Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio

Geschichte

DDRNS-ZeitZeitgeschichteMitteldeutschlandWissen
Tolou Maslahati, Psychologin an der Berliner Charité Bildrechte: Tolou Maslahati

Podcast | Diagnose: UnangepasstWie ein Schrank bei der Traumabewältigung hilft

28. April 2024, 14:48 Uhr

Was meinen wir eigentlich, wenn wir von Trauma sprechen? Für den ARD-Podcast "Diagnose: Unangepasst - Der Albtraum Tripperburg" ordnet die Psychologin Tolou Maslahati Trauma im Kontext politischer Verfolgung in der DDR ein und erklärt, wie wichtig gesellschaftliche Anerkennung ist. Sie weiß außerdem, wie vorteilhaft ein aufgeräumter Kleiderschrank im übertragenen Sinne für die Seele sein kann.

Der Begriff "Trauma" oder "traumatisch" wird mittlerweile im Alltag schnell benutzt – aber immer an den passenden Stellen? Was Trauma eigentlich genau bedeutet - vor allem im Kontext von politischer Verfolgung und was wir als Gesellschaft tun können - dazu hat MDR Reporterin Ann-Kathrin Canjé mit der Psychologin Tolou Maslahati gesprochen. Sie arbeitet an der Charité in Berlin und beschäftigt sich seit 2019 für das Projekt "Landschaften der Verfolgung" mit den körperlichen und psychischen Folgen von politischer Haft in der DDR.

Wer ist Tolou Maslahati?Psychologin und Psychotherapeutin Tolou Maslahati hat in Hamburg und Rio de Janeiro Psychologie studiert. Danach absolvierte sie in Berlin und San Diego ein Masterstudium Klinische- und Gesundheitspsychologie. Seit 2017 promoviert sie an der Charité und hat 2021 eine Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeutin erfolgreich abgeschlossen.

Frau Maslahati, ein Trauma – wie ist das überhaupt definiert?

Tolou Maslahati: In Deutschland arbeiten wir in der Gesundheitsbranche mit dem ICD. Das ist ein internationales Klassifikationssystem, das von der WHO herausgegeben wird. Da stehen alle Diagnosen drin, die wir als Ärzt:innen oder Therapeut:innen vergeben können. Aktuell heißt es da, dass ein Trauma im Grunde ein schreckliches, bedrohliches Ereignis ist, bei denen Personen total hilflos und in den allermeisten Fällen auch mit Tod, schwerer Verletzung oder mit sexueller Gewalt konfrontiert sind.

Die Traumata, die schwerwiegender sind, sind "man-made"-Traumata. (Anm. d. Red.: Damit sind sich wiederholende traumatische Erfahrungen gemeint, die durch Menschen herbeigeführt werden.) Und wir wissen, dass Traumata, die zu dieser Kategorie und mehrmalig gehören, das höchste Risiko bergen, später gesundheitliche Erkrankung davon zu tragen, also eine PTBS oder auch andere Traumafolgestörungen. Nur diese Traumata erfüllen das Kriterium für die komplexe posttraumatische Belastungsstörung. Und in diese Kategorie fallen eben Menschen rein, die politischer Gewalt in der DDR zum Opfer gefallen sind.

Und was genau ist das, eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)?

Maslahati: Eine PTBS ist eine Traumafolgestörung, die Menschen entwickeln können, die traumatische Erlebnisse hatten. Das bedeutet, dass Menschen im Hier und Jetzt immer noch unter den traumatischen Erfahrungen leiden, weil sie immer wieder daran erinnert werden. Das heißt, dass das Trauma die Menschen bis ins Heute verfolgt und es für sie schwermacht, ihr Leben zu gestalten.

Wie zeigt sich bei Betroffenen so eine PTBS oder ein Trauma? Wie viele sind davon überhaupt betroffen?

Maslahati: Menschen, die Traumata erlebt haben, haben ein erhöhtes Risiko für Depressionen, für Angststörungen, für Abhängigkeitserkrankungen. Dazu gehört zum Beispiel die Alkoholabhängigkeit. Sie haben aber auch ein erhöhtes Risiko für Suizidversuche und für Schlafstörungen. Natürlich kann man nie zu 100 Prozent nachweisen, dass das jetzt wegen des Traumas ist. Wir wissen aber aus ganz vielen betroffenen Gruppen, dass die ein erhöhtes Risiko haben im Vergleich zu Menschen, die kein traumatisches Erlebnis hatten.

Aber: Die meisten Menschen, die ein traumatisches Erlebnis haben, entwickeln keine PTBS. Nur etwa zwölf Prozent dieser Menschen werden krank.

Viele der Betroffenen, die in den "Tripperburgen" waren und mit denen wir gesprochen haben, haben sich psychologische Hilfe gesucht, manche aber auch erstmal verdrängt. Was passiert, wenn Betroffene das Trauma nicht anschauen?

Maslahati: Verdrängen kann auch bedeuten: Ich kann das wegpacken und beschäftige mich nicht mehr damit. Das kann auch etwas Funktionales haben. Aber wenn es eher ein Verdrängen im pathologischen Sinne, also im krankhaften Sinne, ist, ist es natürlich schwierig. Ich kenne da so eine Wasserball-Metapher:

Wenn es etwas ist, womit ich mich nicht beschäftigen möchte und das die ganze Zeit so wegdrücke wie so einen Wasserball, den ich die ganze Zeit unter Wasser drücke. Das bedeutet einerseits, dass mich das Energie kostet. Ich habe meine Hände nicht frei, um andere Dinge zu bewältigen.

