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LexikonFriedensbewegung in der DDR
Die DDR verstand sich offiziell als "Friedensstaat." Die behauptete Friedfertigkeit leitete sie vom Ziel und Wesen des Sozialismus ab, wie es Karl Marx und Friedrich Engels im Manifest der Kommunistischen Partei von 1848 formuliert hatten.
"In dem Maße, wie die Ausbeutung des einen Individuums durch das andere aufgehoben wird, wird die Ausbeutung einer Nation durch die andere aufgehoben. Mit dem Gegensatz der Klassen im Innern der Nation fällt die feindselige Stellung der Nationen gegeneinander", heißt es Kommunistischen Manifest von 1848. Nun galt diese utopische These nur für die angenommene weltweite Einführung des Sozialismus durch eine proletarische Weltrevolution: Die jedoch hatte sich spätestens seit der Ausrufung des Sozialismus in nur einem Land, in der Sowjetunion, realpolitisch und auch in den Debatten der Kommunistischen Internationale erübrigt. So galt für die konkrete Auseinandersetzung in einer zweigeteilten Welt nach dem Zweiten Weltkrieg vielmehr ein anderer Satz von Marx als Maxime des Handelns: "Der Krieg der Geknechteten gegen ihre Unterdrücker ist der einzig rechtmäßige Krieg in der Geschichte."
Mit dieser Haltung ließ sich auch im "Friedensstaat DDR" die Wiederbewaffnung der 50er-Jahre begründen, später die Wehrpflicht und die Aufrüstung. Das Feindbild des aggressiven, imperialistischen Westens diente dabei als Rechtfertigung für die Militarisierung der Gesellschaft. Sie zeigte sich unter anderem in einem Heer mit 200.000 Mann unter Waffen (NVA und Grenztruppen), in hohen Ausgaben für den Militärhaushalt (bis zu elf Prozent des Nationaleinkommens), aber auch in quasi militärischer Bevormundung und Kontrolle auch außerhalb der Nationalen Volksarmee.
Pazifistische Strömungen in der Kirche
Ähnlich wie in Westdeutschland auch war es vor allem die evangelische Kirche in der DDR, die sich frühzeitig gegen die Militarisierung wandte. Aber während die Proteste gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands und gegen die Atompolitik der Adenauer-Regierung in der Bundesrepublik von Anfang an offen ausgetragen wurden (Kampagne "Kampf dem Atomtod" der Gewerkschaften und der SPD 1958, Ostermärsche ab 1960), sollte es in der DDR Jahrzehnte dauern, bis offener Protest möglich wurde.
Zunächst beschränkte er sich auf kirchliche Zirkel und auf persönliche Taten Einzelner. So gab es schon mit Einführung der Wehrpflicht 1962 Menschen, die den Militärdienst verweigerten und harte Gefängnisstrafen auf sich nahmen, um ihrem Gewissen zu folgen. 1964 wurden, auch auf Drängen der Kirchen, Baueinheiten in der NVA begründet. Der Dienst als Bausoldat war die einzige Möglichkeit innerhalb der sozialistischen Länder, den Militärdienst ohne Waffe zu absolvieren.
"Textiloberflächenveredlung" - Stoffaufnäher wird politisch
Innerhalb der Kirchen in der DDR gab es die Auffassung, dass atomare Abschreckung nicht mit dem Christsein vereinbar sei. Als 1978 in den Schulen das Pflichtfach "Wehrerziehung" eingeführt wurde, protestierte der Bund der evangelischen Kirchen in der DDR – ohne Erfolg.
In Friedensdekaden und kirchlichen Seminaren formierten sich seit etwa 1980 staatskritische, unabhängige Friedensinitiativen. Deren Symbol wurde ein Stoff-Aufnäher, der als "Textiloberflächenver-edlung" galt und keine staatliche Druckgenehmigung erforderte. Er zeigte das Bild einer von der Sowjetunion 1959 an die Vereinten Nationen gestifteten Skulptur: Ein Mann schmiedet aus einem Schwert einen Pflug. "Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen und Spieße zu Sicheln machen. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erhaben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen", heißt es beim Propheten Micha in der Bibel.
Eine spektakuläre Aktion in Wittenberg 1983 und die Berichterstattung "im Westfernsehen" brachte dieses Symbol der DDR-Friedensbewegung in das Bewusstsein vieler Menschen, die mit den kirchlichen und unabhängigen Friedensbewegungen bis dahin kaum oder gar nicht in Kontakt gekommen waren.
Über dieses Thema berichtete der MDR in "Aktuell"05.03.2018 | 19.30 Uhr