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Blick auf den Braunkohletagebau Welzow-Süd in der Niederlausitz Bildrechte: Thomas Kläber

Die Sorben und die BraunkohleGott hat die Lausitz geschaffen, aber der Teufel die Kohle darunter

11. November 2020, 09:09 Uhr

Über 100 Jahre Braunkohlenabbau haben die Landschaft und die Menschen der Lausitz mehr verändert als die Jahrtausende davor. Und nichts spaltet die Meinungen mehr als die "Kohle". Für die einen bedeutet sie Arbeitsplätze und Gewinn, für die anderen ist sie Klimakiller, Landschafts-, Kultur- und Geschichtszerstörer.

von Matthias Körner

Schon von Weitem thront der Bagger über der Landschaft meiner Heimatgemeinde Drebkau, wie eine Heuschrecke aus Stahl. Dort bildeten vor der Baggerzeit die "Steinitzer Alpen", ein Höhenzug des Lausitzer Grenzwalls, den Horizont. Das Loch, vor dem ich stehe, ist 90 bis 120 Meter tief und dehnt sich bis zum Horizont aus. Auf der anderen Seite des Tagebaus hängt eine große Wolke – wie ein Fesselballon über den futuristisch anmutenden Betonflächen des neuen Kraftwerks "Schwarze Pumpe". So stelle ich mir einen Start- und Landeplatz für Außerirdische vor.

Kein Platz fürs Sorbische

Im Braunkohlekombinat "Schwarze Pumpe" wurde zu DDR-Zeiten Braunkohle zu Koks, Gas, Briketts und Strom verarbeitet. Die Arbeiter wohnten in Hoyerswerda, einem einst sorbisch geprägten Ackerbürgerstädtchen, in Wohnkomplexen der "Zweiten Sozialistischen Wohnstadt". Da blieb für das Sorbische kein Platz mehr.

Gott hat die Lausitz geschaffen, aber der Teufel die Kohle darunter.

sorbisches Sprichwort

Zwischen mir und "Schwarze Pumpe" lagen einst Dörfer. Ihre Besiedlungsgeschichte reicht weit in die Vorzeit zurück. Die Germanen hatten hier ihr größtes Eisenhüttenzentrum. Sie verfeuerten die Wälder, um aus dem Raseneisenstein Eisen zu gewinnen. Sie hinterließen eine Wüste aus Sanddünen, ein für lange Zeit unbewohnbares Land. Dann kamen die Slawen und erste Siedlungsbauten der deutschen Kolonisten reichen bis ins 12. Jahrhundert zurück. Die Zeugnisse davon stecken in der Erde, die als endloses Band vor mir am Tagebaurand "vorbeifährt", um auf der Kippe zu enden.

Wann steht der Bagger vor unserem Haus?

An der Stelle des Dorfes Wolkenberg ist jetzt - im Zuge der sogenannten Rekultivierung - ein künstlicher Weinberg aufgeschüttet. Wolkenberg hieß sorbisch Klěšnik und hatte den wohl ältesten Holzkirchturm Ostdeutschlands. Beim Abriss der Kirche fand man unter dem Gestühl unzählige Stecknadeln, herausgefallen aus den sorbischen Trachten. In dieser Kirche wurde Herbert B. getauft, der dann in den Nachbarort Kausche, sorbisch Chusej, zog. Wie viele Lausitzer arbeitete er vor 1989 "in der Kohle". Er verpresste die "Heimat" - bis der Tagebau auch sein Kausche bedrohte. Da ging er jeden Tag mit dem Enkel zum Tagebaurand und steckte Pflöcke in die Erde, um auszurechnen, wann der Bagger vor seinem Haus stehen würde.

Fastnacht in Drachhausen (Hochoza) Bildrechte: Thomas Kläber

Kausche war das erste Dorf, von dem es hieß, es werde sozialverträglich umgesiedelt. Freilich kein Vergleich zur DDR-Praxis, da verfrachtete man zum Beispiel ein ganzes Dorf in ein Spremberger Hochhaus. Für die Kauscher baute man ein "neues Dorf" in Drebkau. Es war ein trauriger Umzug. Niemand freute sich auf sein neues Haus. Ich erinnere mich an das letzte Zampern in Kausche, ein Brauch der zum Zapust, der sorbischen Fastnacht, gehört. Noch einmal zog man mit Musik von Hof zu Hof, ein letztes Tänzchen vor dem Bagger und der dazugehörige Schnaps war eher zum Vergessen als zum Fröhlichsein.

Das Haus, Ställe und Scheunen mussten besenrein übergeben werden. Als Herbert B. und seine Frau das letzte Mal in ihrem leeren Haus standen, aus dem die Seele ihrer Lebensjahre schon entwichen war, sagte der Mann: "Das klingt jetzt schon hohl, verdammt hohl." Und die Frau meinte: "Die Gefühle darf man nicht zeigen. Da geht man dran kaputt."

Kurz darauf liefen Arbeiter mit Metalldetektoren über das Grundstück, um scharfkantige Abrissreste aufzuspüren, damit der Gummi der Förderbänder nicht zerstört wird. Dann kam der Bagger. Noch immer stehen die Leute in "Neu-Kausche" am Morgen früh auf, als gelte es noch, das Vieh zu füttern oder Feld und Garten zu bestellen. 

Schwer abschätzbare Folgen

136 Dörfer sind bis heute in der Lausitz der Kohle zum Opfer gefallen, weitere sollen folgen. 27.500 Menschen verloren bisher ihr Zuhause. Und auch die Auswirkungen auf die Umwelt gehen weit über das "Loch" hinaus. Weiträumig wird in den Wasserhaushalt eingegriffen, die Folgen sind schwer abschätzbar. Schon jetzt wurden mehr als 13 Milliarden Kubikmeter Grundwasser, das Trinkwasser der Zukunft und damit künftige Lebensgrundlage, aus der Lausitz gepumpt. Die Formel der Braunkohle heißt: "Landschaft minus Heimat minus Geschichte ergibt Energie plus CO2 plus Arbeitsplätze." Wer wird einmal diese Rechnung begleichen?

Biografie Matthias KörnerMatthias Körner, 1954 in Kamenz geboren, schreibt Romane, Sachbücher, Hörspiele, Feature und Drehbücher. Er lebt in einem Dorf in der Lausitz und ist mit der sorbischen Geschichte bestens vertraut.

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR Zeitreise: Nachruf auf die Braunkohle | 08. November 2020 | 22:20 Uhr