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Bildrechte: imago/Werner Schulze

Ein Blick in die ZeitEine Organisation für jede Lebenslage

14. November 2019, 16:51 Uhr

Ziel der politischen Führung der DDR war der umfassende Zugriff auf alle Teile der Bevölkerung, alle sozialen Schichten, alle Altersgruppen. Zu diesem Zweck wurde nicht nur ein (Pseudo-)Mehrparteiensystem als vermeintliche Abbildung gesellschaftlicher Vielfalt installiert. Gerade auch die sogenannten Massenorganisationen sollten die Identifikation der Menschen mit dem Staat sicherstellen.

Tatsächlich berührten die vollständig von der SED kontrollierten Massenorganisationen (fast) alle denkbaren gesellschaftlichen Bereiche, sowohl im Privaten als auch im Beruflichen: z.B. der "Freie Deutsche Gewerkschaftsbund" FDGB, die "Freie Deutsche Jugend" FDJ mit der "Pionierorganisation 'Ernst Thälmann'" als Kinderorganisation, die Künstlerorganisation "Kulturbund", der "Demokratische Frauenbund Deutschlands" DFD – bis hin zur "Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse" URANIA. Die wichtigsten Massenorganisationen wurden bereits unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges gegründet, etwa der Kulturbund unter Vorsitz von Johannes R. Becher oder die FDJ unter Erich Honecker im Juli 1945. Von vornherein waren sie Instrument zum Machtausbau der bald in der SED organisierten moskautreuen Kommunisten.

Zeltlager, Kulturarbeit, Pioniermanöver

Die Funktionen der Massenorganisationen bleiben dabei bis 1989 im Wesentlichen die gleichen. Zum einen sollten sie als "Sozialisationsinstanzen" [Stephan 2002, 116] die Identifikation der Bürger mit Staat und Gesellschaft vorbereiten und sicherstellen. Exemplarisch ist hier etwa auf die Pionierorganisation/FDJ zu verweisen: Die beiden Organisationen erfassten Kinder und Jugendliche zwischen sieben und 25 Jahren. Das Spektrum der angebotenen Aktivitäten war breit und durchaus attraktiv: vom Zeltlager über die Pflege nationaler und internationaler Kontakte und Kulturarbeit bis hin zu besonderer schulischer Förderung. Spätestens bei den klar militärisch ausgerichteten Pioniermanövern wird die politische Indoktrination deutlich, gemäß dem Statut der Pioniere: "Wir gestalten unser Pionierleben so, dass bei allen Pionieren der Wunsch entsteht, würdige Mitglieder der Freien Deutschen Jugend – des treuen Helfers und der Reserve der SED – zu werden" [zit. nach Henkel 1994, S. 281].

Mit politischen Parteien vergleichbar

Auf die Sozialisationsfunktion baute dann die politische Funktion der Massenorganisationen auf: Sie entsandten Abgeordnete in die Volkskammer. Die Massenorganisationen waren in dieser Hinsicht politischen Parteien vergleichbar, gleichrangig neben den Blockparteien, mit denen sie im Wahlbündnis der "Nationalen Front" vereinigt waren. So sollte der Anschein des politischen Pluralismus unterstrichen werden. Tatsächlich stärkte freilich der Stimmenanteil der von der SED abhängigen Organisationen die (ohnehin unangefochtene) Führungsposition der de facto Staatspartei.

Disziplinierung und Partizipation

Zentral bleibt die Monopolfunktion der Massenorganisationen, die jeden "gesellschaftspolitischen Pluralismus verhindern" [Weber 2012, S. 8] sollte. Für jedes Gebiet gab es eben nur genau eine vom Staat kontrollierte Organisation. In Verbindung mit dem weiten Spektrum an Lebensbereichen, das die Massenorganisationen abdeckten, ergab sich tatsächlich eine umfassende Einbindung größter Bevölkerungsteile. Dabei muss den Massenorganisationen offensichtlich durchaus die "Doppelfunktion [von] Disziplinierung und Partizipation" [Weber 2012, S. 193] zugeschrieben werden, wobei freilich z.B. der FDGB als Interessenvertretung der Arbeitnehmer sogar im Rahmen seiner institutionellen Möglichkeit weitgehend versagte.

"Organisationsgesellschaft" DDR

Unabhängig von den Motiven für den Beitritt zu einer Massenorganisation belegen die Mitgliederzahlen deutlich deren Akzeptanz. Die Mitgliederzahlen etwa des FDGB stiegen bis zuletzt kontinuierlich an, so dass 1988 mit 9,6 Mio Mitgliedern etwa 80 Prozent aller Beschäftigten der DDR im FDGB organisiert waren [Stephan 2002, S. 469f]. Für diese Zeit haben die Statistiker für jeden DDR-Bürger durchschnittlich 2,8 Mitgliedschaften in Parteien oder Organisationen errechnet, was die Bezeichnung "Organisationsgesellschaft" [Stephan 2002, S. 116] für die DDR rechtfertigt.

Die FDJ erreichte den maximalen Organisierungsgrad 1985 mit 66,1 Prozent oder 2,3 Mio Mitgliedern. Den hohen Mitgliederzahlen zum Trotz verfehlte die Staatsführung letztlich ihren Anspruch, "die gesamte Jugend […] zu erfassen" [Stephan 2002, 494]. Die FDJ steht in diesem Sinne für die Grenzen des Konzepts Massenorganisation.