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Tempolimit überschritten? Verkehrskontrolle auf der Autobahn bei Chemnitz 1991. Bildrechte: IMAGO / HärtelPRESS

Tempolimit-DiskussionDas Tempolimit in der DDR und was daraus wurde

02. August 2023, 05:00 Uhr

In Deutschland darf auf Autobahnen gerast werden, das ist auf der ganzen Welt bekannt. Doch das war nicht immer so. Wie kam es zu dieser weltweit einmaligen Freiheit auf Deutschlands Straßen? Und was galt in der DDR?

von Gregor Müller

Das Tempolimit: so alt wie das Auto?

Die Geschichte des Tempolimits geht auf die Frühzeit der motorisierten Mobilität zurück. Ab 1900 stieg die Zahl der motorisierten Verkehrsteilnehmer immer schneller an. Damit stieg auch das Unfallrisiko, nicht zuletzt wegen der bisher nicht bekannten Geschwindigkeiten. Trotzdem griff der Staat zunächst nicht ein und überließ die Verkehrssicherheit den Ländern. In Preußen gab es ab dem 6. September 1906 eine Polizei-Verordnung über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen, die lokale Tempolimits ermöglichte.

Erste Geschwindigkeitsbegrenzung in der Weimarer Republik

Eine erste deutschlandweit gültige Geschwindigkeitsbegrenzung wurde am 1. April 1910 mit dem Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen eingerichtet: Innerorts galt nun eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 15 km/h. Außerorts durfte aber weiter gerast werden, was der Motor hergab. Zumindest, wenn das KfZ unter 5,5 Tonnen wog, ansonsten galten 12 km/h bzw. 16 km/h, wenn das Gefährt zumindest auf Gummireifen stand. Ab 1923 wurde die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerorts auf 30 km/h angehoben, wobei die höhere Verwaltungsbehörde das Limit noch einmal um zehn Stundenkilometer erhöhen konnte.

Freie Fahrt unter den Nationalsozialisten?

Die erste Autobahn wird 1932 eröffnet: Die heutige A555 verbindet Köln und Bonn. Bildrechte: IMAGO / United Archives International

Unter den Nationalsozialisten wurde das erste Gesetz erlassen, das den Begriff Straßenverkehrs-Ordnung im Namen trug. Damit war es in Teilen ein direkter Vorgänger der heute gültigen StVO. Die Reichs-Straßenverkehrs-Ordnung trat am 28. Mai 1934 in Kraft – und schaffte erst einmal alle geltenden Geschwindigkeitsbegrenzungen ab. Wegen der gestiegenen Unfallzahlen wurden jedoch im Mai 1939 wieder Limits eingeführt: PKW durften innerorts 60 km/h und außerorts 100 km/h fahren, LKW 40 bzw. 70 km/h. Wegen des kriegsbedingten Rohstoffmangels wurden die Begrenzungen im Oktober 1939 auf 40 bzw. 80 km/h für PKW und 60 km/h für LKW gesenkt. Diese Geschwindigkeiten galten nun auch auf den neu errichteten Reichsautobahnen.

Kein Tempolimit in der BRD

Nach dem Krieg und der deutsch-deutschen Teilung wurden in der BRD 1952 alle Geschwindigkeitsbegrenzungen aufgehoben – auch innerorts. Hier wurde jedoch am 1. September 1957 eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h wieder eingeführt. Bis Anfang der 1970er Jahre durfte damit auf Straßen außerhalb geschlossener Ortschaften nach Herzenslaune gerast werden. Dies führte zu einer stetig wachsenden Zahl an Verkehrstoten: 1970 waren es 19.000 – die Bevölkerung einer Kleinstadt. Außerdem ereignete sich jeder dritte Autobahnunfall bei Geschwindigkeiten über 100 km/h. Deshalb wurde ab 1972 auf Landstraßen die Sicherheitsgeschwindigkeit Tempo 100 getestet, die ab 1976 bindend war.

"Freie Fahrt für freie Bürger"

Auf Autobahnen durfte das Gaspedal also weiter durchgedrückt werden – bis die erste Ölkrise zu Rohstoffknappheit führte und die BRD 1973 ein generelles Tempolimit von 100 km/h auch auf Autobahnen einführte (außerorts 80 km/h). Ein Jahr später wurde dieses jedoch wieder abgeschafft und durch eine "Richtgeschwindigkeit" von 130 km/h ersetzt. Der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) prägte in der vorausgegangenen Diskussion den Slogan "Freie Fahrt für freie Bürger". 1985 nannte der Opel-Manager Hans Wilhelm Geb eine diskutierte Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h "das Tempo der DDR".

Entwicklung der Autobahnen in der DDR

Hinter dem Eisernen Vorhang verlief die Entwicklung anders: Hier wurden die Geschwindigkeitsbegrenzungen aus der Zeit des Nationalsozialismus nie aufgehoben. Die Verkehrspolitik der DDR war in ihren ersten Jahren geprägt vom Ausbau der Fernverkehrsstraßen und der Wiederherstellung und dem Erhalt der von den Nationalsozialisten hinterlassenen Autobahnen. Doch bereits 1956 erkannte das Verkehrsministerium einen Zusammenhang zwischen Steigerung des Lebensstandards und schneller Entwicklung des Verkehrs. Damit unterschied sich die Politik der DDR nicht vom Wohlstandsparadigma westlicher Nachkriegsgesellschaften wie dem westdeutschen "Wirtschaftswunder". Als erstes Projekt im Rahmen der Erweiterung des Autobahnnetzes verkündete Walter Ulbricht im Herbst 1959 den Neubau einer Strecke von Berlin nach Rostock. Damit waren Autobahnen in der DDR Chefsache geworden, auch wenn das Projekt erst 1979 fertig gestellt wurde.