Andererseits wissen wir auch: Wir können es nicht für immer unter Wasser drücken. Irgendwann wird es uns dann wortwörtlich um die Ohren fliegen, wie der Wasserball, der dann irgendwann hochspringt. So ist es dann manchmal, dass sozusagen vielleicht Erinnerungen dann wieder auftauchen, ohne dass man es will und man dann wenig Kontrolle darüber hat.

Anlaufstellen für Betroffene von SED-UnrechtIm unten stehenden Link finden Sie eine Übersicht und Linksammlung zu ersten Anlaufstellen für Betroffene von SED-Unrecht. Diese entstand in Kooperation mit der SED-Opferbeauftragten des Deutschen Bundestages.

Welche Rolle spielt es denn, wenn Betroffene über ihr Trauma sprechen?

Maslahati: Eine große Rolle. Auch die Anerkennung dafür zu bekommen, dass ich Opfer von traumatischer Gewalt geworden bin, spielt eine ganz große Rolle dafür, ob die Menschen hinterher genesen oder vielleicht eine Traumafolgestörung entwickeln.

Das ist auch was Besonderes bei Menschen, die in der DDR politischer Gewalt zum Opfer gefallen sind. Weil es wenig gesellschaftliche Aufarbeitung und Anerkennung gibt, trägt das ganz massiv dazu bei, dass sie sich wenig gesehen fühlen, wenig auch über ihr Trauma sprechen können und ihnen dann auch wenig geglaubt wird. Das führt dazu, dass es ihnen viele Jahre später auch noch schlecht geht und sie ein erhöhtes Risiko haben, eine Erkrankung zu entwickeln.

Welche Bedeutung hat dann gesellschaftliche Unterstützung bei dem Aufarbeitungsprozess?

Maslahati: Bei Menschen, die politische Gewalt erlebt haben, wird ganz viel untersucht, was dazu führt, dass sie erkranken oder auch nicht erkranken. Wenn ich mich sozial unterstützt fühle oder mich gehört fühle, dann schützt mich das davor, eine Erkrankung zu erleben. Aber es gab auch Untersuchungen, die zeigen, dass - wenn man zu viel darüber redet - so ein Verharren zu diesem Thema entsteht. Das hat dann keinen produktiven Faktor mehr, sondern ist dann eher ein Risikofaktor dafür, eine Erkrankung zu entwickeln und geht dann vermutlich über das funktionale Verarbeiten des Traumas hinaus. Es hängt wahrscheinlich auch damit zusammen, dass man sich nicht gehört fühlt und vielleicht auch um die Anerkennung ringt für das Leid, was man durchgemacht hat.

Ist Trauma denn überhaupt heilbar? Welche Ansätze gibt es in der Traumatherapie?

Maslahati: Eine PTBS ist heilbar. Das kann ich definitiv mit Ja beantworten. Ein Trauma kann man leider nicht rückgängig machen und auch die Erinnerung daran wird man nicht auslöschen können. Aber die Symptome einer PTBS, die kann man behandeln und da gibt es gute Ansätze für zum Beispiel die kognitive Verhaltenstherapie und die Expositionstherapie. Personen, die unter einer PTBS leiden, werden von den Erinnerungen an das Trauma immer wieder überwältigt.

Kann man da therapeutisch ansetzen, damit die Erinnerungen nicht mehr so überwältigend sind?

Maslahati: Auch hier gibt es eine Metapher, die Schrankmetapher. Wir gehen davon aus, dass normalerweise, wenn wir Erlebnisse haben, die nicht traumatisch sind, das Klamotten wären, die wir falten und in den Schrank legen – um beim Schrankbild zu bleiben. Und wenn wir es möchten, können wir die Schranktür aufmachen und uns diese Klamotten angucken und diese Erinnerung abrufen.

Chaos im Kleiderschrank ist wie Chaos in den Erinnerungen - die Tür schließt nicht richtig und springt unkontrolliert auf. Bildrechte: Colourbox.de

Bei traumatischen Erinnerungen ist es aber nicht so, dass die einfach ordentlich im Schrank abgelegt sind, sondern wir gehen davon aus, wir waren total im Stress während des Traumas. Die ganze Kleidung wurde irgendwie in ein Schrankfach gestopft und die Tür wurde dahinter zugeschlagen. Die schließt jetzt natürlich gar nicht mehr richtig. Da hängt immer noch etwas raus, weil das alles ja so unordentlich da reingeworfen ist. Und manchmal, wenn wir es nicht wollen oder auch nicht erwarten, springt diese Tür auf einmal auf. Und all diese Kleidungsstücke, die da drin sind, die jetzt unsere Erinnerungen repräsentieren, fliegen uns entgegen und wir haben gar keine Ordnung.

Geordnete und aufgearbeitete Erinnerungen hingegen vergleicht die Psychologin mit einem aufgeräumten Kleiderschrank. Bildrechte: IMAGO

Und Ziel der Therapie wäre es jetzt also, diesen Schrank gemeinsam aufzumachen, was aber Betroffene nicht gerne machen, weil sich das natürlich so überwältigend und unangenehm anfühlt, die Erinnerung rauszuholen und geordnet wieder in den Schrank zu legen, sodass wir auch hier die Kontrolle über die Erinnerung bekommen. Die können uns dann nicht mehr so überwältigen. Und das ist etwas, was man definitiv mit Therapie erreichen kann.

Das Gespräch führte Ann-Kathrin Canjé für den Podcast "Diagnose: Unangepasst – Der Albtraum Tripperburg".

Podcast "Diagnose: Unangepasst – Der Albtraum Tripperburg" - online ab 30.04.2024 in der ARD Audiothek.

Mehr zum Thema

Dieses Thema im Programm:ARD Audio | 30. April 2024 | 06:00 Uhr