familie Neumann" jedoch nicht.

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