Welches Tempolimit galt in der DDR?

Die erste Neufassung der StVO der DDR wurde 1956 veröffentlicht, wobei viele Regeln übernommen wurden, die inzwischen internationale Standards geworden waren. Die Geschwindigkeiten für PKW wurden innerorts auf 50, außerorts auf 90 und auf Autobahnen auf 100 km/h festgelegt. Für alle anderen Fahrzeuge galt 50/60/80 Kilometer pro Stunde. Später wurde die Höchstgeschwindigkeit außerorts für PKW noch um 10 km/h gesenkt. Außerdem galt ein striktes Alkoholverbot beim Führen von Kraftfahrzeugen.

Langsame Trabis und schlechte Fahrbahnen: oft wiederholte Klischees

Nicht nur Trabant. Auch Automarken wie Lada oder der hier dargestellte Wartburg prägten das Straßenbild der DDR. Bildrechte: Archiv Museum "automobile welt eisenach"

Über die Gründe des Tempolimits in der DDR lässt sich streiten. Vielerorts wird der marode Zustand des Straßennetzes angeführt oder die schwache Motorleistung des Trabant betont. Belege, dass diese realen Umstände maßgeblich in die Gesetzgebung eingeflossen sind, lassen sich jedoch nicht finden. Dem Argument der schlechten Straßen kann außerdem entgegengesetzt werden, dass diese noch zwanzig Jahre nach Kriegsende von so wenigen Autos befahren worden waren, dass sie in gutem Zustand waren. Außerdem war der größte Teil des Streckennetzes nicht unter vermuteten schlechteren "DDR-Bedingungen" errichtet worden, sondern fußte wie in der BRD auch auf dem Altbestand der "Hitler-Autobahnen".

Tempolimit für Devisen?

Das Tempolimit erstreckte sich auch auf die Transit-Strecken – die Autobahnen, die dem Verkehr zwischen der Bundesrepublik und West-Berlin dienten und damit besonders oft von BRD-Bürgern genutzt wurden. Verstöße gegen die Verkehrsordnung mussten von Autofahrern aus dem Westen in DM bezahlt werden: eine gute und dauerhafte Einnahmequelle für Devisen, die die DDR so dringend benötigte. Daher wurde schon damals der Verdacht laut, dass es das Tempolimit vor allem für die Beschaffung von Devisen gab.

100 Stundenkilometer als Teil der Realpolitik

Der Historiker Axel Doßmann sieht hingegen noch eine andere Motivation für das Tempolimit der DDR: eine Politik der Verkehrssicherheit, die die Gefahren von hohen Geschwindigkeiten nicht ausblendete:

Dass hohe Geschwindigkeiten schneller zu schweren und tödlichen Unfällen führen, war auch vor 50 oder 80 Jahren bekannt. Dass Appelle an Vernunft nicht helfen, war auch Kommunisten vertraut – insofern wird die Regelung auch durch den Wunsch zu erklären sein, Menschenleben zu schützen und materielle Schäden abzuwenden.

Axel Doßmann

Doßmann weißt außerdem darauf hin, dass ja nicht das Tempolimit der DDR "das Erstaunliche in der Welt" ist, sondern das Fehlen eines solchen in der BRD und schlägt daher einen Perspektivwechsel in der Fragestellung vor.

Nach der Wende: Rasen für alle

1990 müssen im Zuge der Wiedervereinigung zwei gegensätzliche Systeme miteinander vereint werden und es wird ein gesamtdeutsches Tempolimit diskutiert. Der damalige Bundesverkehrsminister Friedrich Zimmermann von der CSU will "Schluss machen mit sozialistischen Straßenverkehrs-Ideologien". Wieder einmal steht das Fahren ohne Tempolimit für die ultimative Freiheit. In einer Umfrage der Bundesanstalt für Straßenwesen sprechen sich im gleichen Jahr 89 Prozent der Ostbürger zwar für die Beibehaltung der Geschwindigkeitsbegrenzung aus. Doch Anfang 1992 fällt das Limit auch in den neuen Bundesländern. Die Zahl der tödlichen Autounfälle verdreifacht sich daraufhin im Osten.

Noch heute leben Autofahrer im Osten gefährlicher

Der Trend der erhöhten Zahl an Verkehrstoten im Osten setzt sich bis heute fort: Während der Bundesdurchschnitt bei 31 getöteten Verkehrsteilnehmern pro eine Million Einwohner liegt, liegen alle ostdeutschen Bundesländer deutlich darüber – mit Ausnahme von Berlin. Die Statistik wird außerdem von zwei ostdeutschen Bundesländern angeführt: Sachsen-Anhalt (52/1 Mio. EW) und Brandenburg (50/1 Mio. EW). Mecklenburg-Vorpommern (42/1 Mio. EW) liegt nur knapp hinter Niedersachsen auf dem vierten Platz. Der Hauptgrund dafür wird jedoch eher in dem höheren Anteil an Landstraßen gesehen, wo laut Statistischem Bundesamt besonders viele Verkehrsteilnehmer schwer verunfallen.

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Past Forward: Tempolimit | 02. August 2023 | 21:15 Uhr

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